„Frau Merkel steht im Tor... und Schröder spielt im Sturm“

Schwarz-Rot-Gold für Deutschland: Nordrhein-Westfalens WM-Botschafter Reiner Calmund hofft auf eine nationale Aufbruchsstimmung durch den Fußball und ein Ende der deutschen Jammerkultur. Die taz traf den frohen Botschafter zum Frühstück in einem verschneiten Gasthof im Bergischen Land
INTERVIEW KLAUS JANSENUND MARTIN TEIGELER

„Natürlich träume ich davon, dass mein alter Freund Michael Ballack den Weltpokal hochhält. Ich bin zwar Kosmopolit, aber auch ein Fan der Nationalmannschaft und habe einen großen Nationalstolz“

taz: Sie sind der WM-Botschafter des Landes NRW. Wer hat mehr Ahnung von Fußball: Jürgen Rüttgers oder sein Vorgänger Peer Steinbrück?

Reiner Calmund: Der ehemalige Ministerpräsident Peer Steinbrück hat mich berufen und sein Nachfolger Jürgen Rüttgers hat mich im Interesse der Sache ohne politische Ränkespielchen übernommen. Dafür bin ich beiden sehr dankbar, ich kann nicht sagen, wer mehr Ahnung vom Fußball hat, wir haben bisher vorwiegend über die Aufgaben von NRW bei der Fußballweltmeisterschaft gesprochen. Echte Fans sind Gerhard Schröder, Edmund Stoiber und Michael Vesper, egal, wie man sie politisch sieht, vom Fußball verstehen sie eine ganze Menge.

Was halten Sie denn von Gerhard Schröder?

Ich habe zu Schröder ein gutes Verhältnis. Ich freue mich, dass der DFB ihn im Rahmen der WM-Auslosung zum DFB-Ehrenmitglied ernennen will. Gerhard Schröder hat, genau wie sein Vorgänger Helmut Kohl, große Verdienste, dass die WM in Deutschland stattfindet.

Trotzdem waren Sie mit seiner Politik ja nicht ganz zufrieden?

Ich habe schon vor anderthalb Jahren in einem Zeitungsinterview gesagt: Bei den Problemen, die wir im Land haben, brauchen wir eine große Koalition. Wo sind wir denn gelandet mit all den Schuldzuweisungen, Anfeindungen unter den Parteien? Die Menschen sind verunsichert, sonst nichts. Wer jetzt nur noch Parteipolitik will, den kann ich nicht mehr sehen. So ein Pipifax! Wir brauchen nicht Schwarz, Rot, Grün, Gelb und Blau. Wir brauchen Schwarz-Rot- Gold, die Besten für Deutschland. Mir waren Köpfe mit Charakter und klaren Vorstellungen immer wichtiger als Parteiprogramme: Ich habe Helmut Schmidt mit der gleichen Begeisterung gewählt wie Helmut Kohl, da bin ich ganz schmerzfrei.

Und heute?

Ich habe damals schon aus Spaß mal eine Mannschaftsaufstellung für Deutschland gemacht. Helmut Kohl ist Trainer, Professor Dietrich Grönemeyer ist Mannschaftsarzt. Im Tor spielt Frau Merkel.

Warum Merkel?

Die hat viel draufgekriegt und fällt nicht um.

Und weiter?

Friedrich Merz als rechter Außenverteidiger mit Offensivdrang. Joschka Fischer als Verteidiger: geschickt im Straßen-Nahkampf, international erfahren. Otto Schily als knallharter, kompromissloser Stopper. Im Mittelfeld Christian Wulff als Shootingstar, Gerhard Schröder als Mittelstürmer. Als Außenstürmer den dynamischen Wendelin Wiedeking von Porsche und den trickreichen Heinrich von Pierer von Siemens.

Das kommt der großen Koalition ja schon ziemlich nahe.

