Zweifelhafte Vergebung

„Forgiving Dr. Mengele“: Der Dokumentarfilm Cheri Pughs, jetzt im KörberForum zu sehen,verkauft die Bewältigungsstrategie der Auschwitz-Überlebenden Eva Mozes Kors als Erfolgsstory

von Georg Felix Harsch

Schon der Titel ist eine Provokation: Laut Pressemitteilung will der Film Forgiving Dr. Mengele, den die Körber-Stiftung jetzt zeigt, davon erzählen, wie Eva Mozes Kor von einer „verbitterten Überlebenden“ zu einer „unermüdlichen Anwältin der Versöhnung“ wurde. Als Zehnjährige war sie nach Auschwitz verschleppt worden, wo sie und ihre Zwillingsschwester Miriam Opfer der von Josef Mengele durchgeführten Versuche wurden. Heute lebt sie als Immobilienmaklerin in Indiana und sagt, sie habe den Nazis vergeben.

Der Dokumentarfilm von Bob Hercules und Cheri Pugh beginnt mit dieser Aussage und wendet sich von dort Kors Vergangenheit zu. In der berühmten Aufnahme von der Befreiung der „Mengele-Zwillinge“ sind sie und ihre Schwester in der vordersten Reihe zu sehen. Zurück in Indiana, erzählt Kor, wie sie sich durch ihren öffentlich gemachten Akt der Vergebung von ihrer Opferrolle befreit habe.

Auslöser dieser Selbstermächtigung war eine erneute Verlusterfahrung: Als in den 90er Jahren ihre Zwillingsschwester an einer seltenen Krebsform erkrankte, begab sie sich auf die Suche nach den Akten Mengeles, um herauszufinden, was ihnen damals injiziert wurde, und begegnete dabei dem ehemaligen SS-Arzt Hans Münch. Sie sagt, Münch sei ihr „respektvoll begegnet“ und hätte ihr erzählt, er habe bis heute Albträume von Auschwitz. Daraufhin lud Kor ihn ein, sie zum 50. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zu begleiten und dort eine Zeugenaussage zu unterzeichnen, die gegen jede Form der Auschwitzlüge verwendet werden sollte. Als Dank für seine Bereitschaft verlas Eva Mozes Kor eine Erklärung, in der sie ihm und allen anderen Nazis öffentlich vergab. Schon die Anwesenheit Münchs bei der Feier löste scharfen Protest anderer Überlebender aus, und nach Kors öffentlichem Bekenntnis zur Vergebung bezweifelten andere „Mengele-Zwillinge“, dass sie das Recht habe, den Mördern zu verzeihen.

Diese Stimmen spart der Film nicht aus. Jona Laks, ebenfalls ein Opfer Mengeles, sagt, die öffentliche Vergebung sei „unanständig. Ich hätte gefragt werden müssen.“ Laks wirft Kor vor, etwas zu verzeihen, das nicht nur ihr, sondern auch Millionen anderen angetan wurde. Und genau da liegt das Problem des Films: Er präsentiert Kors Umgang mit ihrem Trauma als Erfolgsstory. Und um dem Publikum zu zeigen, wie gut Kor das Vergeben tut, werden sowohl das historische Bildmaterial von Auschwitz als auch Bilder aus dem weiteren Leben Kors vor ihrem Akt des Verzeihens mit trauriger Klarinettenmusik unterlegt. Diejenigen jedoch, die diese Bewältigungsform nicht praktizieren, sind in diesem Film Menschen, die etwas falsch machen.

Die Vorstellung vom „Triumph des autonomen menschlichen Geistes“, wie sie der Film vermitteln will, taugt nicht zur Auseinandersetzung auf einer gesellschaftlichen Ebene – das zeigen Eklats Kors mit anderen Überlebenden. Doch wie gelegen ihre Haltung deutschen Institutionen kommt, die in den letzten Jahren im Zusammenhang mit Entschädigungsdebatten verstärkt um Vergebung bitten, zeigt der Film nicht.

Dass das Vergeben als individuelle Bewältigungsstrategie funktionieren kann, zeigt Forgiving Dr. Mengele. Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass im Sinne einer historischen Auseinandersetzung mit den deutschen Lagern noch stimmt, was Vladimir Jankélévitch 1971 schrieb: „Die Verzeihung ist in den Todeslagern gestorben.“

Screening in Anwesenheit von Eva Kor: Di, 6.12., 19 Uhr, KörberForum, Kehrwieder 12. Anmeldung erbeten unter info@koerberforum.de