Vorhang auf

PUBLICITY Auftritt Rem Koolhaas im diskursiven Rahmenprogramm „How German is it?“ zu Thomas Demands Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie

VON DOMINIKUS MÜLLER

Wer wie Thomas Demand seine Ausstellung – in der Neuen Nationalgalerie wohlgemerkt – „Nationalgalerie“ nennt, der muss beim Rahmenprogramm schon für reflexive Abfederung des nationalen Repräsentationsanspruchs sorgen. Klar.

„How German is it?“ heißt denn auch die regelmäßige Diskussionsveranstaltung, bei der sich – seit der Eröffnung der Ausstellung mit Fotografien von Card-Board-Nachbauten historisch virulenter Settings – Stars des internationalen Theorie-Jet-Sets wie der Philosoph Jacques Rancière oder die Soziologin Saskia Sassen genauso die Klinke in die Hand gaben wie Politiker vom Schlage eines Hans-Christian Ströbele oder Erhard Eppler. Im mit Vorhängen zum klandestinen Erinnerungskabinett umgestalteten Mies-van-der-Rohe-Bau trafen sich das frühere RAF-Mitglied Astrid Proll mit Bild-Reporter Julian Reichelt oder Bestsellerkönig Daniel Kehlmann mit Adrian van Hooydonk, Chefdesigner der BMW Group.

Man könnte das öffentlichkeitswirksame Debatten- und Vortragsarbeit über disziplinäre Grenzen hinweg nennen. Name-Dropping aber auch. Ein Diskurs- und Publicityverstärker für Demands Ausstellung ist es allemal. Und so war klar, dass man sich für die 15. und vorletzte Runde, in der es unter dem Titel „Utopia and its reconstruction“ um die Architektur gehen sollte, nicht mit irgendjemandem zufrieden geben würde. Da musste schon Rem Koolhaas her, bekannter Vordenker an der Schnittstelle von Theorie und Praxis, Verfasser urbanistischer Klassiker wie „Delirious New York“ und Architekt des sogenannten CCTV-Towers, der neuen Zentrale des chinesischen Staatsfernsehens in Beijing, der, adjutiert von Philipp Oswalt, seines Zeichens Direktor der Bauhaus-Stiftung in Dessau, sowie dem Direktor des Unesco World Heritage Center, Francesco Bandarin, die Massen in Berlins einzig wahren Modernismus-Tempel locken sollte.

Abgesehen von Oswalts präzisem Eröffnungsvortrag rund um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses fiel dann aber der Titelbegriff der „Utopie“ schnell unter den Tisch. Schon Bandarin, von dem wenig mehr zu hören war als eine standardisierte Marketing-Rede in Sache UNESCO Weltkulturerbe, kümmerte sich nicht weiter darum. Und spätestens Koolhaas schälte endgültig den eigentlichen Kernterminus des Abends heraus: „Preservation“. Wir lebten in einer „Ära der Bewahrung“, spitzte er die Reden seiner beiden Vorgänger polemisch zu, in der man vom Impetus zur Erhaltung von hinten überholt wird. Im Folgenden übernahm Koolhaas dann auch die Aufgabe, die eigentlich Bandarin hätte zufallen sollen: nämlich die, die Dilemmata und Abstrusitäten der Entscheidung, was konkret wie überhaupt bewahrt werden soll, zu adressieren. Er tat es mit vier Bildern des Berliner Reichstags, dem ursprünglichen Bau, der Kriegsruine, der von Christo und Jeanne-Claude verpackten und schließlich der momentanen, von Norman Foster umgebauten Version.

Welche ist es wert, geschützt zu werden? Und warum? Mit einfachen Beispielen dieser Art gelang es Koolhaas zumindest, ein gewisses Problembewusstsein zu wecken. Antworten auf diese Fragen blieb natürlich auch er schuldig. Dafür schlug er auf implizite und unerwartete Weise den Bogen zu Demands Geschichts- und Repräsentationszentrifuge. In einer seltsamen Doppelung erschien auf der Projektionsleinwand vor dem Demand’schen Vorhangdisplay das Bild einer Ausstellung im Münchner Haus der Kunst aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die wuchtige Überwältigungsarchitektur des nationalsozialistischen Repräsentationsbaus ist darauf mit Vorhängen verhängt.

Koolhaas lapidare Bemerkung: „Der Vorhang als Mittel zur Entnazifizierung.“ Natürlich liegt die Sache im Hinblick auf das Transparenzversprechen der Glasarchitektur der Neuen Nationalgalerie anders. Aber als hintergründig-zweischneidiger Metakommentar auf den Rahmen dieser Veranstaltung war Koolhaas’ Anmerkung dann schon ziemlich gut.