piwik no script img

Kolumne Nebensachen aus StamsundBlutige Lofoten

Reinhard Wolff
Kolumne
von Reinhard Wolff

Behandlung beim diensthabenden Arzt aus Dänemark unter der Mitternachtssonne Stamsunds. Mit im Spiel: ein scharfes Fleischmesser, viel zu viel Blut und keine Betäubung.

S TAMSUND taz „Es blutet zu wenig“, deutet Roar auf meinen linken Handrücken: „Ich hole ein scharfes Fischmesser, schneide die Wunde auf und nähe sie dann mit Nadel und Faden zusammen.“

Gleich mein erster Tag auf den Lofoten ist nicht ganz so glücklich verlaufen. Nach einem Willkommensschwätzchen mit Roar schnell mein Zimmer in seinem „Justads Vandrerhjem“, dem Hostel von Stamsund, bezogen und dann noch auf den naheliegenden Berg, um die tolle Sicht zu genießen.

Kurze Unaufmerksamkeit, ausgerutscht, ein spitzer Stein. Die Wunde ist fast zehn Zentimeter lang und ich finde, dass sie eher schon zu viel als zu wenig geblutet hat.

Roars Angebot mit dem Fischmesser möchte ich nicht annehmen: „Es gibt wohl keinen Arzt, kurz vor Mitternacht?“ – „Doch, wir haben auf der Insel eine Legevakt rund um die Uhr.“ 20 Minuten später begrüßt mich Sören, „Legevakt“, der diensthabende Arzt. In T-Shirt und Shorts sitzt er vor dem Krankenhaus in Gravdal in der Mitternachtssonne. „Endlich Arbeit!“, freut er sich.

privat
REINHARD WOLFF

ist Skandinavien-Korrespondent der taz.

Zwei Wochen Lofoten statt zwei Monate Dänemark

„Dänemark?“, frage ich wegen der Aussprache. – „Ja, Kopenhagen“, strahlt er. Und während er mir eine Tetanusspritze in den Oberarm jagt, erzählt er, dass das Königreich Norwegen sich diesen Bereitschaftsdienst einiges kosten lässt. Zwei Wochen Lofoten – da verdiene er so viel wie in Dänemark in zwei Monaten.

Das norwegische Gesundheitswesen hat chronische Personalprobleme. In der Urlaubszeit wird es besonders kritisch. Manche seiner dänischen Kollegen seien den ganzen Sommer in Norwegen auf Tour und machten Urlaubsvertretungen, berichtet Sören. „Und ihr Job in Dänemark?“ – „Da holen wir uns Ärzte aus Polen oder Spanien. Du, das muss ich nähen. Du brauchst doch keine Betäubung?“

Voll des Lobs über das norwegische Gesundheitswesen, das sogar für die 20.000 EinwohnerInnen einer Lofoten-Insel ein voll ausgebautes Krankenhaus bereit hält, sitze ich eine Stunde später auf dem Kai des Hostels in Stamsund. Die Sonne klettert schon wieder höher am Himmel, doch viele Gäste denken nicht ans Schlafen. Ich schon gar nicht: Die Hand schmerzt höllisch.

Es floss doch zu wenig Blut

„Wenn du auch unbedingt zum Veterinär musst“, brummt Roar: „Das hätte ich besser hingekriegt.“ „Vielleicht solltest du noch mal zum Arzt“ meint zwei Tage später Barbara, Apothekerin aus Leverkusen und deutet auf meine rotgeschwollene Hand.

Es ist Sonntag. Sören hat wieder Dienst und scheint nicht überrascht: „Antibiotika. Weißt du: Es hat zu wenig geblutet.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Reinhard Wolff
Auslandskorrespondent Skandinavien und das Baltikum
Lebt in Schweden, schreibt seit 1985 für die taz.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!