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Neuer Verfassungsschutz-ChefMaaßen weiß es besser als die Justiz

Der künftige Verfassungsschef Maaßen sagt, seine umstrittene Ansicht zum Fall Kurnaz sei die einzig mögliche gewesen. Ein Gericht sah das bereits 2005 anders.

Maaßens Sicht auf den Fall Kurnaz wird vielfach kritisiert. Bild: reuters

BERLIN taz | Hans-Georg Maaßen hat sich mit eindeutigen Worten verteidigt. Ihm sei im Fall des Ex-Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz kein Vorwurf zu machen, sagte der Mann, der ab August Chef des Bundesverfassungsschutzes werden soll, am Donnerstag vor Journalisten.

Er habe lediglich die damalige Rechtslage dargestellt und die sei eindeutig: Wer sich länger als sechs Monate im Ausland aufhält, verliere seine Aufenthaltsgenehmigung – ohne Ausnahme, ohne Härtefallregelung. Ob er aus heutiger Sicht diese Einschätzung wieder treffen würde, wurde Maaßen gefragt. Seine klare Antwort: Ja. „Die Norm ist überhaupt nicht auslegungsfähig“, behauptete er.

Aber so eindeutig ist die Sachlage nicht. Es gibt nämlich ein rechtskräftiges Gerichtsurteil im konkreten Fall, das Maaßens Aussage widerspricht. Das Verwaltungsgerichts Bremen hat im November 2005 festgestellt: Die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung von Kurnaz ist gar nicht erloschen.

Begründet wurde das – mit einer Härtefallregelung. Es sei zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Aufenthaltsgenehmigung im Falle sechsmonatiger Ausreise erlischt, so das Gericht damals. Es sei allerdings zu berücksichtigen „dass der Erlöschenstatbestand (...) an einem durch den Willensentschluss des betroffenen Ausländers begründeten Auslandsaufenthalt anknüpft“. Und freiwillig war Kurnaz in Guantánamo mit Sicherheit nicht. Er wurde Ende 2001 in Pakistan verhaftet und noch vor Ablauf der Sechsmonatsfrist in das Gefangenenlager auf Kuba gebracht.

Eine „singuläre Entscheidung“

Dort, so das Gericht, habe Kurnaz gar nicht die Möglichkeiten gehabt, die Häftlinge sonst haben, etwa Kontakt zu einem Anwalt aufzunehmen. Es sei offenkundig, dass Kurnaz „aufgrund der Haftbedingungen objektiv gehindert war, fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung seiner Wiedereinreisefrist zu stellen.“ Die Möglichkeit aber sei vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen. Deshalb sei Kurnaz‘ Aufenthaltsgenehmigung auch nicht erloschen.

Maaßen sagte am Freitag auf taz-Anfrage: „Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Bremen spielt keine Rolle, da sie singulär war.“ Es habe keine Rechtsgrundlage für sie gegeben. Sie sei den „politischen Umständen“ geschuldet. Er verweist auf den Bericht des BND-Untersuchungsausschusses aus dem Jahr 2009, in dem das Bremer Urteil erwähnt wird. Dort ist die Rede von einer „abweichenden Auffassung des erstinstanzlichen Verwaltungsgerichts Bremen, (…) die damals bestehender Rechtssprechung widersprach und in den Folgejahren von keinem anderen deutschen Gericht aufgegriffen wurde“.

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11 Kommentare

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  • W
    wauz

    Ein Globke!

  • N
    Nordwind

    Voraussetzung für Präsidenten des VS:

     

    Mäßige Intelligenz und rechtslastige Konditionierung.

  • J
    Justiz

    Die Rechtsauffassung von Maaßen wird auch vom Bundesverwaltungsgericht geteilt (Urteil vom 17. Januar 2012, Aktenzeichen BVerwG 1 C 1.11).

  • L
    lowandorder

    Der Mann redet sich um Kopf und Kragen!

     

    Denn selbst wenn man der Auslegung des VG Bremen nicht folgen wollte,

    ist die einfachrechtliche ´Reise´ entgegen der Auffassung von Herrn Maaßen noch nicht zu Ende.

    Denn - niemand darf sich auf den Nichteintritt eines Rechtes berufen, wenn er dessen Nichteintritt selbst schuldhaft verhindert!

     

    Eben das - die rechtzeitige Nichteinreise und damit den Fortbestand der Aufenthaltsberechtigung von Murat Kurnaz - hat die Bundesrepublik schuldhaft durch das Belassen in Quantanamo verhindert.

     

    Der obige Grundsatz findet sich in der Rechtsprechung zu § 242 BGB - im Sinne aller billig und gerecht Denkenden - und gilt auch im öffentlichen Recht , also auch hier.

     

    Wie der Grundsatz auf Latein lautet , ist mir entfallen. Ich meine aber, daß er bereits in den Pandekten zu finden ist - also schon bei den ollen Römern galt. Was ja auch bei einigem Nachdenken naheliegend ist.

    Nur nicht für Herrn Maaßen und - Herrn Steinmeier.

     

    Also der ´kleine Öffentliche´ - nur so mit Repetitorwissen? also das wär schon schwer geworden.

