Ein neues Verständnis von Kultur

Vor dem Aufbruch nach Linz: Ein Gespräch mit Ulrich Fuchs, dem scheidenden „Geheimrat“ der Bremer Kulturpolitik über den Charme der hiesigen Kulturbürokratie, die Vorzüge der Stadtwerkstatt und die Auswahlkriterien für den Kulturamtsleiter

taz: Ist es Fahnenflucht, wenn Sie jetzt in die künftige Kulturhauptstadt Linz gehen?

Uli Fuchs: Fahnenflucht ist ein großes Wort für einen Beschäftigten im Kulturbereich. Eigentlich bin ich schon viel zu lange in Bremen – und wenn man in nicht mehr ganz jugendlichem Alter das Angebot bekommt, als Stellvertreter des Intendanten das zu machen, was man in der eigenen Stadt hätte machen wollen, dann ist klar, dass so eine Chance im Berufsleben vermutlich nicht noch einmal auftaucht.

taz: Wäre der Theaterkonflikt anders verlaufen, wenn es die Kulturhauptstadtbewerbung noch gäbe?

Solange die Bewerbung eine Chance hatte, hat die Stadt an vielen Stellen alles getan, um kulturpolitische Problemlagen in der Stadt auf eine elegante und konstruktive Art zu lösen. Defizite in den kulturellen Einrichtungen gab es vorher auch, auch Rettungsversuche. Wenn wir jetzt mit Görlitz auf den Markt konkurrieren würden um diesen Titel, dann hätte jeder eingesehen, dass Theater-Schlagzeilen dieser Art nicht gehen. Genauso kontraproduktiv ist es übrigens für den Staatsminister für Kultur, wenn in der Stadt, aus der er kommt, über Theaterinsolvenz geredet wird. Das kann für Bernd Neumann nicht besonders angenehm sein.

Ihm scheint das egal zu sein.

Das glaube ich nicht.

Hat er sich beim Theater einmal eingemischt?

Offenbar ja nicht. In der Frankfurter Rundschau war zu lesen, dass er für das Feinsinnige seine Staatsrätin hat. Offenbar bedeutet seine neue Rolle in der Bundesregierung längst nicht so einen großen Schutzfaktor für die Bremer Kultur wie es die Bewerbung als Kulturhauptstadt gewesen wäre.

Warum wurde die Kulturhauptstadt-Bewerbung nicht von der Kulturbehörde selber organisiert wie in Linz, sondern bewusst völlig getrennt „von außen“ – auch außerhalb der Reichweite des Kultursenators ?

Das wäre hier undenkbar gewesen. Dafür fehlt in der Kulturbehörde eine fachliche Leitung und es geht auch an kompetentem Personal.

Die Kulturstaatsrätin ist Neumanns originäre Personalpolitik und das Ergebnis ist ein Desaster.

Es gibt jetzt Bemühungen um die Neuaufstellung. Davon ist nach außen bisher aber nicht viel erkennbar. Wobei ich sagen muss: Wenn ein Team schlecht spielt, heißt das nicht, dass alle Spieler schlecht spielen. Irgendwann muss man die Trainerfrage stellen.

Eigentlich ist es die Aufgabe einer Kulturbehörde, in der Stadt deutlich zu machen, dass Kultur nicht eine elitäre Abendveranstaltung ist, sondern dass Kultur alle angeht.

Das sehe ich auch so. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass der Bereich, in dem kulturpolitisch am meisten Porzellan zerschlagen wird, der Bereich Theater ist, weil da auch das größte Defizit in der Kulturbehörde existiert. Die Ursachen liegen weit zurück, das ist nicht das Ergebnis der Arbeit der letzten zwei, drei, vier Senatoren. Kultur ist in Bremen seit zehn Jahren zum Wanderpokal schlechthin geworden. In seinen zweieinhalb Jahren hat Martin Heller mit vier Kultursenatoren zu tun gehabt.

Woran lag es, dass der Stil der Kommunikation so, vorsichtig gesagt, abrupt war?