Am Tag der Bundestagswahl bin ich mit Peer Steinbrück und Jürgen Rüttgers im selben Flugzeug von Köln nach Berlin geflogen. Da habe ich denen schon gesagt: Es gibt heute Abend eine große Koalition. Der Wunsch nach Aufbruch in der Wirtschaft spricht für schwarz, die soziale Absicherung als Netz und doppelten Boden spricht für rot. Bei den Sozialdemokraten bin ich Rechtsaußen, bei der CDU fühle ich mich als Linksaußen in den Sozialausschüssen sehr wohl.

Sie sind also nicht nur WM-Botschafter, sondern auch Politik-Berater?

Ich bin da ja neutral, vielleicht sogar ein bisschen ahnungslos und naiv. Aber Frau Merkel hat mich kurz nach der Wahl bei einer Veranstaltung in Berlin gefragt: „Und, wie sehen Sie die Situation?“. Ich habe sie in den Arm genommen und geantwortet: Ich habe mich gefreut, dass Schröder die Aufholjagd nochmal hingekriegt hat, vor allem weil ihm einige in der Partei den Boden weggezogen haben. Im Wahlkampf hat die SPD zur Halbzeit 0:4 zurückgelegen, am Ende dank Schröder noch ein 4:4 geschafft. Nach der Verlängerung stand es 5:5 – und dann im Elfmeterschießen 13 zu 12. Und wenn du 13:12 verloren hast, dann musst du dich duschen, kannst deine Tasche packen und hoch erhobenen Hauptes vom Platz gehen. Angela Merkel hat das Spiel zwar nur knapp gewonnen, aber gewonnen ist gewonnen. Und deshalb ist sie völlig zu Recht unsere neue Bundeskanzlerin.

Ist der Job des WM-Botschafters politisch?

Es geht für mich hier nicht um Politik, es geht um Fußball. Und ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich bin froh und stolz, dass ich das machen darf. Nicht kann, sondern darf.

Was ist denn Ihre WM-Botschaft?

Ich laufe nicht als Klugscheißer auf. In der Frage von Organisation, Logistik und Sicherheit bin ich nur ein Zahnrädchen, das seine Erfahrung einbringt. Ich habe andere Themen auf meine Fahnen geschrieben: Wir-Gefühl, Stimmung und Optimismus. Deutschland braucht eine Initialzündung. Und dafür rase ich hin und her.

Eine Therapie für Deutschland?

Ja. Wir sind schon Weltmeister: Im Jammern und Meckern. Da kann uns keiner schlagen. Ich meine hier nicht die vielen Menschen, die aufgrund von Alter, Krankheit, Ausbildung und Standort arbeitslos sind. Ich spreche hier von denen, die gut verdienen, ein Dach über dem Kopf haben, ein Auto besitzen und zweimal im Jahr in Urlaub fahren.Und trotzdem immer noch jammern. Wenn ich die höre, wie schlecht es uns allen geht, das kann ich nicht mehr ertragen.

Und durch die WM wird das besser?

Ich hoffe und glaube es, denn die WM ist für mich ein Jahrhundert-Event. Sicher, der Mauerfall und die Wiedervereinigung haben für Deutschland eine größere historische Bedeutung, aber in der medialen Aufmerksamkeit ist das mit einer Weltmeisterschaft überhaupt nicht zu vergleichen. Die WM wird in 215 Ländern live übertragen – das sind mehr als die UN Mitgliedsstaaten hat. Vom 9. Juni bis 9. Juli 2006 werden kumuliert 30 bis 40 Milliarden Menschen am Fernseher die WM verfolgen.

Und dann springt die Wirtschaft wieder an?

Die Exportzahlen stimmen doch. Unser Problem ist die Nachfrage im Inland. Der Motor im eigenen Land springt nicht an, weil die Menschen ängstlich, verunsichert und vorsichtig sind. Ludwig Erhard, der Vater des deutschen Wirtschaftswunders, hat schon gesagt: Eine erfolgreiche Wirtschaft hängt zu 50 Prozent von Optimismus, positivem Denken und Handeln ab. Wahrscheinlich sind es sind sogar 70 bis 80 Prozent.

