Drei Ausstellungen in Berlin: Früher bauten sie schneller
Den Luxus der Leere in Berlin-Mitte mit einem Schluck Sekt zu genießen, das geht bei dem 775.sten Jubiläum der Stadt Berlin vermutlich zu letzten Mal.
Die Stadt Berlin feiert Jubiläum. Was, schon wieder, fragt man sich als Dauerberlinerin und erinnert sich mit Grausen an die nackten Nixen, die beim letzten Jubiläum vor 25 Jahren im Ostberliner Festumzug am Staatsratsvorsitzenden in bester fürstlicher Manier vorbeigeführt wurden, was als Zeichen von Freizügigkeit galt und sehr gut ankam bei der alten Männerriege. Viel mehr ist davon nicht im Gedächtnis geblieben.
Vielleicht noch, dass es in dem Jahr besser war, nicht zu sagen, dass man Berlinerin sei, wenn man die ostdeutsche Provinz besuchte. In deren Läden herrschte gähnende Leere, weil alles nach Berlin gekarrt wurde. Damals sah ich Unter den Linden die ersten knüppelnden Polizisten, als ich mit ein ein paar tausend anderen Ostberliner Jugendlichen ein Konzert von David Bowie hören wollten, der hinter der Mauer am Reichstag sang. Die nächste Feier in Ostberlin zwei Jahre später war dann schon ein Leichenschmaus für die Partei- und Staatsführung.
Eigentlich gibt es in Berlin gerade gar nichts zu feiern, im Gegenteil. Es ist ja nicht nur der Flughafen, zu dessen Eröffnung ironiebegabte Facebooknutzer neulich für 2026 eingeladen haben; es ist auch die Rathausbrücke, die nicht zum Termin fertig geworden ist.
Die zweitälteste Spreeüberquerung
Sicher ist der Flughafen weitaus wichtiger für die Zukunft, die Brücke aber hat für die Vergangenheit der Stadt eine immense Bedeutung. Sie ist die zweitälteste Spreeüberquerung, die die beiden Schwesterstädte Cölln und Berlin miteinander verband. Im 14. Jahrhundert stand das Rathaus, um keine Seite zu übervorteilen, auf der Mitte der Brücke.
Brauchte man im 17. Jahrhundert nur zwei Jahre von der Grundsteinlegung bis zur Fertigstellung der ersten steinernen Flussüberquerung, gab es im 21. Jahrhundert drei Jahre lang noch nicht einmal einen Fußgängersteg. Hätte man sich im Mittelalter auch so viel Zeit gelassen für den Bau, wäre Berlin nie zu einer irgendwie gearteten Blüte gelangt, dann wäre Fürstenwalde vielleicht heute die Hauptstadt Deutschlands.
Nur ein schmaler Durchlass für Fußgänger ist fertig, ein wichtiger Verbindungsweg zu den Stationen des Stadtjubiläums. Denn die Stadt hat sich entschlossen, nicht ein großes Event zu veranstalten, sondern, etwas bescheidener, drei kleinere Ausstellungen im Stadtraum zu installieren, von der landeseigenen Kulturprojekte Berlin GmbH verantwortet.
1937 Festspiel im Olympiastadion
Wie es dazu kam, dass Berlin 775-jähriges Jubiläum feiert und nicht das 800., wie es eine Eichenbohle nahelegt, die vor zwei Jahren bei Ausgrabungen in Cölln gefunden wurde, zeigt die Ausstellung „Party, Pomp und Propaganda“ an der Marienkirche: Sie widmet sich dem 700. Stadtjubiläum 1937 und den beiden Feiern in Ost- und Westberlin 1987.
Die erste urkundliche Erwähnung eines Bürgers namens Symeon, Pfarrer von Colonia, der 1237 als Zeuge genannt wurde, als Datum für das 700. Stadtjubiläum zu nehmen, soll der Vorschlag eines Berliner Stadtarchivars Anfang der Dreißigerjahre gewesen sein. 1937 war er wegen seiner jüdischen Frau aus den Diensten der Stadt entlassen, und die Nationalsozialisten um den Stadtpräsidenten Lippert organisierten ein einwöchiges Stadtfest mit Festumzug, Jahrmärkten und Festspiel im Olympiastadion.
Fünfzig Jahre später hatten die beiden Stadthälften keinerlei diplomatische Beziehungen zueinander und versuchten sich gegenseitig mit Feierlichkeiten zu übertrumpfen. In Ostberlin gab es ein Staatsfest, das ein Jahr dauerte und den Weg vom Mittelalter in die lichte sozialistische Gegenwart bei vollständiger Ausklammerung des Westteils der Stadt beschrieb.
In Westberlin huldigte man den Zwanzigerjahren als letzter Blütezeit der Stadt und ließ Boote in einem Korso auf Flüssen und Kanälen fahren. Was auffällt, ist, dass den Gegenbewegungen, ob nun in Kreuzberg oder in Prenzlauer Berg, gegen die offiziellen Feierlichkeiten 1987 auf den Litfaßsäulen eine viel größere Bedeutung beigemessen wurde, als man sie in Erinnerung hat.
Eine vergessene Lateinschule
Weiter östlich wird in einer zweiten Ausstellung rechts und links des Mühlendamms und der Grunerstraße in acht pinkfarbenen Türmen der mittelalterlichen Stadt gedacht, die in den letzten Jahren von den Archäologen an vielen Stellen freigelegt wurde. Dabei traten neben der schon erwähnten Holzbohle erstaunliche Dinge zutage, die Grundmauern einer fast vergessenen Lateinschule, ein mittelalterlicher Friedhof mit 350 Skeletten, Spielzeug und Alltagsgegenstände. In dieser Präsentation werden Klischees des Mittelalterbildes durch kluge Erklärungen widerlegt. Das ist nicht nur für Kinder interessant.
Die schönste Ausstellung ist der begehbare Stadtplan im Maßstab 1 : 775 auf dem Schlossplatz, dort, wo ab nächstem Jahr in voraussichtlich hundert Jahren Bauzeit das Berliner Schloss wiedererrichtet werden wird. Unter dem Motto „Stadt der Vielfalt“ wird Berlin seit seiner Gründung als Stadt der Migration beschrieben, in der Westfalen, Flamen, Hugenotten, Türken, Polen, Breslauer, Sachsen, Tschechen, Italiener und viele andere mehr ihr Zuhause fanden.
In der Art von Haltestellenschildern sind die Biografien ausgesuchter Einwanderer unter verschiedensten Themen wie Literatur, Musik, Kulinaria, Religion, Arbeit oder Sport an der Stelle im Stadtplan aufgestellt, wo diejenigen wohnten oder wie im Fall von Kartoffel, Lacrosse, Döner oder Carillonspiel ihre geografischen Anfänge hatten.
Man kann zwischen Frohnau und Rudow, Marzahn und Spandau auf dem Stadtplan herumschlendern, was regen Zuspruch findet. Wem etwas fehlt, der kann die Ausstellung ergänzen oder seine eigene Migrationsgeschichte auf Postkarten erzählen.
Etwas abseits vom Trubel sitzt ein älteres Paar auf einem der Holzstege, die für die Fußgänger über die Schlossplatzwiese gelegt worden sind. Sie haben eine karierte Decke ausgebreitet und trinken Sekt aus zwei silbernen Kelchen. Eine Fläche zu haben mitten in der Stadt, wo man einfach nur sitzen kann, ohne dafür bezahlen zu müssen, das wird in naher Zukunft als jene Zeit in die Geschichte der Stadt eingehen, als die Leere in der Mitte noch kein Luxus war.
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