  • L
    lowandorder

    Ad fontes - und die beste Kolportage taucht nix oder nur wenig.

     

    Danke für das Urteil des Verwaltungsgrichts Bremen im Netz - das hatte ich übersehen.

     

    Ja diese Richter haben gar nicht erst in die Sterne - sprich die Verfassung - gegriffen, sondern den Fall Murat Kurnaz ./. BRD mit einfachen Bordmitteln und überzeugend aus dem Gesetz gelöst.

    Der - ebenfalls greifenden Notbremse des Verfassungsgrundsatzes der Unverhältnismäßigkeit - bedurfte es also gar nicht.

     

    Der Fall des nicht rechtzeitig innerhalb von sechs Monaten zurückkehrenden Ausländers ist ja ein gängiges Problem solange es das Ausländerrecht gibt.

     

    Und selbst in Westfälisch Sibierien (vulgo: Sauerland) wurden Fälle der rechtlichen und tatsächlichen Unmöglichkeit als ich dorten noch für Ausländerrecht zuständig war, in vergleichbarer Weise - etwas schlichter - gelöst.

     

    Ich kann nur annehmen, daß Herr Maaßen diesen bekannten fälschlich orangefarbenen Kommentar für AuslR benutzt hat, der extra im Giftschrank stand, damit nicht einer von den jüngeren, unerfahreneren Kollegen im Samstagsdienst versehentlich aufgrund der dortigen hanebüchenen Rechtsmeinunggen Mist baute.

     

    Herr Maaßen sollte es wirklich weil offensichtlich indolent dran geben und aus der Schußlinie genommen werden.Er reitet sich ja immer tiefer rein, obwogl - Kommentar auf den Tisch knallen, das ist spät4estens seit Otto dem Großen Schily ja Usus im Innenministerium. Da hat Laurence Thio ja noch mal Glück gehabt, daß er kein subalterner Bediensteter dieser Behörde ist. Sonst - schnell ducken.

  • DB
    Die bösen Migranten

    Ihr werdet den VS-Präsidenten bekommen, den Ihr verdient. Einen, der Migranten überwacht statt Neonazis.

  • W
    Weinberg

    Es ist schon erstaunlich, welche Flachzangen mit einer eigentümlichen Rechtsauffassung sich in den Bundesministerien und -behörden tummeln.

  • C
    Celsus

    Die Entscheidung eines Gerichtes wird also einfach mal eben als singulär bezeichnet, weil sie einem nicht passt? Denn in Kenntnis dieser Entscheidung, die von dem neuen Spitzenbeamten ja nicht abgeleugnet wird und erleuchtet von den Grundprinzipien unserer Verfassung, die eben auch Menschenwürde, körperliche Unversehrtheit und all so was schützen, hätte doch das Ermessen anders ausgeübt werden können und nach meiner Auffassung auch müssen. Das nennen wirkliche Sptizenleute in Kenntnis unserer Verfassung dann die sogenannte verfassugnskonforme Auslegung von Gesetzen.

  • A
    anis-monchichi

    was damals recht war, kann heute kein unrecht sein.

  • L
    lowandorder

    Das darf doch nicht wahr sein!!!!!!!!!!!!

     

     

    "Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen war singulär?"

     

    Ich glaub´s nicht. So Panne kann doch niemmand sein.

     

    Singulär? Das war kleines Verfassungs-einmal-eins. Mehr brauchte es nicht.

    Deswegen hat die Bundesrepublik das Urteil ja auch rechtskräftig werden lassen.

    Weil sie sich die Ohrfeigen der Obergerichte einschließlich des Bundesverwaltungsgerichtes - und den Sturm der Entrüstung in der Öffentlichkeit ersparen wollte. Wer hat schon gerne schlechte Presse.

    Und - nicht zu vergessen, die Entschädigungszahlungen.

    Die wären dann noch klarer gewesen.

     

    Dieser Mann ist ja voll indolent - der merkt ja gar nichts mehr.

     

    Als ich einem ehemaligen Schlapphutpräsidenten, den man zu meinem Entsetzen zum OVG-Präsidenten und obersten Verfassungsrichter gemacht hatte, das in dem Kreis sonst übliche "Du" mit der Begründung verweigerte, das wolle ich erst mal abwarten, ich wisse ja nicht, ob er nicht vor eine paar Wochen noch in der AKW- oder Friedensbewegung aktive Kollegen bespitzelt habe, ahnte ich nicht, wie berechtigt solche Zweifel sein können.

     

    Dem hier kann man ja gar nichts anvertrauen, schon gar nicht den Schutz der Verfassung.

    Mit Ludwig Thoma " er war Einser-Jurist, und auch sonst von mäßigem Verstand."

    Obwohl ich mich schon frage; nur mit Reptitorwissen kommt man ohne anderen Rückenwind eigentlich nicht so weit.

    Anyway. Ungeeignet für - allem.

  • QJ
    "Die Justiz"

    Die Rechtsauffassung von Maaßen wird durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 2012 (Aktenzeichen 1 C 1/11) bestätigt.