Berliner Szenen: Eierräuber, böse
Berlin ist wild und gefährlich. Und unsere AutorInnen sind immer mittendrin. Ihre schrecklichsten, schönsten und absurdesten Momente in der Großstadt erzählen sie hier.
Das Kind hat ein Dinosaurierbuch geschenkt bekommen. Und ist – wie es jedes dreijährige Kind vor ihm war und es jedes dreijährige Kind nach ihm sein wird – merkwürdigerweise auf der Stelle fasziniert von diesen hässlichen Viechern, lernt fleißig Vokabeln und ich also mit ihm: Deinonychus (Eierräuber, böse), Maiasaurier (ziehen ihre Kinder groß, gut), Stegosaurier (komischer Stachelrücken, lustig). Einmal hat es mir morgens so oft erklärt, wie ein Allosaurier seine Beute erlegt (Maul auf, reinrennen, Maul zu), dass ich ihn eine halbe Stunde früher als nötig in die Kita geschleppt habe.
Ja, Kinder sind halt anstrengend. Aber was mitunter noch viel anstrengender ist, sind ihre Bücher. Besagtes Dinosaurierbuch ist Teil einer ganzen Kinderbuchreihe über Marienkäfer, Feuerwehrautos, Ponys etc., in die Pädagogen viel Zeit investiert haben (Klappen, „Fühlelemente“). Vor den letzten Seiten dieser Reihe habe ich immer Angst. Da muss man dann passend zum Thema was basteln (kann ich nicht) oder was backen (na ja).
Das Dinobuch legt den Eltern nahe, das Vorleseerlebnis mit einem kleinen Museumsbesuch abzurunden. Im Naturkundemuseum sah zum Glück alles genauso aus wie im Buch – riesige Skelette, und alle da: Stegosaurus, Allosaurus, Diplodocus.
Ein Museumsführer mit einer Kindergruppe nähert sich, gelangweilt fragt er, warum der Allosaurier den Stegosaurier wohl nicht fressen konnte, na? „Wegen der Stacheln!“ Dann leuchten seine Augen auf: „Und wisst ihr, warum der Diplodocus mit dem langen Hals auch so einen langen Schwanz hatte, na?“ Schweigen. Der Museumsführer, triumphierend: „Damit er nicht auf die Fresse fliegt!“ Die Mutter neben mir saugt hörbar die Luft ein, der Papa gegenüber schaut irritiert von seinem Smartphone auf. „Mama“, sagt das Kind auf dem Rückweg. „Weißt du, warum der Diplodocus nicht auf die Fresse fliegt?“