„Kein Feigenblatt des Landes“

Die rigorose Abschiebepraxis hat er nicht gestoppt. Aber ein kleines Handgeld für Flüchtlinge sei ein Erfolg, meint Uli Sextro, der viereinhalb Jahre Abschiebebeobachter am Flughafen Düsseldorf war

INTERVIEW SUSANNE GANNOTT

taz: Herr Sextro, warum wollen Sie nicht mehr Europas einziger Abschiebebeobachter sein?

Uli Sextro: Es gibt den banalen Grund, dass ich das viereinhalb Jahre gemacht habe. Es ist ein stressiger und belastender Job. Man sitzt zwischen allen Stühlen. Ich habe diese Arbeit aufgebaut, jetzt kommt es darauf an, dass sich ein anderer einarbeitet. Wenn dieser Wechsel funktioniert, die Stelle also nicht mehr personenabhängig ist, dann haben wir es geschafft!

Ihre Bilanz ist also positiv?

Wir haben sicher nicht die große Politik beeinflussen können, aber wir haben in dem Mikrokosmos Flughafen Einiges bewegt – etwa was den Umgang mit den Menschen angeht. Auch die Behörden sind vorurteilsfreier geworden. Wenn etwa eine Person abgeschoben wird und sich noch jemand verabschieden möchte, war das früher ein größeres Problem. Inzwischen ist das fast immer möglich. Gut ist auch die kontinuierliche und konstruktive Diskussion im Forum Flughäfen NRW. Dass wir das institutionalisieren konnten, ist ein großer Erfolg.

Was haben Sie noch erreicht?

Vor allem den Handgelderlass. Eines der ersten Probleme, die ich beobachtet habe, war, dass oft Leute ohne einen Cent in der Tasche abgeschoben wurden. Das hat bei den Betroffenen große Aggressionen ausgelöst, sie konnten im Herkunftsland nicht mal etwas zu essen kaufen. Nach einer langen Diskussion hat die Landesregierung dann Anfang 2004 diesen Erlass gemacht. Seitdem bekommen mittellose Abzuschiebende 50 bis 70 Euro. Da mag man drüber schmunzeln, das ist kleines Geld. Aber es hat große Wirkung für Menschen in dieser Situation.

Aber an der rigorosen Abschiebepraxis hat Ihre Arbeit nichts geändert.

An der Gesetzeslage habe ich natürlich nichts ändern können. Aber auf Erlassebene hat sich schon etwas getan. Auch in dem so genannten Kriterienkatalog zur gesundheitlichen Begutachtung von Abzuschiebenden sind Gedanken und Ideen von uns eingeflossen.

Aber Sie selbst haben oft kritisiert, dass Behörden kranke Leute „gesund schreiben“ lassen, um sie abzuschieben.

Tatsächlich passiert es oft, dass Gutachten vorliegen, die Flugunfähigkeit attestieren, aber Ausländerbehörden so lange suchen, bis sie einen Arzt finden, der die Reisetauglichkeit bescheinigt. Meine Forderung ist: Die Mitarbeiter in den Ausländerbehörden müssen nun entsprechend geschult werden, damit sie den Erlass umsetzen.

Konnten Sie eigentlich auch Abschiebungen verhindern?

Ich habe mich noch nicht vors Flugzeug geworfen. Aber ich habe einige Male interveniert, wenn jemand offensichtlich krank war oder es neue, noch nicht bewertete Unterlagen gab. Dann ist die Sache vor Ort erneut beurteilt worden, darauf wurden einige Leute wieder aus der Maschine genommen.

Böse Zungen könnten trotzdem sagen, dass Sie nur das Feigenblatt der Landesregierung waren.

Ja, aber diese Kritik nehme ich nicht mehr ernst. Diese Stelle ist kein Feigenblatt. Sie hat den Finger in die Wunden gelegt, sie hat sachlich kritisiert. Und aufgrund dieser Kritik sind Ausländerbehörden auch ermahnt worden. Es sind dicke Bretter, an die wir uns gewagt haben, da muss man einfach weiter bohren.

Auch die Behörden loben, durch Ihre Arbeit sei „Transparenz“ in den Abschiebeprozess gekommen. Aber müsste nicht die gesamte Prozedur – von der Verhaftung zu Hause bis zur Ankunft im Herkunftsland – transparenter werden?

Eine Begleitung schon bei der Verhaftung ist kaum zu organisieren. Außerdem: Wenn es dabei Probleme gab, dann haben sich die Betroffenen am Flughafen beschwert und man konnte dem an Ort und Stelle nachgehen. Eine Beobachtung während des Fluges wäre sicher von Nöten, um zu gucken, wie der Flug und wie die Übergabe im Herkunftsland ist. Das ist eine Forderung, die ich schon öfter artikuliert habe – insbesondere bei den so genannten Eurochartern, den EU-weiten Sammelabschiebungen, die seit einiger Zeit durchgeführt werden.

Was ist das Problem an den Eurochartern?

Das Problem dabei ist, dass es zwar gemeinsame EU-Leitlinien gibt, aber die sind nicht verbindlich. Das finde ich äußerst prekär. Die Tiertransporte in der EU sind streng reglementiert, aber bei der Abschiebung von Menschen kann man sich über verbindliche Standards nicht einigen. Daher wäre ein unabhängiges Monitoring angebracht: vom Ort der Abschiebung über den Flug bis zur Übergabe. Auch der Europarat hat das übrigens schon gefordert.