Paralympics-Leichtathlet über Prothesen: „Ich kann da nicht mithalten“
Der deutsche Paralympics-Sprinter und -Springer Woitek Czyz über die mangelhafte Klassifizierung der Athleten, Chancengleichheit und Prothesen.
taz: Herr Czyz, Sie haben sich im Weitsprung Silber geholt. Aber am Samstag wollten Sie nach Ihrem vierten Platz über 200 Meter mit niemandem reden. Soll man Sie feiern oder enttäuscht sein?
Wojtek Czyz: (lacht) Das können Sie machen, wie Sie wollen.
Sie sind ja nun schon viele Jahre dabei – 2004 gewannen Sie zum ersten Mal paralympisches Gold. Wird es eigentlich mit jedem Mal schwerer?
Es gibt Niveauveränderungen – ohne Frage. Heute gibt es nur noch Sportler, die wissen, worum es hier geht. Die frühere Haltung „Wir gehen mal ein bisschen joggen“ gibt es kaum noch. Natürlich ist es auch schwerer, wenn man ein bisschen älter wird.
Hat sich auch im Training etwas verändert? Sie waren ja schon Ende der 90er-Jahre dabei.
Dem 32-Jährigen musste vor elf Jahren nach einem Sportunfall das linke Bein oberhalb des Knies amputiert werden. Er hat als Leichtathlet über 100 und 200 Meter sowie im Weitsprung fünf paralympische Medaillen gewonnen, vier goldene und eine silberne. 2004 wurde er deutscher Behindertensportler des Jahres.
Also mit dem Training im Fußball zum Beispiel ist es gar nicht zu vergleichen.
Sie waren ja vor Ihrer folgenschweren Verletzung auf dem Weg, Fußballprofi zu werden.
Im Fußball trainiert man als Mannschaft. Wenn man mal einen schlechten Tag hat, hilft einem normalerweise der Spieler rechts oder links nebenan. Bei der Leichtathletik ist man auf sich alleine gestellt. Bei den 100 Metern lauft man stets gegen die Uhr und ist auf sich alleine gestellt. Daran musste ich mich erst mal gewöhnen. Auf den Weitsprung habe ich mich sehr lange vorbereitet. Das, was der Markus gesprungen ist …
… Markus Rehm, der Sieger im Weitsprung, der im Gegesatz zu Ihnen unter dem Knie amputiert ist.
Das ist für mich gar nicht möglich als Oberschenkelamputierter. Aber ich bin mit meiner Medaille glücklich, weil ich weiß, dass es das Beste ist, was man als Oberschenkelamputierter erreichen kann.
Sie sind mit der Zusammenlegung der verschiedenen Amputationenklassen also nicht glücklich?
Die Zusammenlegung ist stupide. Ich kann da nicht mithalten. Deshalb freue ich mich schon auf die 100 Meter am Mittwoch, wo ich mich nur mit in meiner Kategorie messe. Die Sportler sind inzwischen alle Profis, aber es fehlt einfach noch an der Professionalisierung der Organisation. Die Entscheidungen, die da getroffen wurden, sind weder für die Athleten noch für die Zuschauer gut. Michael Teuber (der Radsportler, d. Red.) hat ja auch schon gesagt, dass er die die Schnauze voll hat.
Und dann gibt es da noch die Debatte, die Oscar Pistorius am Sonntag angezettelt hat.
Ich habe das gesehen. Da laufen manche mit Prothesen rum, die bis zum Oberschenkel gehen, und gewinnen dann Gold. Wenn Veränderungen der Prothese zum Vorteil führen, ist das der falsche Weg. Ich gebe Pistorius da vollkommen recht. Richard Whitehead, der Sieger über 200 Meter, hat nichts mit uns zu tun – auch wenn ich ihn als Athlet anerkenne. Wenn an der Klassifizierung nichts geändert wird, kann der die nächsten zehn Jahre alleine laufen.
Wird man Sie in Rio sehen?
Man weiß, wann es genug ist. Ich mache noch ein Jahr weiter, das war’s dann. Ich bin sehr froh, dass ich hier noch mal in allen drei Disziplinen angetreten bin und bereits eine Medaille für mich und das deutsche Team gewonnen habe.
Wie ist London, verglichen mit den anderen paralympischen Spielen?
Es sind die besten Paralympics, bei denen ich je war. Die Stimmung ist unglaublich, auch die Achtung und Anerkennung, die wir bekommen – auch in Deutschland.
Wird Ihr Sport in Deutschland genug unterstützt?
Ich würde mir wünschen, dass wir so eine Unterstützung wie die Briten kriegen. Hier wurden den Athleten unglaubliche Beträge zur Verfügung gestellt. Das sieht man dann natürlich im Medaillenspiegel.
Markus Rehm hat eine Agentur, die seine Homepage fast täglich erneuert. Ihr Blog wurde seit dem 24. Juli nicht aktualisiert. Erst am Montag haben Sie ein erstes Update geschrieben.
Das ist nicht so eine Priorität für mich. Ich will das auch selbst in der Hand behalten. Aber ausgewählte Freunde und Bekannte lesen täglich von mir auf Facebook.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!