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Schwedenkrimi „Der Sturm“Literarisch mit der Schaufel erschlagen

Der Schwedenkrimi „Der Sturm“ von Steinfeld/Winkler ist durchaus lesenswert. Ob darin wirklich Schirrmacher ermordet wird, ist allerdings unklar.

Hat Steinfeld wirklich Schirrmacher im schwedischen Schonen literarisch ermordet? Bild: daniel.schoenen / photocase.com

Dass prominente Angehörige des Kultur- und Medienbetriebs als Schriftsteller unter Pseudonym veröffentlichen, wäre an sich keine Meldung wert. Dass jedoch der Feuilletonchef der geschätzt zweitwichtigsten deutschen Tageszeitung den der geschätzt wichtigsten in einem Kriminalroman fiktiv ermorden lässt, dies dann schon.

Und so beherrscht eine von Die Welt-Redakteur Richard Kämmerlings am 14. August in Umlauf gebrachte These seither das Tratschen im deutschen Feuilleton: Demnach soll der leitende SZ-Redakteur Thomas Steinfeld – getarnt unter dem Autorenpseudonym „Per Johansson“ – seinen Rivalen und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in dem Roman „Der Sturm“ literarisch mit der Schaufel erschlagen und vom Dachs zerfressen haben lassen.

Das gab’s nun wirklich noch nicht. In Springers Die Welt, aber auch im Deutschlandradio forderten Kritiker Steinfelds Kopf. Der sah sich gezwungen, sein Pseudonym zu lüften (er hat „Der Sturm“ tatsächlich zusammen mit Martin Winkler verfasst), dementierte jedoch im gleichen Atemzug, dass Schirrmacher mit der ermordeten Figur des Journalisten Christian Meier im Buch identisch sei.

Wer auch immer aus dem Umfeld Steinfelds oder des S. Fischer Verlags sich verplapperte und Kämmerlings auf die Fährte mit dem Pseudonym brachte, er oder sie meinte es nicht gut mit Steinfeld und nicht gut mit Schirrmacher. Der eine steht seither als eitler Psychopath da, der andere als ein in Sexforen chattender Spinner und machtgeiler Opportunist. Doch aus einer halben Wahrheit wird noch keine ganze.

„Alles deutet darauf hin“, schreibt Kämmerlings, „dass der Feuilletonchef einer großen überregionalen Tageszeitung sich eine komplette Deckidentität inklusive getürkten Autorenfotos erfindet, um seinem Exchef und Blattmacher-Rivalen unter dem Mantel der Fiktion eines grausigen Todes sterben zu lassen und dessen publizistisches Schaffen durch den Dreck zu ziehen.“ Alles, wirklich? Das mit dem Pseudonym stimmt, doch der Rest?

Dürftige Beweislage

Nun, da das Buch seit dieser Woche erhältlich ist (ein Teil in der Erstauflage mit Autorenpseudonym Per Johansson, die Zweitauflage mit den Namen Steinfeld/Winkler folgt zugleich), deutet einiges darauf hin, als habe sich Kämmerlings vieles, was den Roman, den Autor und die Ähnlichkeit zu real lebenden Personen angeht, selbst ausgedacht. Der Fall erinnert darin in vielem dem seines Kollegen Georg Diez, der ebenfalls mit außerliterarischen Methoden versuchte, den Schriftsteller Christian Kracht prominent zur Strecke zu bringen.

„Härter als in diesem Schlüsselroman hat öffentlich noch niemand Schirrmacher angegriffen, jedenfalls niemand auf Augenhöhe“, raunte Kämmerlings und ließ seine Interpretation der Romanfiguren so schlüssig erscheinen, so schlüssig, als habe er sie sich über die Lektüre detektivisch erschlossen und nicht umgekehrt nachträglich über den Tipp mit dem tatsächlichen Verfasser zusammengereimt.

Denn nach Prüfung des Romans muss man sagen: Wäre der Verfasser ein Johansson geblieben, Kämmerlings wäre wohl kaum auf seine abstrusen Schirrmacher-Analogien gekommen. Sie sind aus der literarischen Konstruktion von „Der Sturm“ kaum ableitbar.

Ist Schirrmacher der „big shot“?

Steinfeld/Winklers Figuren sind viel zu offen angelegt, als dass man sie allesamt 1 zu 1 auf real existierende Personen beziehen könnte, geschweige denn auf Schirrmacher. Der „big shot“, von dem Steinfeld/Winkler in ihrem Roman schreiben und der da tot in einem Schuppen im südschwedischen Schonen nahe Osby liegt, heißt zwar im Roman Christian Meier und ist ein deutscher Journalist aus Berlin. Er arbeitet aber nicht für ein gediegenes Blatt wie die FAZ, sondern für ein etwas windigeres, ähnlich der New York Post, so der Autorenhinweis, also einem konservativen Boulevard, den es so in Deutschland gar nicht gibt.

