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Ende der SuchtberatungSuchthelfer ohne Hilfe

Gesprächsgruppen werden häufig von gut ausgebildeten Laien geleitet. Dafür gab es bislang Geld von der Stadt, das jetzt restlos gestrichen werden soll.

Bald Vergangenheit? Ehrenamtliche Gruppenleiter besprechen sich im Café Regenbogen. Bild: Moritz Kohl

HAMBURG taz | Dieter Schmidt* legt beide Hände auf die hölzernen Lehnen seines Stuhls und schaut sich um. Fünf Männer und zwei Frauen sitzen mit ihm in einem Stuhlkreis. Lächelnd beginnt er zu reden, seine Hände begleiten ihn mit kleinen Gesten: „Wir fangen mit der Befindlichkeitsrunde an. Wie geht es euch?“

Schmidt ist abstinenter Alkoholabhängiger. Er moderiert als ehrenamtlicher Suchthelfer eine der 50 Gruppen der evangelischen Landesarbeitsgemeinschaft für Suchtfragen (Elas). Rund 700 Suchtkranke erreicht die Elas so nach eigenen Angaben. Zwei Jahre lang werden Helfer wie Schmidt ausgebildet, um die Gruppen möglichst qualifiziert zu betreuen. Ein Drittel des Geldes der Elas, etwa 50.000 Euro, kommt bislang von der Stadt – und könnte bald wegfallen.

Um alle Selbsthilfeangebote gleich zu behandeln, soll die Förderung der Suchthilfe gestrichen werden. Die Gruppen sollen unter dem Dach der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen (Kiss) zusammengeführt werden, wie Rico Schmidt, Pressesprecher der Gesundheitsbehörde sagt. Momentan sei man in Gesprächen.

Kiss selbst ist wenig begeistert von den Änderungen. „Wir könnten den Wegfall spezieller Angebote nicht ersetzen“, sagt Christian Böhme, Sprecher des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, des Trägers von Kiss. Suchtkrankenhelfer aus- und fortzubilden, sei ihnen nicht möglich.

Diejenigen, die eben das anbieten, sehen ihre Projekte in Gefahr. „Es fehlt dann genau das Geld, das wir für die Aus- und Fortbildung unserer Suchthelfer brauchen“, sagt Markus Renvert, Projektleiter der Elas.

Dieter Adamski, Geschäftsführer der Landesstelle für Suchtfragen, findet eine solche Aus- und Fortbildung gar nicht so teuer. „Die Krankenkassen und Rentenversicherer könnten sich einen Ruck geben und mehr beisteuern“, sagt er. „Viele Betroffene bleiben wegen Selbsthilfe dauerhaft trocken, das spart teure Therapieplätze.“ Selbsthilfegruppen gleich zu behandeln und von fachkundigen Leuten betreuen zu lassen, sei keine schlechte Idee. „Aber dann braucht Kiss mehr Geld“, sagt Adamski.

Nach Angaben der Behörde bekommt Kiss 500.000 Euro im Jahr. Die werden für Aufgaben wie Beratung und Vermittlung aufgewandt. „Man muss umverteilen statt zu streichen“, verlangt Adamski.

Wolfgang Lütjens, Landesvorstand des ebenfalls von den Kürzungen betroffenen Selbsthilfevereins Guttempler, versteht nicht, was Streichungen mit Gleichbehandlung zu tun haben. „Man könnte ja auch den anderen das geben, was denen fehlt“, sagt er. Kürzungen zwängen die Guttempler, ihr Personal und ihr Angebot zu reduzieren.

Nach Ansicht Adamskis könnten Kürzungen langfristig das Gesundheitswesen beeinträchtigen. „Hamburg hat ein gutes, flächendeckendes System“, sagt er. „Aber wenn man es ausdünnt, sieht es in zwei, drei Jahren vielleicht viel schlechter aus.“

Der Bedarf wird wohl kaum sinken. Dr. Uwe Verthein vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg sieht seit Ende der 90er Jahre einen Anstieg der Suchterkrankungen. „Eine aktive Teilnahme an Selbsthilfegruppen wirkt sich wohl positiv auf die Abstinenz aus“, vermutet der Psychologe.

Die Linke mahnt, die Lage sei bereits verbesserungswürdig. „Gerade bei Alkohol muss Selbsthilfe noch ausgebaut werden“, findet deren gesundheitspolitische Sprecherin Kersten Artus. „Ehrenamtliche brauchen professionelle Strukturen. Wenn man sie nur ausnutzt, hören sie irgendwann auf.“

*Name geändert

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