piwik no script img

Radio-Show in Afghanistan„Wenn die Taliban anrufen, lege ich auf“

Nasratullah Khatir ist Radiomoderator – in einer US-Militärbasis in Afghanistan. Die Taliban rufen auch an. Sie wünschen sich keine Lieder, sondern seinen Tod.

„Hallo, ich wünsche mir 'Like a virgin' von Madonna.“ Bild: dapd
Interview von Christian Kreutzer

Von Nasratullah Khatir darf man nicht viel erzählen: Jedes Wort bringt seine Jäger näher an ihn heran. Deshalb nur so viel: Der junge Paschtune, der eigentlich anders heißt, moderiert unter dem Schutz der Isaf-Truppen eine Radio-Popshow im Taliban-Gebiet. Viele seiner Hörer in der abgeschiedenen Provinz Kunar an der pakistanischen Grenze erleben erstmals, wie witzig freie Meinungsäußerung sein kann.

taz: Herr Khatir, Sie senden unter anderem von den Taliban verhasste Popsongs. Haben Sie manchmal Angst um Ihr Leben?

Nasratullah Khatir: Natürlich habe ich Angst. Aber ich mache die Popshow von einer US-Basis aus, was die meisten Leute nicht wissen.

Aber Sie selbst leben draußen.

Stimmt, ich bin von hier. Ich arbeite aber schon seit Längerem als Übersetzer für die Amerikaner, und hier in meinem Studio arbeite ich als DJ. Ich habe aber meinen Namen geändert. Die Leute kennen mich nur als Nasratullah Khatir. Meinen richtigen Namen verrate ich natürlich nicht.

Welche Art von Programm machen Sie?

Morgens senden wir Koranrezitationen, Erläuterungen und so weiter. Dann folgt die Rede eines Mullahs. Dann kommen Nachrichten von Distriktgouverneuren, der Polizei und Dorfältesten.

Das klingt nicht nach einer Popshow.

Das ist ja auch nur das Morgenprogramm. Um 9.30 Uhr folgen dann die Nachrichten aus ganz Ostafghanistan – also unserem Staat Kunar, dann Laghman, Nangarhar und Nuristan. Dann fängt die Anrufershow an. Die geht täglich von 10 bis 11 Uhr.

Und wer ruft da an?

Die ganzen Leute aus den nahe gelegenen Distrikten. Sie wünschen sich dann indische oder paschtunische Popsongs, hin und wieder auch traditionelle Musik. Wir präsentieren das als Unterhaltungsshow. Wir machen Späßchen mit den Anrufern, und die reden mit uns und können zum Beispiel Nachrichten und Grüße an andere Leute schicken, die gerade zuhören

taz
Im Interview: 

sonntaz

Diesen und viele andere spannende Texte lesen Sie in der aktuellen sonntaz vom 4./5.8.2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

Rufen nur Männer an oder auch Frauen?

Sowohl als auch.

Machen Sie mit den Frauen auch Späßchen?

Ja, manchmal schon. Während der Anrufershow sind wir natürlich ein bisschen vorsichtig. Wenn wir mit den Frauen reden und Fragen stellen, müssen wir auf die paschtunische Kultur Rücksicht nehmen, sonst wollen uns die Leute bald nicht mehr hören. Viele haben schon ein bisschen Angst, bei uns anzurufen. Aber manche schnappen sich einfach die Handys ihrer Väter oder Ehemänner oder Brüder, und die kriegen gar nichts davon mit, dass ihre Tochter oder Frau oder Schwester hier anruft.

Die rufen heimlich an?

Ja, und wenn sie wollen, dürfen sie bei uns sogar Witze erzählen. Wir drängen sie aber nicht dazu.

Sind das junge Mädchen, die anrufen?

Es sind auch ältere Hausfrauen dabei, vor allem sind es aber tatsächlich junge Mädchen, die sich Songs wünschen.

Und was passiert, wenn die Mädchen erwischt werden?