In der Zeit, in der Hartmut Perschau Kultursenator war, war die Kommunikation sehr gut. Das Kommunikationsdesaster war vor allem eines mit dem Senator Peter Gloystein. Als Kultursenator Gloystein kurz nach seinem Dienstantritt im Sommer 2004 in der Handelskammer seinen Sparwillen demonstrieren wollte, hat er angedeutet, man könne sich die Kulturhauptstadt-Bewerbung sparen. Damals hat er seitens der Handelskammer heftigen Protest erfahren. Der neue Kultursenator Kastendiek will das Projekt Stadtwerkstatt wirklich fortsetzen, das glaube ich. Ob er das Geld dafür bekommt, ist die Frage.

Weil?

Weil die Gegenkräfte stark sind. Nicht einmal in den Kultureinrichtungen selbst gibt es genügend Unterstützung. Die sind längst wieder da, wo sie einmal waren. Manchmal hat man den Eindruck: Heller stört da nur. Die Museumsdirektoren brauchen keinen weiteren künstlerischen Leiter. Wahrscheinlich sind einige froh, wenn Heller und auch ich in Linz sind. Dann ist man hier nicht mehr so bedrängt.

In Bremen wird gern über die Kulturverwaltung geschimpft und darüber gelegentlich die Diskussion über die Qualität der kulturellen Angebote ausgelassen.

Der Wert dessen, was in der Stadt kulturell produziert wird, hängt zum geringsten Teil von der Kulturverwaltung ab. Es hängt natürlich ab von den finanziellen Spielräumen, die eine Einrichtung hat. Aber es gibt auch Kultureinrichtungen, die mit wenig Geld künstlerisch exzellentes leisten wie das Theatrium, oft auch das Moks oder die Künstler am Güterbahnhof. Für mehr Geld kann es wunderbares Theater geben und schlechtes Theater. Trotzdem ist es ein schlechter Nährboden für die Kultur allgemein in der Stadt, wenn die Kulturverwaltung sich als unzureichend darstellt.

Seit Monaten werden die Projekt-Papiere aus dem Kulturhauptstadt-Büro im Senat hin und her gewendet und nur „zur Kenntnis“ genommen. In derselben Zeit werden erhebliche Restmittel aus dem Kulturhauptstadt-Topf benutzt, um Löcher im Kultur-Etat zu stopfen.

So war das nicht gedacht.

Das ist doch eine Beerdigung erster Klasse. Das diskreditiert den Projektfonds, mit dem Innovationen gefördert werden sollten.

Das würde ich auch so sehen. Man kann nur hoffen, dass wenigstens die sieben oder acht begonnenen Projekte, die auf eine mehrjährige Laufzeit ausgerichtet waren, noch gerettet werden. Zum Beispiel das Virtuelle Literaturhaus oder die Moks-Theaterschule. Dass der größere Batzen, der da noch war, für das Stopfen von Löchern benutzt wird, kann auch nicht im Sinne des Finanzsenators sein, der die Kulturhauptstadt-Mittel ja einmal als investive Mittel definiert hat.

In der Logik der aktuellen Plünderung des Kulturhauptstadt-Fonds würde es liegen, wenn der Senat sagte: „Sieben Millionen für die Stadtwerkstatt? Das Geld braucht das Theater, den Rest kassiert der Finanzsenator“. Ende.

Dass es die 60 Millionen, die für die Kulturhauptstadt 2010 einmal eingeplant waren, nach dem Scheitern der Bewerbung nicht geben würde, war allen klar. Zumindest während ein paar Wochen im März haben die politisch Verantwortlichen gesagt: Es gibt aber die Hälfte. Von diesen 30 Millionen hat Herr Gloystein mit seinem Hörfehler den größten Teil zum Fester hinausfliegen lassen. Und auch diejenigen, die Biennale nicht buchstabieren können. Natürlich gibt es die Begehrlichkeiten der anderen auf die Mittel. Schließlich wurde im Senat gesagt: Man reserviert aus den Investitionsmitteln für die Jahre 2006 und 2007 insgesamt 55 Millionen für Stadterneuerung und Kultur. Da hat sich natürlich Bausenator Jens Eckhoff zu Wort gemeldet und gesagt: Von den 55 Millionen hätte ich gern 60. Und Kastendiek hat sich vornehm zurückgehalten.

