FRANKREICHS POLITIKER WOLLEN NICHT AN DEN UNRUHEN SCHULD SEIN
: Auf der Suche nach Sündenböcken

Die Randale in den Vorstädten, die Frankreich im vergangenen Monat in Atem hielt, ist ein französisches Phänomen: ein hausgemachter Konflikt, mit inländischer Genese. Die Randale hat brutal und schlagartig zutage gebracht, was in Frankreich falsch lief und läuft: von der sozialen Ausgrenzung Hunderttausender über den alltäglichen Rassismus bis hin zu einer jahrzehntelangen verfehlten Vorstadtpolitik. Auch die politische Begleitmusik durch Innenminister Nikolas Sarkozy, der auf dem Höhepunkt der Unruhen mit verbalen Aggressionen gegen die VorstadtbewohnerInnen für immer neue Zuspitzungen sorgte, war ein anschauliches Beispiel für falsche französische Politik.

Alle politisch Verantwortlichen in Paris wissen dies. Dennoch suchen manche von ihnen die Gründe für die Randale außerhalb Frankreichs – insbesondere in den Ländern, aus denen die Großeltern mancher Randalierer eingewandert waren. Die Unruhen waren noch gar nicht zu Ende, als in Paris bereits ein Minister „Abschiebungen“ von Randalierern in die „Herkunftsländer“ ankündigte. Andere Regierungsmitglieder führten die unter den Einwanderern verbreitete Polygamie als Grund für die Unruhen an. Und wieder andere wollten die „unkontrollierte Einwanderung“ nach Frankreich verantwortlich machen.

Hinter solchen Äußerungen, aber auch hinter dem in dieser Woche in Paris angekündigten Projekt, die Kontrolle von EinwandererInnen und ihren Familien zu verschärfen, steckt die Suche nach Sündenböcken. Und der Versuch, sich und die eigene, falsche französische Politik aus der Verantwortung zu ziehen.

Premierminister Dominique de Villepin hat richtig erkannt, dass es in seinem Land „schwere soziale Unruhen“ gegeben hat. So hat es der Regierungschef dem US-Fernsehsender CNN gesagt. Er täte gut daran, diese Analyse auch gegenüber seinen eigenen Landsleuten laut und oft zu wiederholen – und sei es einzig, um zu verhindern, dass alle möglichen Populisten jetzt fremdenfeindliche Ressentiments anheizen und für ihre Zwecke im Wahlkampf nutzen. DOROTHEA HAHN