O fleißiger, grundschöner Küstenstrich

LYRIK Wovon man nicht sprechen kann: Björn Kuhligks neuer Gedichtband „Die Stille zwischen null und eins“

Die Natur betrachten und man sieht nichts weiter als eine Ansammlung menschlicher Artefakte. Der Nebel ist ein „aufgelöster Brühwürfel“, der Wald ein Scherenschnitt oder „nichts als Möbel“, der Hahn ein Irrer, und „von der Seite das Meer, hält sich raus“. In seinem mittlerweile fünften Gedichtband, der soeben bei Hanser erschien, verlässt der viel gelobte Lyriker Björn Kuhligk die Berliner Stehcafés und beschaut die „im Dämmerlicht dampfenden Tiere“.

Das könnte man durchaus zeitgenössische Naturlyrik nennen: nicht aufgeplustert und überhöht, sondern gebrochen, abgebrüht und kühl. Es wird fröhlich geohrfeigt. Kein Witz, das ist Ernst. Und hat Methode. Björn Kuhligk wurde 1975 in Berlin geboren. Er lebt mit Familie in Kreuzberg, ist Buchhändler und freier Autor, seit Kurzem hat er eine regelmäßige Kolumne in der taz. Seine zahlreichen Einzelveröffentlichungen wurden mit Preisen gewürdigt, zuletzt erhielt er das Arbeitsstipendium des Berliner Senats.

Kuhligk begibt sich auf Reisen nach Dänemark und in die Türkei. Es geht um Orte und Landmarken, um die deutsche Peripherie. „Das Blinken des Windparks, Esso blendet / Kaufland flammt, die Abfahrt im Fernlicht / ein zerfledderter Habicht“. Und mit jeder Rückkehr ist „Deutschland da, wo man nichts sieht / wo ich mir den Zahnstein entfernen lasse“. Es wird gewandert, auf Berge und durch Nadelgehölz, immer dabei viel Himmel, Licht und Wald. Das könnte gemütlich werden, gar romantisch oder erbaulich.

Das Gedicht „Post aus Falster“ liest sich wie eine Poetologie. Der Autor könne nur noch „über den Mercedes Kompressor“ oder „von der Feuerwehr“, will aber nicht „über das Seelenheil, Grundgütiger“, und nicht „über die Innenzustände, ach nee“, sondern „über Tiere / im Abblendlicht, Füchse oder was“. Die Frage steht im Raum, wovon man im Gedicht noch sprechen kann und vor allem, wie. Beim Lesen stellen sich Beklemmungen ein. Wenn es nichts Unverstelltes mehr gibt und alles erklärbar ist, kann man hinter diesen desillusionierten Zustand offensichtlich nicht zurück. Und antwortet mit Ironie.

Auch Kuhligk schreibt „im abgesicherten Modus“ als Abwehrhaltung gegen jegliches gemütliche Einrichten, gegen jede Romantik. Bei Apfelbaumblüten kann wirklich niemand mehr ernst bleiben, das Gedicht muss „Und keine Apfelbaumblüte“ heißen, das darin befindliche Kartoffelfeld ist schlicht „ein Rechenbeispiel“. Man gewinnt den Eindruck, dass sich hier jemand Luft macht. Lyrik als Ventil. Da hilft schmuckloses Benennen, Brechen und Verwitzeln. „O fleißiger, grundschöner Küstenstrich […] über die Ostsee kann ich nicht mehr.“

Entgegen seinen früheren Gedichten füllt Kuhligk „Die Stille zwischen null und eins“ jedoch nicht mit einem „sturzblödbarocken Zwiebelturm“ aus. Der Deckel fliegt quasi nicht zur Decke. Der Autor, bekannt dafür, mit fragmentarischen und ungehobelten Texen gegen den eleganten Sprachteppich anzuschreiben, ist weniger schnippisch, lässt auch gelassenere Töne zu. „Der Regen kommt / ich atme ein, dann Schnee / und wieder aus“. Kuhligk singt Schlaflieder, sitzt am Bettchen, hört „den Atem, den vertrauten / den eigenen, den dazwischen“.

Lyrik ohne Kaminfeuer

Dennoch kommt der Kuhligk-Sound durch. Auch die deutsch-fröhlichen Männerabende hinterlassen beim Autor wie immer einen flauen Geschmack auf der Zunge. „Wir waren zwei der fünf Hochhäuser / eine bedürftige Männerkonzentration / wir plärrten […] und dann: mein Herz schlägt / schwarz, rot, Bier.“

Björn Kuhligks Gedichte sind nah dran am Geschehen, bescheiden und immer „eine verdammte, präzise Flosse“. Das sind Gedichte ohne Erkenntnisgewinn, Rätsel, Erbauung, ohne Antworten. Das ist Lyrik ohne Kaminfeuer: unverstellt, zuweilen schroff und verzweifelt. Mit jener Verzweiflung wird dem ironischen Schmunzeln dann doch immer wieder ein Schnippchen geschlagen. Den eigenen Herzschlag, den kann man halt nicht unterdrücken. „Ich stand / den Regeln fremd, ich stand nicht schief, ich lag / den Tieren Nahrung, dem Himmel Wurfgebiet.“

PEGGY NEIDEL

Björn Kuhligk: „Die Stille zwischen null und eins“. Hanser Verlag, München 2013, 80 Seiten, 14,99 Euro