DIE WAHRHEIT: Vom Häuten der Nudel
H ätte damals mein arabischer Vater nicht beim Münzenwerfen gegen meine deutsche Mutter verloren, dann könnte ich jetzt durch die Talkshows tingeln und über meinen Penis reden beziehungsweise über meine fehlende Vorhaut. Und je nachdem, könnte ich über ein Trauma klagen oder die hygienischen und sexuellen Vorteile preisen. Aber diese Karriere bleibt mir nun verwehrt, weil kein Arzt, Beschneider oder – wie bei meinem Vater – Friseur an meinem Geschlechtsteil herummanipulieren durfte. Ob das nun gut oder schlecht ist? Ich weiß es ja nicht, auch wenn mich die vermeintlichen sexuellen Vorteile doch mal interessieren würden …
Nur, damit das klar ist: In einer idealen Welt schneidet niemand kleinen Jungs was vom Pimmelchen ab und niemand traumatisiert Kinder, indem er ihnen erzählt, es gäbe eine Hölle oder einen „lieben“ Gott, der „alles sieht“. Auch zwingt dort niemand Kinder, sich mit alleinstehenden Männern in dunklen Kabäuschen zu treffen und diesen dort von ihren Sünden zu berichten oder mit dem Wachtturm von Tür zu Tür zu gehen. Aber leider ist die Welt nicht ideal. Leider zählen Erwachsenenrechte – wie die Religionsfreiheit – bei uns mehr als Kinderrechte. Doch für den Kampf gegen diesen skandalösen Umstand ist die Beschneidungsfrage das falsche Schlachtfeld. Zumindest wenn man dabei die Gerichte bemüht.
Verbot hin oder her, die Beschneidungen würden weitergehen. Und wenn sich eh keiner dran hält, kann man das Verbot auch gleich lassen – eine These, die nicht zuletzt durch das andauernde Fiasko der Drogenprohibition hübsch bebildert wird. Schließlich geht es hier nicht um Mord oder Vergewaltigung. Oder um ein Delikt, das sich bei Duldung jeden Tag wiederholen könnte, sondern – zumindest, was das einzelne Opfer betrifft – um eine einmalige Körperverletzung. Und die wird aus religiösen, also irrationalen Gründen begangen. Da ist weder mit Argumenten noch mit Strafen etwas zu machen.
Wobei das propagandistische Horrorszenario der Beschneidungsbefürworter, bei einem Verbot würde die Vorhaut künftig unhygienisch auf dem Küchentisch abgesäbelt, auch Nillenkäse ist. Juden und Muslime haben dafür kompetente Fachleute oder lassen es dann eben in Holland oder im nächsten Türkeiurlaub erledigen.
Doch auch die Beschneidungsgegner haben so ihre Irrationalismen beziehungsweise ein kurioses parareligiöses Sendungsbewusstsein. Sie fühlen sich im Besitz der allein selig machenden Wahrheit und scheinen die Abschaffung der Beschneidung partout erzwingen zu wollen, zur Not mit Sanktionen. Diese Art der Menschheitsbeglückung hat aber leider noch nie funktioniert, auch wenn die Beglücker in der Sache noch so recht hatten.
Trotzdem ist es selbstverständlich immer richtig, Gläubischen mitzuteilen, dass man ihre skurrile Weltsicht nicht teilt. Wenn die Diskussion jetzt noch ihre autoritäre, christlich-selbstgerechte Schlagseite verlöre, dann könnte sie – ohne Androhung von juristischer Haue – von mir aus noch länger dauern.
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