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Kanadischer Nationalsport EishockeySexspielzeug statt Bodychecks

„Lockout“. Der Nationalsport in Kanada hat ein schweres Imageproblem. Immer mehr Fans wenden sich von der Eishockeyliga NHL ab. Aber es gibt auch Gewinner.

Finger-Dildos verkaufen sich in Kanada wie geschitten Brot. Bild: dapd

EDMONTON taz | Es ist kurz nach dem Fest, und in der West Edmonton Mall ist die Hölle los. Zehntausende drängeln sich im größten Einkaufszentrum in Nordamerika. Sie tauschen Weihnachtsgeschenke um oder jagen nach den letzten Schnäppchen des Jahres. Nur nicht bei „Jersey City“ im zweiten Stock. Nur eine Handvoll Kunden durchkämmen die Auslagen mit Fanartikeln. Besonders billig sind in diesem Jahr Eishockey-Trikots: „Kaufe zwei und spare 50 Prozent“, heißt es auf einem roten Banner. Doch es nützt wenig.

„Die Umsätze mit NHL-Artikeln sind eingebrochen“, berichtet Filialleiter Mark Breckenridge. Der Arbeitskampf in der nordamerikanischen National Hockey League (NHL) drückt auf die Kauflaune, denn die Kanadier sind dieser Tage nicht besonders gut auf die Vertreter ihres Nationalsports zu sprechen. Auch nicht in Edmonton, wo Eishockey-Legende Wayne Gretzky in den Achtzigerjahren den Durchbruch feierte und die „Oilers“ fünf Mal den Titel in der Profiliga und damit den legendären Stanley Cup gewannen.

„Noch hoffe ich, dass ein Teil der Saison gerettet wird“, sagt Breckenridge, ein eingefleischter Oilers-Fan. „Doch langsam bin ich es leid, jeden Abend sinnlos durch die Fernsehkanäle zu zappen.“ Wie dem 35-Jährigen geht es vielen Kanadiern. 600 Spiele hat die NHL mittlerweile gestrichen, viele Spieler überbrücken die Zeit bei Teams im Ausland.

Geschieht nicht noch ein Wunder, könnte – wie schon 2004/05 – die ganze Saison abgesagt werden. Eine Aussicht, die Millionen Fans in Kanada erzürnt. Sie verfolgen den „Lockout“ mit wachsender Ungeduld und immer mehr wenden sich ganz von der NHL ab.

Einer im Edmonton Journal veröffentlichte Umfrage zufolge haben mittlerweile fast zwei Drittel der Kanadier das Interesse an der NHL verloren und geben an, der Ausgang des Arbeitskampfes sei ihnen egal. Auch Matt McBride ist frustriert. Der Familienvater dreht gerade ein paar Eislauf-Runden auf der Eisfläche im Erdgeschoss der Mall. Er hat sich ein Oilers-Shirt mit der 99 übergestreift, die Rückennummer, die einst Wayne Gretzky trug.

Enttäuschung über Team-Eigner und Spieler

„Im Moment bin ich nur noch wütend“, meint McBride. „In den letzten Spielzeiten habe ich mir die Oilers mehrmals live in der Arena angesehen. Doch selbst wenn die Saison irgendwann weitergeht, werde ich mir erst mal keine Tickets mehr kaufen.“ Zu tief sitzt seine Enttäuschung über die NHL, zu groß ist die Wut über das Gebahren von Eigentümern und Spielergewerkschaft.

Bei dem Konflikt geht es um viel Geld. Knapp 3,5 Milliarden Dollar verdient die NHL jede Saison. Klubeigentümer und Spieler streiten seit Wochen um die Aufteilung dieses Kuchens. Doch viele Kanadier stößt die Feilscherei ab, sie ärgern sich über die finanziellen Dimensionen, denn viele Spieler verdienen so viel wie nie zuvor. Selbst der deutsche Nationalverteidiger Christian Ehrhoff kassiert bei den Buffalo Sabres rund zehn Millionen Dollar im Jahr.

