Gleichberechtigung: Parteilich und professionell
Das Mädchenhaus feiert sein 20-jähriges Bestehen. Dass sie dezidiert feministische Mädchenarbeit machen, ist mittlerweile akzeptiert
Zum 20-jährigen Jubiläum lüftete die Geschäftsführerin des Mädchenhauses Bremen ein Geheimnis. „Ohne Amelie Freese würde es uns nicht geben“, sagte Heike Ohlebusch am Freitag im bis auf den letzten Platz besetzten Vortragssaal der Kunsthalle. Freese, erzählte Ohlebusch, habe damals erst ein Haus gekauft, in dem Mädchen in Not Unterschlupf finden konnten, ein Jahr später kaufte sie ein weiteres, wo die Mitarbeiterinnen des Mädchenhauses eine Wohngruppe einrichteten. Auch später sei Freese, die laut Ohlebusch einfach helfen, dabei aber anonym bleiben wollte, immer wieder in finanziellen Engpässen mit Spenden und Krediten eingesprungen. Doch mehr als ihren Namen wollte die Gönnerin nicht zeigen, auf der Jubiläumsfeier ließ sie sich nicht bejubeln.
Dafür schilderten andere, warum sie das Mädchenhaus – zu dem auch eine Beratungsstelle, ein Telefonnotruf, eine Onlineberatung und seit kurzem ein Mädchen-Freizeitzentrum in Gröpelingen gehören – mit Geld oder Lobbyarbeit unterstützen. „Nirgendwo sonst in der Stadt gibt es diese Kombination aus Professionalität und Parteilichkeit“, sagte etwa Heidemarie Rose, Referatsleiterin für Kinder und Jugendliche bei der Sozialsenatorin. Dabei war diese Parteilichkeit für Mädchen in den ersten Jahren der Grund, warum viele in der Politik und der Behörde die Einrichtung argwöhnisch beäugten, erinnert sich die zweite Geschäftsführerin Sabine Weber. „Weil wir feministische Mädchenarbeit machen, hieß es, wir würden Mädchen alles glauben.“ So habe sich lange hartnäckig das Gerücht gehalten, das Mädchenhaus würde den bei ihnen Lebenden mehr Taschengeld auszahlen als andere Heime, erzählt Weber. „Wir mussten ständig unsere Existenzberechtigung beweisen.“
Das sei mittlerweile zwar nicht mehr so, aber die größte Krise erlebten das Mädchenhaus 2006, als sie ihre Notunterkunft wegen Unterfinanzierung und drohender Insolvenz schließen mussten, mehreren Mitarbeiterinnen, darunter Weber wurde gekündigt. „Wir wussten nicht, ob wir unter diesen Umständen nicht ganz dicht machen müssen“, sagt diese.
Erst ein Jahr später konnten sie wieder eröffnen, der drastische Schritt hatte dazu geführt, dass die Finanzierung aller Bremer Inobhutnahmestellen geändert wurde. Seitdem bekommen diese eine pauschale Förderung und werden nicht mehr pro aufgenommenem Kind bezahlt.
Trotzdem sei nicht „alles paletti“, sagte die Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe. Das Mädchenhaus könne vielen Mädchen und jungen Frauen mit Wohnmöglichkeiten helfen – aber nur, solange sie unter 18 Jahre alt sind. Danach zahlt das Jugendamt nur in Ausnahmefällen für sie, das Mädchenhaus kommt dann nicht mehr in Frage. „Das Frauenhaus ist aber nicht der richtige Ort“, so Hauffe, die ein eigenes Angebot für Frauen zwischen 18 und 25 fordert.
Dabei meldeten sich die meisten Mädchen erst kurz vor ihrem 18. Geburtstag mit dem Wunsch auszuziehen, hatte Ruth König von der Beratungsstelle des Mädchenhauses im März der taz gesagt. „Mädchen sind länger bereit, in schwierigen Familienverhältnissen zu bleiben“, hat König beobachtet. Und weil sie ihre Probleme meistens für sich behielten und nicht, wie Jungen, durch Aggressionen auffielen, würden auch Erwachsene die Hilfebedürftigkeit übersehen.
Dabei werden jedes Jahr etwa gleich viele Mädchen und Jungen in Obhut genommen – auf eigenen Wunsch oder auf Veranlassung des Jugendamts. Zwei Drittel derjenigen, die anschließend wieder zurückkehren in ihre Familie, sind Mädchen. Tragisch daran ist, dass die meisten gezwungen sind, es auszuhalten, bis sie 25 sind und für sich selbst staatliche Unterstützung beantragen können.
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