Und ein Schiff mit acht Segeln …

ABSCHIED FÜR IMMER

Hunderte sind gekommen, um Abschied zu nehmen von Christian Semler

Aufbruch in der taz. Nicht alle dürfen zur Beerdigung von Christian Semler mit. Tags darauf muss es ja auch eine Zeitung geben. Los geht es mit dem Rad. Der Wind kommt von hinten, der Himmel ist blau, die Sonne lacht. Das Herz geht einem auf nach diesem schwarzen Winter.

Hunderte sind an diesem Dienstag auf den Georgen-Parochial-Friedhof in Prenzlauer Berg gekommen, um Abschied zu nehmen von dem früheren Studentenführer und Maoisten und späteren taz-Redakteur. Viele Schöpfe sind grau. Der himbeerfarbene Anorak einer Kollegin ist der einzige Farbfleck in der dunkel gekleideten Menge. An den Ästen des Baumes, der die Grabstelle überragt, hängen weiße Transparente und weiße Rosen. Sanft spielt mit ihnen der Wind.

„Und ein Schiff mit acht Segeln …“: Als sie das Lied von der Seeräuber-Jenny aus Brechts Dreigroschenoper anstimmt, schleudert die Sängerin Gina Pietsch ihre graue Mähne mit einem Ruck nach hinten und formt die Finger mit den lackierten Nägeln zu Krallen. „Für mich ist das das Rachelied“, sagt sie.

Bei der Trauerfeier in der Volksbühne ersteht Christian in einem Film noch mal für kurze Zeit auf: mit den ihm eigenen verschachtelten Sätzen, die schon deshalb gewichtig wirkten, und dem glucksenden Lachen. Fröhlich und gesund feixt er von der Leinwand herunter – Tabak auf dem Schoß, zwischen den Fingern das Blättchen für die nächste Zigarette. Christian, wie man ihn kannte.

Die letzten Begegnungen mit ihm fallen einem ein. Wie er, ein Schatten seiner selbst, sich ein paar Wochen vor seinem Tod durch die Redaktionsräume in der Rudi-Dutschke-Straße schleppte. Wie man sich freute, ihn zu sehen, und spürte: Er braucht uns und die taz genauso wie wir ihn.

Viele schöne Reden werden an diesem Tag gehalten. Man merkt, wie wenig man den Kollegen persönlich kannte. Haften bleibt ein Bild, das sein Jugendfreund und früherer Genosse der KPD-AO, Peter Neitzke, von ihm zeichnet. Christian sei ein ausgezeichneter Schwimmer gewesen. Er liebte das Meer. „Einmal sah ich ihm nach, wie er durch die Brandung hinausschwamm. Irgendwann konnte ich ihn zwischen den Wellenkämmen nicht mehr sehen. Nach einer Stunde tauchte er wieder auf. Meeresungeheuern war er nicht begegnet. Er war nicht erschöpft, es ging ihm gut. Und er blinzelte in die Sonne über dem südlichen Meer.“

Als die Trauerfeier zu Ende ist, geht die Sonne in einem glutroten Ball unter. PLUTONIA PLARRE