So schlimm ist es meistens gar nicht. Meistens rufen sie nach kurzer Zeit wieder an. Die Mädchen hier sind im Großen und Ganzen so wie überall auf der Welt.

Rufen auch die Taliban an?

Ja, manchmal schon, um uns zu warnen.

Was sagen sie?

„Hör mit diesem Radioprogramm auf, sonst bringen wir dich um. Wir kriegen dich und machen dich alle.“

Sagen sie offen, dass sie Taliban sind?

Ja, sie rufen an und stellen sich vor. Dann sagen sie: „Hör auf oder wir kommen zu dir nach Hause und töten dich!“

Aber die wissen doch gar nicht, wer Sie sind?

Stimmt, aber sie tun so, als wüssten sie es.

Was antworten Sie denen?

Ich hänge einfach auf.

Wie oft kommt das vor?

Das ist bestimmt schon 50-mal passiert.

Gewöhnt man sich daran?

Irgendwie schon. Wir schreiben uns ihre Nummern und Namen auf, und wenn sie irgendwann wieder anrufen, drücken wir sie gleich weg.

Haben Sie gar keine Angst, dass Sie mal jemand an Ihrer Stimme erkennt?

Das kommt schon vor. Manchmal spricht mich jemand auf dem Markt an und sagt: „Hey, du bist doch Nasratullah Khatir aus dem Radio.“ Ich sage dann immer: Nein, das bin ich nicht. Ich heiße so und so und sage meinen richtigen Namen.

Und kommen Sie damit durch?

Viele glauben mir nicht, doch dann zeige ich ihnen meinen Pass und sage: Schau selbst – ich bin nicht Nasratullah. Ich bin Student und arbeite nirgends.

Haben Sie sich an die dauernde Gefahr gewöhnt?

Ja, aber Angst habe ich trotzdem. Ich lebe in einem Dorf in der Nähe des Camps bei meiner Familie. Um die mache ich mir mehr Sorgen. Wenn die Taliban wirklich rauskriegen, wer ich bin, holen sie sich vielleicht meinen Bruder.

Was machen Sie, wenn die Amerikaner 2014 abziehen?

Ich hoffe, sie nehmen mich mit.

Und Ihre Familie?

Die müsste natürlich auch mit, aber viel Hoffnung habe ich nicht. Wir sind sehr arm, und ich bin eigentlich der Einzige, der Geld verdient. Einen älteren Bruder habe ich auch nicht. In den USA würde ich Journalismus studieren, um noch besser zu werden …

und wieder zurückkehren nach Afghanistan?

Ja, aber eben nur, wenn ich noch besser wäre. Dann würde ich zurückkommen und einen eigenen Sender aufmachen.

Wie stehen die Leute in Ihrem Bekanntenkreis zu den Taliban?

Zwei Prozent mögen sie, der Rest lehnt sie ab. Sie wollen eine gute Regierung, Sicherheit, Frieden. Sie haben den Krieg gründlich satt. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Aber so ganz genau weiß man nie, wer alles auf ihrer Seite steht.

Die Taliban – ebenso wie al-Qaida – sagen, sie kämpfen für den Islam. Sie sind selbst Muslim. Wie klingen die Botschaften von Al-Qaida-Anführer Aiman al-Sawahiri in Ihren Ohren?

Ich frage mich wie die meisten: Wenn sie Muslime sind, warum ermorden sie dann unschuldige Menschen? Warum entführen sie Kinder, Ärzte und sogar Mullahs?

Wenn Sie zehn oder zwanzig Jahre in die Zukunft schauen: Wie könnte sich Afghanistan entwickelt haben?

Wenn wir nicht zusammenarbeiten, wird es übel aussehen. Wenn wir uns zusammentun, könnte es in zwanzig Jahren ganz schön werden. Vielleicht haben wir dann viele Touristen wie die Schweiz, denn wir haben ein sehr schönes Land mit Bergen, Flüssen und wundervollem Wetter.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • F
    Florian

    Ein sehr interessantes Interview, vielen Dank!