Die Museums-Direktoren haben sich von der „Stadtwerkstatt“ distanziert, obwohl der größere Teil doch für den Museumsanbau gedacht war.

Ich glaube dass die Solidarität der fünf Bremer Museumsdirektoren löchrig ist. Nicht alle halten einen Kunsthallenanbau für so notwendig. Wulf Herzogenrath hat sich da selber ein Bein gestellt. Er hat Heller übel genommen, dass der aus der Jury für den Architektenwettbewerb herausgegangen ist.

Aber die Kunsthalle hat eine Lobby in der Stadt. Wie sähe Ihre Lobby für die Kulturwerkstatt aus?

Es sind vor allem diejenigen, die innerhalb der zweieinhalb Jahre Bewerbungsverfahren realisiert haben, dass ein höherer Stellenwert von Kultur die Stadt attraktiver macht. Ich kann das soziologisch nicht zuordnen.

Ist das vielleicht eines der Probleme?

Das kann schon sein. Solange der Erfolg in Aussicht stand, standen ja auch das Bürgertum und die Handelskammer voll hinter dieser Bewerbung. Einige derer, die Weihrauch schwingend für die Kulturhauptstadt geworben haben, sind wenige Tage nach der Entscheidung für Görlitz und Essen durch die Stadt gelaufen und haben gesagt: Ich wusste ja schon immer, dass dieser Heller und so weiter. In der Stunde des Misserfolgs lernt man Leute wirklich kennen.

Haben Sie das Gefühl: Hier wurde wahrer Wert nicht erkannt?

Die Wertschätzung unserer Arbeit spüre ich auch nach dem 10. März von vielen Seiten. Auf die, von denen ich sie nicht gespürt habe, lege ich auch keinen großen Wert.

Aber es wäre schön gewesen, wenn Sie in der Kulturbürokratie mehr gestalten könnten.

Ich bin nie gefragt worden. Wenn ich gefragt worden wäre, hätte ich versucht, die Voraussetzungen zu nennen, deren es bedürfte, um in der Kulturverwaltung einen wirklichen Schritt nach vorn zu machen.

Welche sind das?

Da ich nicht gefragt worden bin ...

Was wären die Voraussetzungen gewesen?

Ein paar neue Leute, Ersatz auf nicht besetzten oder auch besetzten Positionen – im Grunde die Entwicklung einer andren Philosophie darüber, was Kulturverwaltung leisten soll. Leute, die anders denken und nicht so gedemütigt sind, wie die, die jetzt in der Kulturverwaltung arbeiten. Und man müsste auch zur Voraussetzung machen, dass es so ein Projekt wie die Stadtwerkstatt gibt.

Der frühere Kultur-Abteilungsleiter ist daran gescheitert, dass Kontakte zu der kulturpolitischen Sprecherin der SPD und zur Staatsrätin der CDU wichtiger waren als die dienstlichen Kontakte zu ihm. Das bedeutet: Eine fachliche Führung der Kulturbehörde ist so unmöglich.

Da käme es auf Durchsetzungsfähigkeit an.

Warum sind Sie nicht gefragt worden?

Fehlendes Parteibuch, sagen einige. Aber ich sehe das nicht so ...

Was bleibt für Sie von dem Bremer Projekt Kulturhauptstadt, wenn Sie jetzt nach Linz gehen?

Ich habe in meinem Berufsleben noch nie in einem Team gearbeitet, in dem ich mich so wohl gefühlt habe. Das ist das, was ich am meisten vermissen würde, wenn es in Linz nicht in ähnlicher Form zustande käme.

Was wünschen Sie Bremen?

Eine wirkliche Neuaufstellung der Kulturbehörde und ein anderes Verständnis von der Wirkungskraft der Kultur in der ganzen Stadt.

Interview: Klaus Wolschner, Friederike Gräff