Die Romanfigur Meier war in „Der Sturm“ vor seiner Ermordung eher investigativ als feuilletonistisch unterwegs, in Machenschaften verwickelt, die zu seinem Tod führten und die so gar nicht ins abgezirkelte Umfeld des deutschen Qualitätsfeuilletons passen würden. Kämmerlings Beweislage ist literarisch dürftig, Steinfeld/Winklers Roman durchaus lesenswert.

taz

sonntaz

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Land und Leute im südschwedischen Schonen fängt er gut ein und auch seine Hauptfigur, der Aussenseiter und Lokaljournalist Ronny Gustavson, gibt in dem Roman eine interessante Figur ab. Das scheint durchaus fortsetzungsfähig. Die Region Schonen ist in diesem Roman das Synonym für eine globalisierte Peripherie, die mit dem Ausbau der Infrastruktur und den digitalen Netzwerken unversehens zum Zentrum internationaler Machenschaften werden kann. Da Steinfeld/Winkler allerdings an Gott (Bob Dylan) und Anemonen (Schonen, Tradition und Natur) glauben, bleibt der Mensch und all seine Technik doch eine endliche Größe.

Ein reinigender Sturm fegt durch den Roman und deckt dabei in seiner Unbeherrschbarkeit einiges auf. Vieles, was mit New York, Schonen und Berlin genauso zu tun hat oder haben kann wie mit den kommunizierenden Röhren der Hacker („Freibeuter“, „Pirate Bay“) und Sicherheitsfirmen, die die großen Daten und Finanzströme in den Metropolen attackieren oder vor unerlaubten Zugriff schützen sollen.

Romanfigur als kleines Licht

In alldem bleibt die Romanfigur des erschlagenen und vom Dachs angeknabberten Christian Meier eher ein kleines Licht. Er ist der, der für die Dramaturgie dazwischentrampeln muss. Der, der ungewollt das Unsichtbare sichtbar macht, die Dinge zwischen New York und dem Schloss Ekeby Gard miteinander verbindet und in seiner Maßlosigkeit umkommen wird. Sicher kein schöner Tod für einen „big shot“. Aber so ist es halt.

Die Figur des toten Meiers dient als Antipode vor allem der literarischen Konturierung des höchst lebendigen Deleuze-Schülers und früheren radikalen Linken Ronny Gustavson. Der 49-jährige Lokaljournalist ist die desillusionierte Hauptfigur. Einer, der auszog und heimkehren musste und sich nun fernab der Hauptstadtbüros mit Provinzbullen wie Pelle herumärgern muss.

Doch Ronny, der Amateur, wird fast alles herauskriegen, was es herauszukriegen gilt. Er verfügt über ausreichend technisches Wissen, gute Allgemeinbildung, einen verlässlich-elitären Freundeskreis sowie einen Lokalreporterjob, der ihn zwingt, dorthin zu gehen, wo es wehtut. Mag sein, dass dies etwas romantisch klingt, aber für einen konventionell gut geschriebenen Krimi zwischen Walker, Harris und einer Handvoll Schweden reicht dies allemal.

Unterhaltsam war das Gerücht trotzdem

Natürlich wäre die Meldung: Ja, es ist Steinfeld, und, nein, es ist nicht Schirrmacher, kaum eine Schlagzeilen generierende geworden. Aber Kämmerlings sei Dank, wissen wir jetzt tatsächlich mehr und hatten es auch sehr unterhaltsam.

Zum Beispiel mit Hans Ulrich Gumbrecht, Professor an der Stanford University und Schirrmachers Doktorvater. Er schaltete sich in die Debatte via Deutschlandradio ein und ließ die Hörer wissen, dass „das deutsche Feuilleton schon national gesehen einen großen Einfluss, einen großen Impact“ habe und auch „international sehr beachtet und geschätzt“ würde, mit Schirrmacher an der Spitze („das präsidierende Genie“). „Und ich sage das mit Bewunderung“, so Gumbrecht weiter über seinen Meisterschüler, der „ein Talent für Macht hat, was unter geistigen Menschen sehr ungewöhnlich ist“.

Ganz im Gegenzug natürlich zu dem mittelmäßigen Steinfeld („ein Mann mit wenig Konturen“), dem der Krimi misslungen sei, wenn auch dies, so Gumbrecht, wohl strafrechtlich nicht zu verfolgen sei. Doch „wie diese Leiche geschändet ist“, so der Professor, „das ist ein Exzess“ („Schirrmachers Leiche von einer Dachsfamilie bestialisiert“).

Kämmerlings hatte diese Passage aus dem Buch mit dem erfundenen Bezug auf Schirrmacher genüsslich in seinem Welt-Artikel herausgestellt. Blöd nur, dass es eine literarische Figur bleibt, ein Christian Meier mit klischierten Charaktereigenschaften, die auf ziemlich viele „big shots“ zutreffen – und eben auch nicht.

(Per Johansson): "Der Sturm". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012, 336 S., 18,99 Euro

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1 Kommentar

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  • UR
    Uwe Roos

    Mal ganz ehrlich! Wen interessiert das noch? Oder anders gefragt: Hat es jemals außerhalb des Feuilletons irgendwen ernsthaft tangiert. Künstlich erzeugte "Skandale" um ihrer selbst willen. Und dann setzt Andreas Fanizadeh noch eine Rezension obendrauf. Zeilenfüller. Denn ein Schwedenkrimi ist ein Schwedenkrimi, ist ein Schwedenkrimi. Genauso lesenswert oder nicht diskutabel wie hunderte Andere dieses arg strapazierten Genres.