Im Hobbykeller mit Theodor Herzl

Beim Festival „Traum und Trauma“ im HKW werfen Filmemacher und Videokünstler einen Blick auf die komplexe Realität in Israel. Nur der israelische Künstler Guy Ben-Ner hat einen merkwürdigen Baum nach Berlin gebracht

Nur wenige hundert Meter entfernt vom Reichstag ist der Vater der zionistischen Bewegung, Theodor Herzl, in der deutschen Hauptstadt angekommen. Und zwar als Teil eines Kunstwerks, das sich mit seinem Traum von Israel auseinander setzt. Die Figur Herzl spielt neben Heimwerkern, Lehrmeistern und Robinson Crusoe eine wichtige Rolle in der Installation „Tree House Kit“ des israelischen Künstlers Guy Ben-Ner. Ben-Ner zeigte diese Arbeit schon im Sommer im israelischen Pavillon auf der Biennale in Venedig, jetzt ist sie im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt aufgebaut. Ben-Ners Arbeit hat zwei Teile. Zum einen die Installation, einen Baum, der zusammengebaut ist aus einzelnen Möbelversatzstücken. Zum anderen einen kurzen Videofilm, in dem der Künstler selbst zeigt, wie man den Baum aus Tischbeinen, Stuhllehnen und Bettlatten wieder zerlegt, die Stücke wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zuführt und die Möbel wieder in ihrer ursprünglichen Form zusammenbaut.

„Meine Arbeit ist eine Fallstudie, die fragt: Was passiert, wenn man trotz exakter Anleitung ein Objekt fehlerhaft zusammenbaut. Wie kann eher durch Zufall aus einem Alltagsgegenstand etwas total anderes werden – in diesem Fall eben ein Baum“, sagt Ben-Ner, während er mit seinen Assistenten dabei ist, das Holzgerippe in Berlin aufzubauen. Er sei fasziniert von der Beziehung zwischen dem Objekt und dem Film, ergänzt er. „Mich interessiert das merkwürdige Genre des ‚Belehrungsfilms‘ – dieser ganze Do-it-yourself-Ikea-Ansatz. So ein Film ist sicher keine Dokumentation, bezieht sich aber trotzdem auf ein reales Objekt. Weder den Film noch das Objekt gäbe es ohne einander.“

Der 36-jährige Ben-Ner gehört in Israel zu den bekanntesten zeitgenössischen Künstlern. 1996 schloss er sein Kunststudium in Tel Aviv ab, um danach an der New Yorker Columbia University weiterzustudieren. Vor „Tree House Kit“ hat er vor allem Videokunst gemacht, in der meistens seine Familie Thema war – er selbst, seine Frau und seine Kinder spielten sich oft selbst. Dabei ging es ihm immer schon um die Verbindung von Natur und Kultur – dieser Ansatz setzt sich auch im „Tree House Kit“ fort.

Die bärtige Figur, die er in dem Film spielt, ist ein Hybrid: Wie ein Baumarktleiter erklärt er, wie man aus einem Baum ein Haus zimmert, um dann das jäh Thema zu wechseln und sich wie Robinson Crusoe zu fragen, wie man aus einer unbewohnten Insel einen Staat macht. Auf einer dritten Ebene ist der Bärtige eine Herzl-Inkarnation: In einer Szene zitiert Ben-Ner sehr offensichtlich das berühmte Foto von Theodor Herzl, der während des Ersten Zionistischen Kongresses in Basel 1897 mit gefalteten Händen auf einem Balkon steht. So werden Crusoes Urbarmachungs- und Gründungsfantasien ganz konkret an Herzls Prophetie der Gründung Israels angebunden.

„Auch in Herzls Buch ‚Altneuland‘ landet am Anfang ein Mann auf einer einsamen Insel“, erzählt Ben-Ner. „Die Filmfigur dockt an den Mythos an, ein neues Land da aufbauen zu können, wo angeblich noch nichts ist – als gäbe es keine Vorgeschichte. Meine Arbeit fragt danach, wie und wo koloniale Mythen in der Geschichte des Zionismus aufscheinen.“ Dann grinst er: „Der Bärtige bin auch ich selbst. Für Venedig arbeitete ich zum ersten Mal ohne meine Kinder, die sonst in jedem Video zu sehen waren. Ich fuhr also allein nach Venedig, Neuland für mich, und musste dann da etwas auf die Reihe bekommen – so ist die Arbeit irgendwie auch eine Reaktion auf dieses Ohne-Familie-Sein.“

Die Verbindung von persönlichem künstlerischem Statement und der Situation im heutigen Israel – Ben-Ners Arbeit steht exemplarisch für das Ausstellungskonzept von „Traum und Trauma“: Viele Spuren werden ausgelegt, die Arbeit ist in mehreren Kontexten lesbar – politisch, historisch, ökologisch, künstlerisch, sehr privat. Wenn Guy Ben-Ner im nächsten Sommer nach Berlin zieht – er hat ein Einjahresstipendium des DAAD –, wird vielleicht das Thema Einsamkeit in seinen Arbeiten wieder in den Hintergrund treten: Seine Familie kommt dann mit.AVNER SHAPIRA

Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann

Guy Ben-Ner führt heute um 16 Uhr durch die Ausstellung. Das Festival läuft bis zum 18. 12. im Haus der Kulturen der WeltProgramm unter: www.hkw.de