Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.
Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?
Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.
@DJ
Ersetzen Sie in Ihrer Liste den Islam durch den Katholizismus und alles "Westliche" durch "Modernes" bzw. "Neumodisches", und Sie haben eine ziemlich präzise Beschreibung meiner Großmutter. Sollte ich sie vorsichtshalber dem Verfassungsschutz melden?
Ich möchte mich zu dem Kommentar nicht äußern. Wer sich aber sachlich informieren möchte; hier ein Auszug aus dem m.E. im Großen und Ganzen sinnvollen Katalog:
...
- Ablehnung bzw. Aggressivität gegen alles „Westliche“;
- Religion wird zum Dauerthema und zur Erklärung für alles (beispielsweise
ständiges Thematisieren der vermeintlichen Unterdrückung und Bedrängung
der Muslime weltweit);
- Veränderung des sozialen Umfeldes; Abgrenzung von der Familie und dem bisherigen Freundeskreis; Hinwendung zu neuem, durch die Religion
geprägtem Umfeld;
- der Islam wird als Lösung, die so genannte westliche Welt als Ursache
aller Probleme gesehen;
- dualistische Weltsicht; Anwendung eines strikten Freund-Feind-Schemas;
- Äußerung islamistischer Parolen;
- eine ebensolche religiöse Strenge wird auch von der gesamten Gesellschaft gefordert;
- Muslime anderer Ausrichtung (z. B. Schiiten) werden als Ungläubige bezeichnet;
- sichtbare äußere Veränderungen (Kleidung, Verhalten, Gewichtsverlust durch veränderte Essgewohnheiten etc.);
- Besuch radikaler bzw. islamistischer Moscheen oder Prediger;
- Teilnahme an religiösen Seminaren mit radikalen Predigern;
- sich verfestigender Kontakt zu anderen extremistischen und radikalen Personen;
- Besuch islamistischer Internet-Seiten; Konsum von Filmen, die den gewaltsamen Jihad fördern sollen;
...
„Schnell“ und „diskriminierungsfrei“ soll die Bezahlkarte sein, mit der Asylsuchende in Hamburg einkaufen müssen. Doch für Omar ist sie das Gegenteil.
Kommentar zur Broschüre vom Verfassungsschutz: Aufruf zur Denunziation
Die Kriterien für die Radikalisierung von Muslimen sind diskriminierend: Bei Nicht-Muslimen würde danach zu Recht niemand fragen.
Es könnte so schön einfach sein: Muslimische Mitarbeiter vor Schichtbeginn auf die Waage – wer abgenommen hat, wird den „Sicherheitsbehörden“ gemeldet, wegen des Verdachts auf ein Doppelleben als salafistischer Terrorist. Aber so einfach ist auch die Welt des Uwe Schünemann nicht. Deshalb hat sein Ministerium ja auch noch 29 weitere Kriterien entwickelt, anhand derer die salafistische Gefahr erkannt werden soll.
Man muss sich ihren Gehalt noch mal vor Augen führen: Veränderte Ess- und Kleidungsgewohnheiten, Bedürfnis nach Privatsphäre, finanzielle Schwankungen. Alles Phänomene, die man bei Nicht-Muslimen wahlweise mit neuer Liebe, Liebeskummer, Weltschmerz oder einem mehr oder minder glücklich verlaufenen Besuch am Roulettetisch erklären würde – und nach denen mit Recht niemand fragt. Spätestens dann wird klar, dass ihre spezielle Betrachtung bei Muslimen nur eines ist: diskriminierend.
Natürlich haben Schünemann und seine Ministerialen sich dagegen abgesichert, als allzu naiv dazustehen. Den Radikalisierungskatalog definierten sie schlicht als nach oben offen. Implizit steckt darin die Aufforderung, nicht nur jene zu denunzieren, die die amtlichen Kriterien zu erfüllen scheinen – sondern auch noch ständig eigene, neue Verdachts-Merkmale zu suchen und zu finden.
Damit erzeugen sie am Ende ein Klima des Argwohns und der Angst.
Fehler auf taz.de entdeckt?
Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!
Inhaltliches Feedback?
Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.
Kommentar von
Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
mehr von
Jan Kahlcke