Eine raffinierte Raumdramaturgie

MUSEUMSARCHITEKTUR Glückliches Saint Louis: Dort ist der Museumsbesuch kostenlos. Und geht bald weiter in einem schönen Neubau von David Chipperfield

Der sogenannte East Wing ist unprätentiös in seiner klaren, kühlen, strengen Form

Das Saint Louis Art Museum ist eines der bedeutendsten Museen der USA; es hat jetzt einen Erweiterungsbau von David Chipperfield erhalten. Das enzyklopädisch strukturierte Museum besitzt eine der größten Sammlungen von Max Beckmann und eine ebenso bemerkenswerte Sammlung deutscher Nachkriegskunst, unter anderem mit Beuys, Polke und Richter.

Chipperfield hat sich wieder einmal als psychologisch einfühlsamer Architekt erwiesen, der für besondere kulturelle Orte bauen kann, ohne das Bestehende durch überflüssigen Aktivismus zu zerstören. Das war in Saint Louis wichtig, denn der Altbau ist ein signifikantes Bauwerk, eine Ikone amerikanischer Architektur, der als Palast der schönen Künste zur Weltausstellung 1904 von Cass Gilbert errichtet wurde und weit sichtbar über der Stadtlandschaft thront. Die davor stehende Bronzestatue des reitenden Königs Ludwig IX. von Frankreich, Namenspatron der Stadt, weist in Richtung Forest Park, dem zweitgrößten Bürgerpark des USA, dessen Weitläufigkeit dem Museumsensemble eine würdige Aura gibt.

Diesem klassizistischen Bau, ein architektonisches Zitat der Caracalla-Thermen aus hellem Sandstein, stellt Chipperfield einen Pavillonbau aus dunklem, polierten, einheimischen Stein der Mississippi-Region zur Seite. Der sogenannte East Wing ist unprätentiös in seiner klaren, kühlen, strengen Form und erinnert, fast altmodisch, an sachliche Museumsbauten der Nachkriegszeit. Gedehnte, feingliedrige Treppenanlagen und Rampen führen in das Gebäude, das sich durch mehrere fassadengroße Fenster der Grünanlage öffnet und Einblicke nach innen gewährt. Der Neubau ist zwar zurückversetzt, aber direkt an den Altbau angedockt und mit Durchgängen an mehreren Stellen mit ihm verbunden. Diese Durchlässe vermitteln jeweils einen anderen Aspekt der Kunstgeschichte und führen mit einer raffinierten Raum- und Ausstellungsdramaturgie in die neuen Räume. Der erste Eindruck dieser Räume ist berauschend: Sie sind hell und klar formuliert und in ihren Proportionen optimal auf die Bedürfnisse der Sammlungen des 20. und 21. Jahrhunderts abgestimmt, die hier Platz finden sollen.

Eine prägnante, geometrisch strukturierte Kassettendecke zieht sich durch alle Räume und lässt, je nach Bedarf, Tageslicht hinein. Sie ist aus weißem Beton, die Wände in den Ausstellungsräumen sind entweder weiß gestrichen oder aus dunklerem Beton, der Boden ist aus Eichenholz. Die Räume sind harmonisch, sie fließen ineinander, es gibt Raumabfolgen mit klassischen Enfiladen und Durchsichten mit Bezugspunkten in die Sammlungen. Hier ist nichts überflüssig und exaltiert, alles ist auf die Kunst hin konzentriert.

Die Zugänge und Treppen sind aus dunklem, teils rohem, teils poliertem Terrazzo, eine Treppe führt direkt in die große Eingangshalle des denkmalgeschützten Altbaus. Das Innendesign der Anbauten für die Administration aus den fünfziger bis siebziger Jahren wurden überarbeitet und dem Neubau angeglichen. Es gibt Unterrichtsräume für Schulklassen und Seminare, ein elegantes, neues Restaurant mit Blick nach außen, ein Café und ein unterirdisches Parkhaus für die zahlreichen zu erwartenden BesucherInnen.

Der Eintritt in das Saint Louis Art Museum ist stets frei, der 130 Millionen Dollar teure Neubau wird am 29. Juni 2013 eingeweiht. RENATA STIH

■ Renata Stih ist Künstlerin und bereitet gegenwärtig mit Frieder Schnock im Rahmen der current series eine Einzelausstellung am Saint Louis Art Museum vor