Und was bewirkt das Psycho-Doping?

Durch die WM wird sich das Bruttoinlandsprodukt um 10 Milliarden Euro erhöhen. Sie wird nachhaltig 15.000 bis 20.000 Arbeitsplätze schaffen, temporär vielleicht sogar 60.000 bis 80.000. Aber darum geht es nicht alleine. Investitionen, Innovationen, Image, Standortwerbung und Aufbruchstimmung sind für uns genauso bedeutend. Oder denken Sie an die 15.000 Volunteers.

Freiwillige für Deutschland?

Das sind junge, intelligente Menschen, mehrsprachig, die ohne Bezahlung, aber mit einer unwahrscheinlichen Dienstleistungsmentalität, mit Herz, Leidenschaft und Idealismus diese Weltmeisterschaft unterstützen. Wir hatten 60.000 Bewerbungen und mussten 45.000 absagen, das müssen Sie sich mal vorstellen. Wir alte Säcke müssen endlich mal begreifen, das wir die Jugend nicht immer nur kritisieren. Die jungen Menschen sind viel, viel besser als ihr Ruf.

Ist die WM nur ein Konjunkturprogramm?

Es geht auch um Toleranz und Respekt. Heute läuft jede Woche irgendeine Schreckensmeldung über die Flimmerkiste: Terror in London, Madrid, Bali, oder zuletzt in Amman. Ich will jetzt gar nicht mit dem Irak kommen oder dem 11. 9., oder Israel – es ist für jeden normalen Menschen schwer zu ertragen, was Tag für Tag in der Welt passiert. In dieser Zeit sorgt Weltmeisterschaft für eine positive Message: Die WM bedeutet mehr als 1:0 oder die Frage, ob Kahn oder Lehmann im Tor spielt, wie weit Deutschland kommt oder ob Brasilien Weltmeister wird. Die WM ist ein Fest der Nationen und des Friedens, ein Get-together aller Menschen. Egal, ob Christen, Buddhisten, Moslems, egal, welche Hautfarbe oder welche politische Gesinnung. Spieler, Funktionäre, Journalisten und Zuschauer feiern gemeinsam die sportlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Highlights.

Viele Fans fühlen sich von diesem Fest ausgesperrt, weil sie keine Karten bekommen.

Diese Weltmeisterschaft hat das höchste Kartenkontingent, das es je gab: 3,2 Millionen. Und Deutschland hat das größte Kontingent, das je ein Gastgeber bekommen hat. Trotzdem passt es uns nicht. Viele Deutsche glauben, die WM wäre unsere Veranstaltung. Wir sind jedoch nur Ausrichter. Die WM gehört allen Anhängern der rund 205 FIFA-Mitgliedsländern, und insbesondere – neben Deutschland – den 31 teilnehmenden Nationen. Sie haben nicht nur ein Recht aufgrund von Statuten und Satzungen auf ihr Ticketkontingent, sie haben auch ein moralisches Recht auf Eintrittskarten. Wir können ja nicht sagen: Die Welt zu Gast bei Freunden, aber zuerst bescheißen wir Euch mal um die Tickets.

Sind nicht zu viele Medienvertreter in den Stadien?

Es soll sich keiner beschweren, dass so viele Journalisten in den Stadien sitzen. Für uns war es auch völlig normal, dass in Japan und Südkorea die deutschen TV-Sender mit Kommentatoren, Moderatoren und Experten von der WM berichtet haben, um unseren Informationsbedarf zu decken. Das gilt für alle: Ob in China auf einem Sack Reis, in Afrika auf der Orangenkiste oder in Brasilien an der Copacabana haben die Leute ein Recht auf Übertragung in ihrer Landessprache. Vor allem, weil die meisten es nicht sich leisten können, nach Deutschland zu kommen. Fußball ist Weltsport Nr. 1, die Übertragungen bedeuten für uns nicht nur Berichterstattung, sondern auch Promotion.

