piwik no script img

Wie man Lügner erkenntDer Pinocchio-Effekt

Woran erkennt man, dass jemand lügt? An der Nase, sagen Wissenschaftler. Und an den Füßen – deshalb sitzen Politiker im Fernsehen gern hinter einem Pult.

Beim Lügen wächst die Nase: Hier ist es die von Sarkozy. Bild: reuters

Es ist die Nase, die den Lügner entlarvt. Im August 1998 muss sich erstmals ein US-Präsident vor der Grand Jury verantworten. Bill Clinton sagt zur Lewinsky-Affäre aus. Es geht um Sex mit einer Praktikantin, um Ehebruch, um die Ehre einer Nation. Clinton windet sich, weicht aus. Aber als die Staatsanwälte ihn fragen, ob er Sex mit Monica Lewinsky hatte, fasst er sich an die Nase. Immer wieder, insgesamt 26 Mal. Psychiater, die ihn beobachten, werden misstrauisch.

Winzige Fehler in einem wahrscheinlich bestens vorbereiteten Täuschungsversuch. Die Psychiater Alan Hirsch und Charles Wolf von der „Smell and Taste Foundation“ in Chicago konnten sogar wissenschaftlich belegen, dass die Nase länger wird, wenn jemand nicht die Wahrheit sagt. Pinocchio-Effekt nannten sie die Stressreaktion. Beim Lügen setzt der Körper Hormone frei, die den Blutfluss in der Nase verstärken. Sie schwillt an und wächst tatsächlich um Millimeterbruchteile.

An Rhetorik kann man feilen. Doch was der Rest des Körpers während des Sprechens tut, ist viel schwerer beeinflussbar. Besonders wenn es nicht um die ausladende Handbewegung, sondern das winzige Zucken eines Gesichtsmuskels geht. Über 10.000 Mikroausdrücke haben Forscher in der Mimik ausgemacht und sie Emotionen wie Ekel, Ärger, Angst, Überraschung und Verachtung zugeordnet. Im Normalfall sind die Regungen unkontrolliert und nur über große Anstrengungen manipulierbar. Reiz-Reaktionssprache nennen Wissenschaftler das.

Ein Vorreiter bei diesem Thema ist der Emotionspsychologe Paul Ekman. In Tests studiert er Ausdrücke, die oft nur für Momente aufblitzen. Ekman entwickelte das sogenannte Facial Action Coding System, das Psychiatern und Kriminologen bei der Einschätzung von Patienten oder Angeklagten nutzen.

Veränderungen in Mimik und Gestik

Täuschungsversuche, egal ob sie uns Lust oder Angst bereiten, setzen den Körper unter Stress, er reagiert darauf mit plötzlichen Veränderungen in Mimik und Gestik. Lügner lecken sich die Lippen, fahren mit der feuchten Hand über die Hose, weichen mit dem Blick aus oder zupfen am Kragen, runzeln die Stirn, blinzeln. Besonders auffällig ist, wenn sich im Gespräch das Verhalten plötzlich ändert. Clinton rieb sich genau dann so oft die Nase, als er nach seiner Beziehung zu Lewinsky gefragt wurde.

taz

Diesen und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 8./9. September 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

Nonverbale Äußerungen machen etwa 65 Prozent der Kommunikation aus, in manchen Situationen, etwa beim Sex, liegt ihr Anteil bei bis zu 100 Prozent. Trotzdem falle es Laien meist schwer, in Gesichtern zu lesen, schreibt Ekman in seinem Buch „Gefühle lesen“. Denn Menschen üben früh, mit Mimik zu täuschen. Beim Lächeln funktioniere das besonders gut, weil es überall wertgeschätzt werde – bei der strahlenden Verkäuferin, dem grinsenden Kind, dem freundlichen Kollegen.

Aber unterbewusst spüren Menschen oft, wie authentisch sich unser Gegenüber verhält, wo Ausdruck und Aussage nicht zusammenpassen. Ekman kann die Mikroausdrücke, die Laien intuitiv erkennen, an Bildern nachweisen. In Filmstandbildern hält er fest, was manchmal weniger als eine Sekunde dauert.

In Gesichtern sind es vor allem die Augen, die sprechen. Beim ehrlichen Lächeln öffnen sich die Pupillen. Zeichnen sich um die Lider keine Krähenfüße ab, ist ein Lächeln möglicherweise nicht echt, schreibt Ekman.

Neben Verhörspezialisten profitieren vor allem Ärzte von solchen Erkenntnissen. Wie im Fall einer 40-jährigen Patientin, die an Depressionen litt und versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Ekmann beschreibt, wie der Arzt bei der Entlassung zögerte. Die Patientin gab sich hoffnungsfroh, beteuerte, dass sie zu Hause schneller genesen werde. Ihr Arzt fragte sich, ob sie nicht eine neue Möglichkeit für einen Suizidversuch suchte. Die Analyse ihrer Mimik belegte die Ahnung. Bei der Frage nach ihren Zukunftsplänen zeigte ihr Gesicht für einen Sekundenbruchteil eine Regung starker Angst – der Ausdruck ließ sich nur mittels Zeitlupe erkennen.

„Unser ehrlichstes Körperteil sind die Füße“

Während Gesichtsausdrücke einen geschulten Beobachter erfordern, sind Gesten und Bewegungen meist leichter deutbar. Dabei sind es oftmals gar nicht die Hände, die einen Menschen verraten. „Unser ehrlichster Körperteil sind die Füße“, schreibt der ehemalige FBI-Agent Joe Navarro, der über 20 Jahre Spione und Verbrecher anhand ihrer Körpersprache enttarnte.

In seinem Buch „Menschen lesen“ beschreibt er unsere „anatomischen Wunderwerke“, mit denen sich Menschen schon vor Millionen von Jahren vor Gefahren wappneten, lange bevor die Sprache erfunden wurde. Innehalten, weglaufen, treten. „Diese ursprünglichen Reaktionen haben wir so verinnerlicht, dass unsere Füße und Beine heute noch ähnlich auf Gefahr oder auf uns unsympathische Personen oder Situationen reagieren“, schreibt Navarro.

Fühlen wir uns in die Enge getrieben, wippen die Füße oder wechseln ihre Richtung dorthin, wo ein Fluchtweg besteht. Es ist der Grund, warum Politiker ihre Beine im Fernsehen gern hinter einem Pult versteckt wissen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • M
    Miles

    Diese Thesen stehen unter Größter Kritik, da es bisher keine empirischen Beweise gibt. Das ist auch der Grund, weshalb sich ekman und Co nicht mit ihnen brüsten. Und das, obwohl sich ja recht einfache versusaufbauten denken lassen.

    Davon steht nichts im Artikel.