Auch den Eigentümern geht es prächtig. Gleichzeitig versuchen sie, so viele Investitionen wie möglich auf Steuerzahler und Fans abzuwälzen. In Edmonton etwa streiten sich Verein und Gemeinde seit Monaten, wer die Baukosten für ein neues Eishockey-Stadion übernehmen soll. Unlängst drohten die Oilers sogar, Kanada zu verlassen und in die US-Metropole Seattle umzuziehen. „Viele Fans empfinden da nur noch Hohn und Spott“, meint Familienvater McBride.

Gehirnerschütterungen und Erfolglosigkeit

Der Lockout gefährdet mittlerweile den Ruf einer ganzen Sportart, denn er fällt in eine ohnehin kritische Zeit. Seit Superstars wie Sidney Crosby lange verletzt pausieren mussten, hat das Image der NHL gelitten. Monatelang diskutierte das Land über Gehirnerschütterungen statt über das Geschehen auf dem Eis. Dazu kommt die Erfolglosigkeit: Seit nahezu 20 Jahren warten die Kanadier darauf, dass wieder einmal einer ihrer Klubs den Stanley Cup heim ins Mutterland des Sports holt.

Zwar ist die Sportart bei vielen Kanadiern nach wie vor sehr populär. Doch die Demografie des Landes verändert sich. Immer mehr Kanadier sind Zuwanderer aus Ländern ohne echten Winter und entsprechender Kultur, immer weniger Jugendliche begeistern sich für Puck und Schläger. Vor 20 Jahren bezeichneten sich einer Studie der Level5 Strategy Group zufolge noch rund die Hälfte der Kanadier als „leidenschaftliche“ Eishockey-Fans, heute, hat die in Toronto geheimatete Consulting-Firma festgestellt, nur noch ein Drittel.

Der Ausstand verbessert diese Zahlen garantiert nicht. Aber noch ist völlig offen, wann der Spielbetrieb weitergeht. Genauso offen ist, ob die NHL danach einfach so zur Routine wird zurückkehren können. Schon fordern manche, der Liga den traditionsreichen Stanley Cup wegzunehmen, um den Pokal nächstes Jahr an ein erfolgreiches Amateurteam verleihen zu können.

20 Millionen Dollar pro Spieltag

Auch die ökonomischen Folgen sind beträchtlich. NHL-Boss Gary Bettman schätzt, dass der Liga an jedem Tag, an dem nicht gespielt wird, bis zu 20 Millionen US-Dollar an Umsätzen verloren gehen. Das ist auch in Edmonton zu spüren. Zum Beispiel im Fairmont Hotel Macdonald, einem altehrwürdigen Eisenbahnhotel hoch über dem Saskatchewan River, in dem gewöhnlich die NHL-Teams übernachten, die bei den Oilers antreten. „Wir mussten unsere Gewinnerwartungen reduzieren“, berichtet Verkaufsdirektorin Lana Uytterhagen. Seit dem Herbst sind der Nobelherberge 6.000 Übernachtungen verloren gegangen.

Auch im Viertel, in dem das Stadion der Oilers liegt, ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt. Über den Wayne-Gretzky-Drive pfeifft ein eisiger Wind, doch im Fireside Restaurant wärmt sich kaum jemand auf. An Spielabenden stünden die Fans normalerweise Schlange, berichtet eine Managerin. Sportkneipen wie das Fireside verlören bis zu einem Drittel ihres Umsatzes. Auch die Großbrauerei Molson, einer der NHL-Sponsoren, verkaufte in Kanada in diesem Herbst fünf Prozent weniger Bier.

Der Ausstand kennt aber auch Gewinner. Vinay Morker zum Beispiel, der in Edmonton einen Sexshop betreibt. Weil im Fernsehen keine NHL-Spiele laufen, hätten viele Männer offenbar wieder mehr Zeit für ihre Frauen und Freundinnen, berichtet er. Im Vergleich zum vergangenen Jahr verkaufe er etwa 15 Prozent mehr Erotikwäsche und Sexspielzeug. Nicht ausgeschlossen, dass es in Kanada in einigen Monaten zu einem Babyboom kommt – der NHL sei Dank.

