US-PRÄSIDENT BUSH WILL BESTIMMEN, WANN DER SIEG IM IRAK ERREICHT IST
: Eine Strategie für den Rückzug

US-Präsident Bush hat mal wieder eine Rede zur Irakpolitik gehalten. Man ist geneigt, nicht mehr hinzuhören. Zu oft gab es viel Lärm um nichts. Zudem hat die Situation vor Ort längst eine eigene Dynamik entfaltet – unabhängig davon, was in Washington verkündet wird und wie oft.

Erwartbar lobte der US-Präsident die Übernahme der Macht durch irakische Institutionen, stellte vage einen Abzug für das kommende Jahr in Aussicht. Aber er sprach – das war neu – von einer „Strategie für den Sieg“. Keinen militärischen wohlgemerkt, sondern einen umfassenden, der dem Irak eine demokratische Ordnung bringt.

Gewiss war Bushs Auftritt ein durchsichtiges Manöver. Der innenpolitische Druck wächst. Abgeordnete beider Parteien werfen dem Präsidenten vor, kein Konzept für den Irak zu haben. Die Bürger murren immer lauter. Die Kriegskosten explodieren. Täglich sterben zwei GIs. Im kommenden Herbst sind Kongresswahlen, und Bushs Parteifreunden droht der Verlust ihrer Mehrheit. So versucht der Präsident, den Wählern Beruhigungspillen zu verabreichen, indem er einen partiellen Rückzug in Aussicht stellt. Ob dies gelingt, ist fraglich. Für viele ist ein Abzug erst glaubhaft, wenn das Fernsehen Transporter mit heimkehrenden Truppen zeigt. Überdies verhallt die Wirkung solcher Reden angesichts der grimmigen Realität im Irak rasch. Bushs Vision von einem nachhaltigen Nation-Building überfordert längst die Opferbereitschaft der Amerikaner.

Hier muss jedoch mit einem gängigen Missverständnis aufräumt werden. Auch wenn eine Mehrheit der US-Amerikaner mit Bushs Irakpolitik deutlich unzufrieden ist, belegen Umfragen, dass sie zu weiteren Opfern bereit sind, wenn sie sich nur lohnen. Das Problem des Präsidenten: Er kann den Krieg daheim nicht mehr rechtfertigen und im Irak selbst nicht mehr gewinnen. Welche Optionen bleiben Bush? Seine gestrige Rede deutet die Richtung: Indem er Sieg als primär langfristig politisches Ziel definiert, das letztlich nur die Iraker selbst herbeiführen können, kann er für die USA in Anspruch nehmen, den Weg hierzu geebnet zu haben. Und hoffen, dass die Geschichtsschreiber dies später auch so sehen werden. MICHAEL STRECK