Die tripolare Dia-Show

Bremen zockt zum letzten Mal: Mit der „Polfahrt“ endet das Bremer „Weltspiel“, das übrig gebliebene „Flaggschiff“ der Hauptstadt-Bewerbung

Bremen taz ■ Kalt und sonnig: Heute ist Kohlfahrt-Wetter. Da Bremen durch seine Kulturhauptstadt-Bewerbung, gescheitert oder nicht, geradezu weltläufig geworden ist, gibt‘s heute nicht schnapsgetränkte Pinkel, sondern die „Erkundung urbaner Mythen“ – aus Bremen, Riga und Outjo. Der Titel des polyglotten Projekts: Polfahrt.

Konkret sind 65 Masten zwischen Goetheplatz und Ziegenmarkt mit „Guckis“ ausgestattet, fotoapparatähnlichen Gucklochkisten. In ihnen warten Diascheiben darauf, per Strippenzug ihre Texte und Bilder zu zeigen. Zum Beispiel: „Wegen jeder Kleinigkeit kommen die Bullen.“ Es geht also um das Image von Oster- und Steintor, dargestellt aus Sicht hausbesitzender Professoren oder auch der Sielwalleck-Stammkundschaft. Die Viertel-Reflexionen mischen sich mit Zitaten aus Etoshapoort, einer zu Outjo gehörigen Slum-Siedlung und dem Rigaer Stadtteil Maskatschka. Der habe ein Drogen- und Kriminalitätsimage, mit dem die BewohnerInnen bewusst spielen würden – erzählt Ilze Saleniece. Die Lettin, die die entsprechenden Interviews mit ihren Landsleuten zur Polfahrt beigesteuert hat, war, zusammen mit einer Bremerin, auch in Etoshapoort zur Recherche. Das Grundkonzept der „Polfahrt“ ist also ein nordsüdöstliches Dreieck, gebildet von stigmatisierten und gleichzeitig identitätsstarken Stadtteilen, die in sehr unterschiedliche Systeme eingebunden sind. So finden sich in der namibischen Post-Apartheidsgesellschaft immer wieder symbolbesetzte Themen, die man in ihrer schlichten Relevanz erstmal kapieren muss: Bis 1990 war es Schwarzen verboten, weißen Zucker oder Brot zu kaufen.

Hinter dem Projekt stecken sowohl das Bremer „Weltspiel“ als auch das ASA-Stipendienprogramm des in Bremen ansässigen „Invent“-Büros für internationale Weiterbildung. Doch während „Invent“ gerade Interessierte sucht, die die Polfahrt in Outjo fortsetzen möchten (Infos unter www.asa-programm.de), ist es für das „Weltspiel“ die letzte Aktion: Mit dem Jahreswechsel läuft es nach 18 Projekten, die von 250 seit November vergangenen Jahres eingereichten ausgewählt und mit 300.000 Euro (ausschließlich privat) finanziert wurden, aus.

Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass das Kulturhauptstadt-Nachfolgeprojekt „Stadtwerkstatt“ als neuer konzeptioneller Rahmen für das „Weltspiel“ immer noch nicht konkret beschlossen ist. Im schon länger aufgelösten Kulturhauptstadt-Büro galt das „Weltspiel“ als Flaggschiff der Bewerbung – nun also kreuzt es zum letzten Mal durch Bremen. HB

Die Polfahrt beginnt heute um 11 Uhr am Ziegenmarkt. Die „Guckis“ bleiben bis zum 18. Dezember installiert