MIT FERNBEDIENUNGEN GEHT ALLES VIEL LEICHTER
: Praktische Aspekte der „Berliner Ökonomie“

Auf Flohmärkten funktionieren viele Geschäftsmodelle

VON HELMUT HÖGE

Ich sammel Dias und gehe deswegen gelegentlich auf Flohmärkte. Die meisten Märkte hat hier der Kunstsammler Michael Wewerka gepachtet. Man trifft ihn allerdings eher auf Ausstellungseröffnungen als zwischen den Ständen seiner Händler. Anders der Pächter des Hallenmarkts an der „Arena“ in Treptow, der oft sogar unter der Woche da ist, wenn der Markt geschlossen ist. Dann finden dort nicht selten Dreharbeiten für Spielfilme statt.

Es gibt da unter anderem einen kleinen Stand gleich am Eingang, der 10.000 (!) verschiedene Fernbedienungen im Angebot hat. Er gehört Tina Vollmer und Ahmad Alik. Die unverheiratete Tina ist ambulante Schwerstpflegehelferin, der Familienvater Ahmad war Kommunikations-Elektroniker bei Siemens. Sie ist für die Finanzen zuständig, er für die Technik. Außerdem hilft sie seinen Kindern bei den Hausaufgaben, Ahmads Frau kocht dafür für sie mit. Den Stand haben die beiden seit 1998, sie zahlen 180 Euro im Monat dafür. Ihre Kunden sind meist Studenten und Hartz-IV-Empfänger – „die kommen sogar aus Spandau und dem Umland“ – und haben ihre Fernbedienung (FB) entweder verloren, fallen gelassen, mit Flüssigkeit übergossen, wegen des schlechten Programms zertreten oder Hund, Katze oder Papagei hat das Plastikgehäuse zerbissen. Einmal kam ein Punk, dessen Ratte alle Knöpfe angeknabbert hatte.

Bei vielen Modellen gibt es schon nach sieben Jahren keine Ersatzteile mehr, zum Beispiel den Quarzresonator. Man kann andere FB daraufhin umprogrammieren, oder der Kunde begnügt sich mit einer „Universal-FB“, die aber nur die Grundfunktionen hat. Die FB kosten zwischen 5 und 20 Euro, für Reparaturen zahlt man 10 Euro.

Bis zur EU-Erweiterung wurde der Flohmarkt massenweise von Osteuropäern besucht. Jetzt ist es da manchmal richtig ruhig. Dafür hat sich das FB-Geschäft von Tina und Ahmad über das Internet erweitert in alle Welt.

Die taz-Leserin Tina kommt aus einem Dorf bei Münster und wurde dort von einer Landkommune in der Nachbarschaft politisiert, Ahmad stammt aus Pakistan, seine Frau bekam gerade ihr viertes Kind, seine zwei ältesten Töchter gehen aufs Gymnasium. Bevor die beiden ihren Stand eröffneten, sammelten sie 1.000 FB auf diversen Flohmärkten ein. Heute bekommen sie manchmal ganze Kartons voll von Fernsehtechnikern oder Kunden, die ihre FB sonst teuer entsorgen müssten.

Die Geschäftsidee stammt von Ahmad: Ihm war ein Jahr vor dem Mauerfall die FB für seinen Grundig-Fernseher kaputtgegangen; die neue sollte 50 Mark kosten. Nach langem Suchen fand er auf einem Flohmarkt eine gebrauchte. Er hatte damit eine Marktlücke entdeckt.

Die beiden betreiben ihren FB-Stand eher aus Spaß – „für ein Taschengeld“, wie sie sagen. „Der Flohmarkt ist auch ein bisschen mein zweites Zuhause“, meint Tina, die sich an den rauen Ton, der dort herrscht, „längst gewöhnt hat“. Immer wieder ist sie versucht, vom Zustand der FB ihrer Kunden auf deren Persönlichkeit zu schließen – auch, „was passiert ist“. Einmal kam zum Beispiel eine Frau mit einem blauen Auge und legte eine kaputte FB auf den Tisch. Tina vermutete – zu Recht, wie sich dann herausstellte –, dass sie damit im Streit nach ihrem Freund geworfen und ihn verfehlt hatte. „Die schwierigsten Kunden sind Geschäftsleute, die gar nichts bezahlen wollen, die einen dreist anlügen – nur um ein paar Euro zu sparen. Meistens sind es Leute aus Zehlendorf und Dahlem, die um den Preis feilschen. Und anschließend zahlen sie mit einem Hunderter. Die wissen nicht, sich in Armut zu benehmen.“