Entscheidung aus Karlsruhe: Rückmeldegebühr verfassungswidrig
Mehr als 100 Millionen Euro haben Studierende von 1996 bis 2004 gezahlt - jetzt bekommen sie das Geld vielleicht zurück.
Die von 1996 bis 2004 in Berlin geltenden Semestergebühren für Studierende in Höhe von 100 Mark sind verfassungswidrig. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. Ein Sprecher von Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) teilte mit, nun werde man „die schriftliche Urteilsbegründung zusammen mit der Finanzverwaltung auswerten“. Erst anschließend könne er sagen, ob und auf welchem Wege die Studierenden ihr Geld zurückbekommen. Die Zahl der Studierenden lag damals um die 140.000, sie haben also insgesamt mehr als 100 Millionen Euro verfassungswidrige Gebühren gezahlt.
Im Jahr 1996 hatte die Koalition aus CDU und SPD die Gebühr eingeführt. Eine „Initiative gegen Studiengebühr“ organisierte Demonstrationen, rief zum Boykott auf, sammelte 20.000 Protest-Unterschriften, 2.500 Studierende zogen vors Verwaltungsgericht. Eine Sprecherin des Wissenschaftssenators sagte damals, die Gebühr werde „mit Sicherheit“ nicht zurückgenommen: „Die Menschen müssen sich daran gewöhnen, dass Staatsleistungen in Zukunft nicht mehr umsonst zu haben sind.“ Der Staat lasse sich nicht „erpressen“.
Das Verfassungsgericht erklärt dem Land Berlin jetzt in seiner Entscheidung: „Rechtsnormen dürfen kein Mittel der Desinformation werden.“ Gebühren dürfen nämlich – anders als Steuern – nur für einen bestimmten Zweck erhoben werden dürfen. Laut der Begründung des Gesetzes von 1996 sollte die Gebühr die Verwaltungskosten für die halbjährliche Rückmeldung decken. Doch diese Kosten lagen tatsächlich nur bei 22,41 Mark – ein „grobes Missverhältnis“, so das Verfassungsgericht. Das Gesetz wird daher für nichtig erklärt, und zwar „rückwirkend vom Zeitpunkt des ersten Inkrafttretens an“.
Wie viele Studierende wurden in dem Zeitraum zwangsweise exmatrikuliert, weil sie die Gebühr nicht bezahlt haben? „Daran kann ich mich nicht erinnern, das war vor meiner Zeit“, sagt Steffan Baron, Leiter der Studienabteilung der Humboldt-Universität. Er weist auch darauf hin, das das Bundesverfassungsgericht zwar entschieden hat, dass die Gebühr verfassungswidrig ist, die Klagen aber ansonsten an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen hat. Das werde entscheiden, wer die Gebühren unter welchen Voraussetzungen zurückverlangen kann. „Wer die Zahlung unter Vorbehalt geleistet hat, hat sicher bessere Karten als die anderen“, sagt er.
Schon 1996 hatte die GEW ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Ergebnis kam dass die Gebühr verfassungswidrig ist, weil die Höhe der Gebühr in keinem Verhältnis zur erbrachten Leistung steht. Ein paar Jahre später dämmerte dann auch dem Land Berlin, dass die Gebühr rechtswidrig ist. Es schaffte sie aber nicht ab. Sondern erweiterte einfach den Verwendungszweck: Seit 2004 müssen Studierende die 50 Euro pro Semester für die Rückmeldung, die Studienberatung, die Arbeit der Prüfungsämter und für die „Benutzung von Einrichtungen“ zahlen. Wenn es auch diesmal wieder 16 Jahre dauert, bis das Verfassungsgericht darüber erntscheidet, liegt das Ergebnis voraussichtlich 2020 vor.
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