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4 Kommentare

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  • B
    Bobs

    Ich freue mich immer über taz-Beiträge - sie sind ausgesprochen gut. Dieser hier ist aber blödsinnige Effekthascherei: Mit Titel, Vorspann und Foto wird der Eindruck vermittelt, es gehe im Text nicht nur um Eishockey, sondern ganz wesentlich auch um Sexspielzeug. Doch wer den Text liest erfährt, dass es eigentlich nur um Eishockey geht. Es gibt viele wichtige Messages im Beitrag, aber dass Sexspielzeugverkäufer (angeblich) durch die Krise gewinnen, ist inhaltlich nicht mehr als eine amüsante Randnotiz und nimmt lediglich einen bescheidenen Teil des Textes ein. Und überhaupt: Die Meinung eines einzelnen Sexspielzeugverkäufers, seine Verkäufe steigerten sich aufgrund der Eishockeykrise, trägt überhaupt nicht die allgemeine Behauptung im Vorspann, es gebe auch Gewinner aus der Krise.

  • U
    Ungläubiger

    @ Megestos

    Stimmt, es muss "nicht immer total wissenschaftlich korrekt zugehen im Journalismus", es darf auch mal Spaß machen ;) Dafür ist es ja Journalismus und keine Doktorarbeit in Kernphysik.

     

    Der Autor berichtet uns über den Lockout und über den gestiegenen Absatz eines Sexshops in einer Eishockey-Hochburg – da mag ein gewisser Zufall dabei sein, da mag aber auch ein Zusammenhang bestehen und auf diesen Umstand werden wir hingewiesen.

     

    Ob nun alle Kanadier mehr vögeln, weil ihre Lieblingssportart dahinsiecht oder sie ohnehin mehr Lust gehabt hätten ist doch letztlich auch nicht gar so wichtig. Wünschen möchte ich es ihnen von ganzem Herzen. Besser sie sind nett zueinander und erfreuen sich all der Schweinereien, die man im Bett und anderswo anrichten kann, als sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen und Streit und Prügeleien anzuzetteln, oder?

     

    Und zu guter Letzt: Natürlich wird hier mit dem Sexverweis versucht Leser anzulocken! Bei Ihnen und bei mir hat es ja schonmal geklappt, oder haben Sie den Artikel nur gelesen, weil Sie grundsätzlich jedes einzelne Wörtchen auf taz.de aufsaugen wie Schrift gewordene Ambrosia? Na also! Denn, und das mag eine bittere Erkenntnis sein oder auch nicht, gelesen wird, was mit reißerischen Themen lockt und erlaubt ist, was verkauft. Soll heißen, wenn zum Behufe der Verlockung der Leser eine reißerische Überschrift gewählt wird, dann ist das doch super, solange wir dadurch von etwas erfahren, von dem wir vorher nichts wussten. So funktioniert guter Unterricht, so funktioniert gute Schriftstellerei und so funktioniert eben auch der Journalismus.

     

    Also, weniger jankeln, mehr für die Kanadier freuen und auch mal eine schiefe Überschrift gerade sein lassen ;)

  • I
    ion

    "Nicht ausgeschlossen, dass es in Kanada in einigen Monaten zu einem Babyboom kommt – der NHL sei Dank.";

     

    Ergo:

    Für länger die Bundesliga lahm legen, Frau Bundesministerin Schröder.

  • M
    Megestos

    Der Titel und das Foto erwecken den Eindruck, der Artikel würde eine Verbindung zwischen der sinkenden Popularität von Eishockey und dem steigenden Verkauf von Sexspielzeug herstellen.

     

    Dabei wird Sexspielzeug nur im letzten Absatz erwähnt, und es geht auch nur um EINEN Laden, der 15% mehr Absatz hat; die Verbindung wird auch nur rein spekulativ in einem Satz angedeutet. Nur weil es eine Korrelation gibt zwischen Verkaufszahlen eines bestimmten Produktes und dem Auftreten eines bestimmten Phänomens (z.B. eines Lockout) gibt, ist damit noch kein Kausalzusammenhang sichtbar. Und die Korrelation ist auch noch ziemlich schwach; es kann viele Gründe geben, wieso Vinay Morker's Laden besser läuft.

     

    Ist dieser Artikel ein bewusster Versuch, mit einem willkürlichen Sexverweis Leser_innen anzulocken? Oder hatte der Autor einfach Lust, mal ein paar Zahlen nebeneinanderzustellen und ohne guten Grund Zusammenhänge zu behaupten? Aber gut, es muss ja nicht immer total wissenschaftlich korrekt zugehen im Journalismus.