Aber gerade die echten Fans, die jeden Samstag ins Stadion gehen, bleiben oft draußen.

Auf den ersten Blick ist die Kritik der vielen Vereinsmitglieder und Dauerkartenbesitzer logisch, aber mathematisch nicht lösbar. Aber wir haben rund 6,5 Millionen DFB-Mitglieder. Und da sind viele dabei, die jeden Samstag ehrenamtlich im Jugendfußball Kinder betreuen und nicht ins Stadion gehen. Das heißt dann: Die Mutter ist sauer, das Auto ist dreckig, das Geld für Cola und Pommes Frites ausgegeben. Diese Leute können bei der WM berechtigt aufschreien: Jetzt will ich mal ins Stadion! Die Rechnung ist ganz einfach: Selbst wenn alle Karten alleine für uns da wären, könnte nur jedes zweite DFB-Mitglied einmal während der WM ins Stadion gehen.

Was sollen die Fans stattdessen machen?

Feiern, und zwar richtig. Beim public viewing in der Kölner Altstadt, in der Glückauf-Kampfbahn auf Schalke oder in Dortmund auf dem Friedensplatz. Runter vom Sofa, beim Nachbarn klingeln – und ab geht‘s zur großen Fußballfete. Dort gucken wir uns zusammen die Spiele auf einer großen Videoleinwand, trinken ein Bierchen, essen eine Bratwurst und bei netter Musik wird über das ein oder andere Thema gequatscht. Das schafft Wir- Gefühl und Aufbruchstimmung.

Nicht nur bei der WM haben viele Fans das Gefühl, außen vor zu bleiben. Auch in der Bundesliga schreitet die Kommerzialisierung voran. Was halten Sie von den Vorschlägen, die Bundesliga künftig erst spät abends im Free-TV zu übertragen?

Die Liga braucht mehr Geld, um international konkurrenzfähig zu sein. In England, Frankreich, Italien und Spanien sind die Fernseheinnahmen um ein Vielfaches höher als hier, auch wenn Deutschland der größte europäische Fernsehmarkt ist. Trotz allem Tempo, Scouting und Fachwissen bei der Spielerverpflichtung: Wenn dein Vereinsbudget gegenüber deinen europäischen Mitkonkurrenten zu klein ist, hast Du ein Problem. Dagegen steht: Fußball ist Volkssport Nummer eins und muss für jeden zu empfangen sein. Der Pay-TV-Sender Premiere ist für mich das Schönste ist, was es gibt. Doch wir müssen auch an die denken, die sich nicht leisten können, die Euros in den Apparat schmeißen kann. Auch die müssen die Bundesliga sehr zeitnah sehen können.

Was heißt sehr zeitnah?

Fußball gehört weder ins Mitternachtsprogramm noch ins Frühstücksfernsehen. Bis spätestens 20 Uhr muss die Bundesliga am Samstag auch im Free-TV übertragen werden.

Also ist England kein Vorbild? Dort erstreckt sich ein Spieltag über das ganze Wochenende.

Das funktioniert bei uns nicht, wir leben anders. Die englischen Zuschauer haben eine andere Mentalität als die Deutschen. Natürlich müssen wir den Spagat zwischen optimaler Vermarktung und TV-Ausstrahlung hinkriegen. Worüber man nachdenken kann, sind ein oder zwei Freitagsspiele oder ein „Match of the day“ am Samstagabend.

Kleine Clubs kritisieren auch die fehlende Gerechtigkeit bei der Verteilung der Fernseheinnahmen. Zu Recht?

