Was vom Leben übrig ist

Forschung Das neue Institut für Lebenswissenschaften der HU beschäftigt sich mit der Einheit der Natur- wissenschaften und mit personalisierter Medizin

Der Gebäudeparkkomplex des alten veterinärmedizinischen Instituts der Humboldt-Universität nennt sich heute Campus-Nord. Dazu gehört das ehemalige Hauptgebäude der Akademie der Künste an der Luisenstraße und demnächst auch das Haus der Ständigen Vertretung der BRD in der Hannoverschen Straße, in dem jetzt noch das Bundesministerium für Bildung und Forschung untergebracht ist. Dieses wird sich auf Basis eines „Public Private Partnerships“ anderswo domizilieren. Auf dem Campus-Nord, wo auch für die HUB-Biologen ein neues Haus gebaut wird, entsteht ein „Integratives Forschungsinstitut für die Lebenswissenschaften“ (kurz: IRI-LS). Am 7. März wurde es gegründet – als „Flaggschiff“ im Rahmen der HUB-Exzellenz-Initiative. Beteiligt sind daran die Charité und das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Buch (wo man einst im Krieg die Idee „Ein Atom – ein Gen“ entwickelte). Letzteres, das MDC, ist mit seinem Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB) vertreten, für das ebenfalls ein neues Gebäude geplant ist. Der Charité wird dafür das Bettenhochhaus renoviert.

Im IRI-LS will man „lebenswissenschaftliche Spitzenforschung“ betreiben. Ende 2012 wurde mit der Teilfusion von Charité und Max-Delbrück-Centrum bereits ein Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG) gegründet, mit dem ein „international sichtbarer Leuchtturm in den Lebenswissenschaften geschaffen wurde“, wie es hieß. Die Erben des Kriegsgewinnlers und Ariseurs Quandt steuerten 40 Millionen Euro zum BIG bei.

Personalisierte Medizin

Der „Life Sciences“-Leuchtturm und das „Life Sciences“-Flaggschiff wollen nun aber nicht gegeneinander Wissen schaffen, sondern dabei kooperieren. Der bereits viel gelobte HUB-Campus Adlershof gibt dabei das „Schema“ vor. Es geht auf dem Campus-Nord organisatorisch und theoretisch um die Einheit der Naturwissenschaft (an der Humboldt scheiterte) und praktisch um „personalisierte Medizin“, also genetisch auf den Kranken zugeschnittene Therapien, wobei die Grundlagenforschung von der molekularen Ebene bis zur medizinischen Arbeit reicht. Dazu müssen „Lösungen für komplexe biomedizinische Probleme“ gefunden werden. Das „neue Forschungsformat“ soll „internationale Spitzenleistungen“ erbringen. Und wenn das gelingt, dann ist nicht nur der „Weg zur Weltspitze nicht mehr fern,“ wie einer der Festredner visionierte, sondern auch der Weg der Forschungsergebnisse in die wirtschaftliche Verwertung.

„Wir sind dabei sehr darauf aus, quantitativ zu arbeiten, auf der Basis mathematischer Theoriebildung“, fügte der Sprecher des IRI-LS hinzu, wobei man sich „auf den großen Reichtum an Mathematikern, den es in dieser Stadt gibt“, stützen will. Der Informationsdienst Wissenschaft frohlockte: „In Berlins Mitte wird das Leben erforscht.“ Besser gesagt: das, was vom „Leben“ übrig geblieben ist: Gene, Epigene, Enzyme, Moleküle, Botenstoffe, Proteine … Die Lebenswissenschaften erforschen „nicht mehr das Leben, sondern die Algorithmen des Lebendigen“, könnte man mit dem Genetiker François Jacob sagen, der für diesen „Switch“ (von ihm „Operon“ genannt) 1965 den Medizin-Nobelpreis bekam. So gesehen ist der neue Begriff „Life Sciences“ nur noch ironisch gemeint.

„Das Leben lebt nicht mehr“, unkte bereits Adorno. Das merkt man bereits am Jargon. So ist etwa von „Photosyntheseapparaten“ die Rede, wenn die frei lebend und zugleich als Symbiont in Pflanzen und Cyanobakterien vorkommenden Chloroplasten gemeint sind, mit deren Hilfe man zum Beispiel im schon bestehenden „Exzellenz-Cluster ‚UniCat‘ “ der Humboldt-Universität Wasserstoff gewinnen will.

Als Hauptredner auf dem Festakt zur Gründung des Life-Sciences-Zentrums sprach der israelische Chemiker Aaron Ciechanover über molekulare Medizin. Er bekam 2004 den Nobelpreis für die Entdeckung der Funktion des Steuer- und Kontrollproteinsystems „Ubiquitin“ (von ubiquitär, allgegenwärtig) in Zellen mit Zellkern: „Ist dieses System gestört, kann es zu zahlreichen Krankheiten beitragen – Krebs, Alzheimer …

Pharmafirmen stiegen in dieses Forschungsfeld ein, und inzwischen gibt es auf dieser Basis ein Medikament zur Krebsbehandlung auf dem Markt“, erklärte Aaron Ciechanover dazu der Berliner Jüdischen Zeitung am Tag des Festaktes. Und zeigte damit bereits den Weg von der molekularen Grundlagenforschung bis zur medizinischen Therapie auf. So kann es also funktionieren. Bleibt zu hoffen, dass die Humboldt-Universität mit der Einrichtung eines kulturwissenschaftlichen Bereichs „Animal Studies“ ein gewisses „Lebens“-Gegengewicht schafft.

HELMUT HÖGE