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So verschieden kann die Wahrnehmung sein - allein das spricht schon für die Urwahl. Katrin Göring-Eckardt ist für mich die klassische Wendehälsin, die unter Rot-Gründe sozialen Kahlschlag mitgemacht hat, als Fraktinsvorsitzene sogar befördert und jetzt darüber lamentiert, dass die soziale Schere immer weiter auseinander klafft. Und ihre Sprache mag in der Kirche angemessen sein - im Parlament ist sie mir zum Umschalten. Authentisch bedeutet eben nicht automatisch GLAUBWÜRDIG.
Claudia Roth dagegen redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, sie macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Sie ist nicht nur ganz bei sich, also authentisch, sondern auch bei den Menschen, also GLAUBWÜRDIG. Das Internet trägt das Seine dazu bei, dass alle Kandidatinnen schnell mit ihren alten Aussagen gefunden werden - ander als früher. :-)
Nur weil Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer als Oberrealo gilt, macht das seine Analyse, es könne doch nicht sein, dass die Grünen in die Wahl 2013 mit denselben Leuten ziehen, die die Partei seit zwei bis drei Jahrzehnten prägen, nicht falscher. Vielmehr enthält sich die Basis aller Kommentare zur Urwahl. Strategisch taktisch gesehen wäre nämlich Katrin Göring-Eckardt die beste Wahl. Denn ihre beiden Kolleginnen sind in den Medien abgenudelt, können nur noch alte Statements aufsagen. Katrin Göring-Eckardt trifft den Nerv der Zeit. Ihr Geheimnis ist, dass sie wie Renate Künast zwar zum Realo-Lage gezählt wird, als neue Generation jedoch in ganz anderen Kategorien denkt. Ihre Ruhige Art macht neugierig. Wo andere als Lautsprecher quäken, kann sie in ganzen Sätzen sprechen. Zudem ist ihre Schwerpunkt Soziales, was vermutlich Wahlentscheidend sein wird 2013. Claudia Roth fischt in den selben Gewässern, doch ihre Betroffenseinsromantik lenkt vom Thema ab. Katrin Göring-Eckardt wirkt einfach authentischer.
In einem Gastbeitrag in der FAZ spielt Cem Özdemir die Erfahrungen seiner Tochter gegen Migranten in Deutschland aus. Das ist falsch.
Kommentar Grüne Kandidaten: Neue Legitimation für die Alten
Bei der Urwahl des grünen Wahlkampf-Führungsduos sieht die Basis den Wert ihrer Großkopferten – und umgekehrt. Beide Seiten profitieren vom Casting.
Erst zwei der elf Spitzenkandidaten-Treffen sind absolviert, aber schon jetzt zeigt sich: Die Urwahl ihres Führungsduos für den Bundestagswahlkampf erschüttert die Grünen-Spitze nicht. Sie stabilisiert sie.
Vor der Entscheidung, die Partei über die Doppelspitze abstimmen zu lassen, hatten viele Grüne gemurrt. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer etwa kritisierte, ein Duo aus Claudia Roth und Jürgen Trittin verschrecke sogenannte bürgerliche Wähler.
Andere grollten: Es könne doch nicht sein, dass die Grünen in die Wahl 2013 mit denselben Leuten ziehen, die die Partei seit zwei bis drei Jahrzehnten prägen. Nun aber sieht die Basis den Wert ihrer Großkopferten – und umgekehrt. Beide Seiten profitieren vom Kandidatencasting.
Die Basis zeigt, was sie kann – und was nicht. Die Kandidaturen elf weitgehend unbekannter Männer senden eine werbewirksame Botschaft: Die Partei ist lebendiger als andere. Diesen Ruf droht sie spätestens seit dem Aufkommen der Piraten einzubüßen. Doch präsentierten sich beim ersten Schaulaufen vor der Basis nur sechs jener elf Kandidaten, die sie doch angeblich repräsentieren wollen. Das ist unprofessionell.
Ebendiese Professionalität stellen Trittin, Roth, Renate Künast und Katrin Göring-Eckardt bei den Treffen unter Beweis. Die vier können pointieren, präsentieren und über vieles abseits ihrer Leib- und Magenthemen reden, ohne dass es peinlich wird. Werden zwei von ihnen nominiert, wird das Gemurre über die ewig gleichen Gesichter bis zur Wahl verstummen.
Professionalität allein wärmt kein Grünen-Herz. Aber sie ist notwendig für den Erfolg einer Partei. So wird diese Kandidatenkür womöglich in zweifacher Hinsicht zum Lehrstück: für die Grünen – und die Piraten.
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Kommentar von
Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.