Nein. Es gibt ein internationales Schaufenster, in dem sich die Spieler präsentieren, die regelmäßig in der Champions League, im UEFA-Cup und in der Nationalmannschaft spielen. In Deutschland gibt es etwa dreißig Top-Spieler, für die die internationalen Marktgesetze gelten, für die restlichen 90 Prozent der Spieler nicht. Nur unsere großen Vereine, die vorwiegend diese Spieler beschäftigen, müssen bei Vertragsverlängerungen und Neuverpflichtungen mit den Top-Clubs aus Italien, Spanien und England konkurrenzfähig sein. Deshalb brauchen die großen Vereine mehr Geld.

Bochums Präsident Werner Altegoer würde sagen: Ohne die anderen 80 Prozent können die Großen gar nicht spielen.

Ich schätze Werner Altegoer – und natürlich hat er Recht, wenn er von einem vernünftigen Wettbewerb in der Bundesliga spricht. Jeder Club hat die Chance, in das internationale Geschäft hereinzukommen: Freiburg hat das gezeigt, Bochum auch. Aber vor allem hat jeder einzelne Spieler die Chance, in das internationale Schaufenster hereinzukommen. Per Mertesacker in Hannover, Marcell Jansen in Gladbach und Lukas Podolski in Köln sind die besten Beispiele dafür. Sie haben mit guten Leistungen bei sportlich mittelmäßigen Bundesligaclubs und in der Nationalmannschaft auf sich aufmerksam gemacht und werden auf kurz oder lang bei einem Verein spielen, der am internationalen Wettbewerb teilnimmt. Das zeigt, dass der Laden für alle offen ist.

Sie würden also Spielern wie Lukas Podolski zum Wechsel raten?

Es ist nicht im Sinne des Fußballs, dass ein Supertalent wie Podolski ewig bei einem Verein ohne internationale Teilnahme spielt – auch wenn ich ihn den Kölnern noch fünf Jahre gönne. Die Formel ist simpel: Entweder qualifiziert sich Köln bis zu seinem Vertragende für einen internationalen Wettbewerb, oder Podolski wird wechseln.

Wird es in der Bundesliga irgendwann einem Verein gelingen, an Bayern zu vorbeizuziehen?

Ich sehe im Moment keinen. In meiner Zeit nach der Erneuerung der UEFA- Wettbewerbe war Leverkusen von 1996 bis 2004 sechs Mal in der Champions League, Bayern achtmal, Dortmund vier Mal, alle anderen Clubs nur einmal, egal ob Schalke, Bremen, Berlin oder der HSV. München hat ein großes Einzugsgebiet mit einem gigantischen Stadion, ein hohes Vermarktungspotenzial, eine Stadt mit großer Lebensqualität und ein Top- Management. Deshalb wird Bayern die klare Nummer eins bleiben – ob das einem nun passt oder nicht.

„Ich laufe nicht als Klugscheißer auf. In der Frage von Organisation, Logistik und Sicherheit bin ich nur ein Zahnrädchen. Ich habe andere Themen auf meine Fahnen geschrieben: Wir-Gefühl, Stimmung und Optimismus.“

Reichen die starken Bayern, damit Deutschland Weltmeister werden kann, wie es Jürgen Klinsmann anpeilt?

Ich finde es sehr gut, dass der Klinsmann die Latte hochgelegt hat. Gerade in einer Zeit, wo alle Alibis suchen, ist das angenehm. Als Außenstehender muss man das aber natürlich relativieren: Frankreich ist als Titelverteidiger bei der vergangenen WM ohne Tor rausgeflogen. Deshalb: Bleischuhe an und auf dem Boden bleiben. Erst müssen wir die Vorrunde überstehen.

Sie würden also nicht drauf wetten, dass Deutschland den Titel holt?

