Harte Knochen

Die 34-jährige Profiboxerin Ann „Brown Sugar“ Wolfe aus Texas will heute gegen einen Mann in den Ring steigen

Es ist eine echte Cinderella-Story: Arbeits- und seit einem Jahr obdachlose Frau mit zwei kleinen Kindern und keiner Perspektive, aufgewachsen in Armut und sozialen Unverhältnissen, kämpft sich nach oben und wird der erste Mensch, der – ob männlich oder weiblich – achtmal eine Boxweltmeisterschaft in vier verschiedenen Gewichtsklassen gewinnt. Sie kann sogar einen erfolgreichen Boxstall eröffnen, in dem sie Kinder und Jugendliche trainiert sowie Fitness- und Motivationskurse gibt. Aber den „Cinderella-Man“ gibt es beim Boxen schon. Vielleicht versucht die 34-jährige Texanerin Ann „Brown Sugar“ Wolfe darum jetzt, einen märchenhaften Sieg zu erringen: Am heutigen Freitag wird Ann Wolfe bei einem professionellen Kampf in Southaven/Mississippi gegen Bo Skipper boxen, eine Frau gegen einen Mann also. Der Kampf „Ann vs. man“ wirbelte bereits im Vorfeld so viel Publicity auf, dass man darüber fast den Sport vergessen könnte.

Die Veranstalter versichern, dass das Boxmatch durchaus ernst gemeint sei. Man habe Ann von Sportärzten extra noch mal auf Kondition und Nehmer-Qualitäten untersuchen lassen. Ergebnis: Sie habe die harten Knochen, die nötig seien. Und bei ihren vielen Siegen – Anns Statistik steht bei erst einem verlorenen und 22 gewonnenen Fights, davon 15 durch K.o. – habe sie durchaus eine reelle Chance, den 35-jährigen Skipper zu schlagen. Im letzten Jahr besiegte Wolfe die bis dato ungeschlagene Vanda Word, im August dieses Jahres ihre Angst-Gegnerin Valerie Mahfood. Nun, so wird Anns Entschluss, die Geschlechtergrenzen zu übertreten, jedenfalls begründet, fände sie einfach keine weiblichen Gegner mehr. Selbst Leila Ali, der größte Name im weiblichen Boxsport, habe ihr Angebot für einen Kampf ausgeschlagen, vielleicht aus Angst – Wolfe ist für ihre harten K.o.-Schläge bekannt.

Dennoch wittert fast die gesamte Boxwelt die Profitgier hinter dem spektakulären Kampf, der passenderweise über Pay-per-view-Kanäle weltweit übertragen werden soll. In den US-amerikanischen Boxforen schimpfen Interessierte und Experten über die Schnapsidee. Der quasi aus dem Nichts, also aus einer ominösen Amateur-Szene aufgetauchte Skipper wird als Showfighter abgetan, Kommentatorinnen ärgern sich darüber, dass Frauen anscheinend in ihren Sportarten immer dann erst ernst genommen würden, wenn sie sich in Männerarenen tummeln. Dabei könnte man sich doch zumindest vorstellen, dass eine austrainierte, professionelle Boxerin wie Wolfe durch ein gutes Auge und die nötige Schnelligkeit eventuelle Schlagkraftschwächen wettmacht.

Genau das aber bezweifeln Experten wie der Thai-Boxtrainer Dan Leschke aus dem Berliner IFCO-Boxstall, der seit Jahren Männer und Frauen trainiert: „Wenn der Mann ebenfalls boxen kann, hat eine gleich schwere Frau allein wegen der Schlagkraft gegen ihn keine Chance.“ Eine Frau könne einfach nicht die gleichen Muskeln wie der Mann aufbauen, und ein Profiboxer weiß natürlich schwächende Körperschläge zu verhindern.

Sollte sich Skipper wiederum als Pfeife entpuppen, wäre das angeblich faire Match umso ärgerlicher – über das deutsche Medienevent Halmich vs. Stefan Raab konnten Boxfans auch nur lachen, obwohl die Fliegengewichts-Weltmeisterin immerhin jenen Männern eine Abreibung verpasst hat, die glaubten, schlichtweg jeder Mann könne eine Profiboxerin besiegen.

„Vielleicht gewinnt Wolfe ja sogar, dann aber nur, damit es einen großen Rückkampf gibt, den man wieder vermarkten kann“, meint derweil Leschke. Auch die Kreuzberger Frauen-Kickbox-Trainerin Claudia sieht wenig Chancen für Wolfe: „Wie soll sie denn gewinnen? Wenn sie verliert, dann war das allen klar. Wenn sie siegt, dann sagen alle: Es war geschoben.“ Außerdem könne Wolfe keinen offenen Kampfstil riskieren, denn von einem Mann so oft ins Gesicht getroffen zu werden wie von einer weiblichen Gegnerin sei doch weitaus gefährlicher.

Das hochtalentierte Boxfräuleinwunder Ann Wolfe ist also höchstens zu bemitleiden: Weil Wolfe dem unnötigen und unentscheidbaren Kampf zwischen männlichen und weiblichen Athleten ein trauriges Kapitel hinzufügen wird – und weil sie ihren Körper als Schachermasse für einen von vornherein unfairen Kampf zur Verfügung stellt. Andererseits ist genau das gerade im Boxsport, wo laut kritischen Stimmen mindestens 60 Prozent der Kämpfe vorher entschieden sind, wiederum höchst professionell. JENNI ZYLKA