Vom Schönfärben und Krankreden

Die Sterblichkeit des Körpers und die Symbolik der Politik: Das Symposium „Mythen des Blutes“ verfolgt den Transfer und die Aufladung der Bilder vom roten Saft. Ein Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun

taz: Frau von Braun, manche Leute kippen einfach um, wenn sie Blut sehen. Riot Grrrls haben den blutigen Tampon als Provokationsmittel entdeckt. Wieso macht Blut Angst?

Christina von Braun: Blut ist einerseits ein Symbol für Leben, andererseits aber auch für Verletzlichkeit. Ein Körper, der blutet, ist meistens, mit Ausnahme der menstruierenden oder gebärenden Frau, ein verletzter Körper und verweist damit nicht nur auf Krankheit, sondern auch auf Sterblichkeit. Das macht Angst. Aber auch vor einem menstruierenden oder gebärenden Körper haben viele Angst – Angst vor der Fruchtbarkeit.

Ist darum die Flüssigkeit in der TV-Bindenwerbung blau und nicht rot?

Wenn Blut mit Menstruation in Verbindung gebracht wird, steht es in einer Tradition des bösen Blutes, des schlechten Blutes. Daher blau, als Symbol von Reinheit – auch durchaus blaues Blut als Symbol von adliger Herkunft. So kann Blut auch aufgewertet werden.

Es gibt also schlechtes Blut und gutes Blut?

Es gibt eine lange christliche Tradition der Unterscheidung zwischen dem guten Blut der Märtyrer, der Passionsgeschichte, und dem bösen Blut. Das ist eine Blut-Metaphorik, die sich fast immer auf das weltliche Blut bezieht, also auf das Blut im Körper des sterblichen Menschen, auf das Menstruationsblut der Frau, auf alles, was mit Sexualität und Sterblichkeit zusammenhängt.

Im Nationalsozialismus gab es eine ausgeprägte Metaphorik des Blutes – reines arisches Blut und Fremdkörper. Wie kommt es zu so einer widersprüchlichen Symbolhaftigkeit?

In allen Religionen ist das Blut wichtig, allerdings auf sehr unterschiedliche Weise. In den Stammeskulturen gibt es Opferkulte mit Blut. In den monotheistischen Religionen spielt das Blut auf geradezu konträre Weise eine Rolle. In der jüdischen Religion ist das Blut Symbol des Lebens und bleibt dem Schöpfer vorbehalten. Wird es vergossen, muss es begraben werden – dem Juden ist es verboten, Blut zu verzehren. Im Gegensatz dazu stellt das heilige Abendmahl, der Verzehr des Erlöserblutes, eine Heilsbotschaft dar.

Diese historisch widersprüchlichen und einander bekämpfenden Vorstellungen von der Funktion des Blutes waren auch im Nationalsozialismus von Bedeutung. Sie wurden allerdings von der transzendenten Ebene abgekoppelt und auf die Ebene der Rassengemeinschaft, des Volkskörpers, heruntergebrochen.

Was interessiert Sie persönlich denn am Blut?

Ich bin über meine Forschung zum Antisemitismus auf das Thema gestoßen. Mir fiel auf, wie Bilder des bösen, zersetzenden Blutes des Juden zur magischen Aufladung der Reinheit des arischen Blutes dienten, zur Aufladung der politischen Begriffe „Gemeinschaft“ und „Fremdkörper“. Von dieser Frage ausgehend bin ich dann auf andere Kontexte gestoßen. Die Syphilis hieß, als sie Ende des 15. Jahrhunderts aufkam, sehr schnell die Krankheit des bösen Blutes. Tatsächlich ist der Jude in antisemitischen Kontexten oft als Träger dieser Krankheit bezeichnet worden.

Neben der Rolle des Blutes in Religion und Ritual werden Sie sich auf dem Symposium „Mythen des Blutes“ auch mit dem Blut als sozialem Bindemittel beschäftigen. Wovor bietet ein Konzept wie „Blutsbande“ Zuflucht?

Blut führt ein Stückchen Realität ein in etwas, was eigentlich nur Imagination ist. Blutsbande bieten tatsächlich ein Sicherheitsgefühl, in erster Linie vor dem abstrakten Gedanken. Besonders sichtbar wird das wieder bei den Nationalsozialisten, die einen tiefen Hass gegen „den Intellektuellen“ empfanden und versuchten, alles in Irdisches, Messbares und Physiologisches zu überführen.

Am Samstag stehen Vorträge zu den Themen „Mythos und Medizin“ und „Blut und Medien“ auf dem Programm. Wie funktionieren Blut-Bilder heute?

Wenn Sie sehen, wie viel Blut in Filmen fließt, kann man sagen, dass Blut auch hier zu einem Symbol für Realität geworden ist. Der Zuschauer soll vergessen, dass er im Kino ist, und das Gefühl bekommen: „Du befindest dich nicht in einer erfundenen Geschichte – hier geht es um Leben und Tod.“ Da greift wieder etwas, das schon die ganze Geschichte der religiösen Imagination begleitet hat, nämlich dass der religiösen Heilsbotschaft durch das Blut eine Wirkmacht des Realen verliehen wird.

INTERVIEW: SEBASTIAN SCHINKEL