Nein, würde ich nicht. Die Euphorie und die Erwartungshaltung der Deutschen sorgen für einen enormen Erfolgsdruck auf die Nationalmannschaft. Wenn wir die Vorrunde überstehen sollten, werden diese Faktoren zwar noch größer, aber der Druck auf die Mannschaft kann sich in Energie, Power und vor allem Selbstvertrauen umwandeln. Dann ist mit dem Publikum als 12. Mann und dem notwendigen Quäntchen Glück vieles möglich. Natürlich träume ich davon, dass mein alter Freund Michael Ballack nach einem Finale gegen Brasilien in Berlin den Weltpokal hochhält. Ich bin zwar Kosmopolit, aber auch ein Fan der Nationalmannschaft und habe einen großen Nationalstolz.

Sie haben Ballack als Manager nach Leverkusen geholt? Fehlt es Ihnen, so wie früher direkt an den Spielern dran zu sein?

Nein. Ich habe vor eineinhalb Jahren gesagt, ich mach den Managerjob nicht mehr, und daran will ich mich auch halten. Wenn es dennoch wieder kribbeln würde, wäre ich wie Beckenbauer oder Adenauer, die sagen: „Was stört mich mein Geschwätz von gestern“. Ich bin nicht der Typ, der Rosen züchtet oder Rasen mäht – das kann ich mal zwei Monate machen, mehr nicht. Ich bin ein Kind des Fußballs, deswegen arbeite ich mit voller Begeisterung als WM-Botschafter und in der RTL-Sportredaktion.

Hatten Sie viele Angebote, nachdem Sie aufgehört haben?

Am Anfang ja, jetzt weniger.

Gehen Sie noch oft ins Stadion?

So oft ich kann. Leider lässt mein Terminplan keine regelmäßigen Besuche zu.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute Spitzenfußball gucken?

Wenn ich die Champions League sehe, wächst eine gewisse Wehmut. Man hört die Musik, sieht die Stadien und die Menschen von früher, die da noch immer rumlaufen. Aber es muss auch ein bisschen wehtun.

Also doch Sehnsucht nach dem Fußball?

Der Fußball bestimmt ja immer noch mein Leben. Ich habe jetzt die Freiheit, völlig andere Sachen im gleichen Metier zu machen. Ich war vor kurzem mit RTL in Brasilien für eine lange Dokumentation: Nicht nur Copacabana und Zuckerhut, sondern auch die Favelas, Religion, Wirtschaft, also Land und Leute waren die Themen. Ich bin froh, nochmal Gehirnzellen zu nutzen, die man als Fußballmanager nicht immer so braucht. Es ist gut, nicht nur in der alten Pfanne des Bundesligafußballs zu brutzeln.

Haben Sie deshalb auch eine Show wie Big Boss gemacht?

Ich habe immer nur gemacht, was mir gefällt. Die Sendung hat vor allem jungen, intelligenten Leuten Spaß gemacht. Wir hatten ein Stammpublikum von drei Millionen Zuschauern, ich bin RTL sehr dankbar, das ich diese TV-Erfahrung machen durfte.

Ist Ihr Terminplan noch nicht voll?

Doch. So voll, wie ich es mir als Manager überhaupt nicht vorstellen konnte. Nehmen sie meinen Geburtstag in der vergangenen Woche: Zuerst war ich in Mönchengladbach an der Fachhochschule für einen Vortrag, danach in Hamburg bei einem Sponsorentreffen. Aber obwohl ich nicht zuhause war, habe ich drei Ständchen bekommen: Erst von 1.000 Studenten im Hörsaal, dann von den Händlern, und am Ende von meiner Lieblingsband „de Höhner“. Die waren zu einem Konzert auf der Reeperbahn, und kamen nachher noch vorbei, das hat meine Frau heimlich organisiert. Die Jungs haben dann mein Lieblingslied gespielt: „Nimm mich so wie ich bin.“ Das ist mein Lebensmotto: „Ich weiß jenau dat ich Fehler han, doch anders kann ich nit sin.“