Die Wahrheit: Schwabmünchen 21
Was Stuttgart, München und Berlin können, kann Schwabmünchen schon lange: Deutschlands Provinz baut teurer und länger.
Ich hab das so satt!“, Laurenz Meier, Bürgermeister von Schwabmünchen, schlägt mit der Faust auf das Podium. Der Saal im Restaurant „Zur goldenen Nase“ ist bis auf den letzten Platz gefüllt, die Bürger hängen an Meiers Lippen. „Alle schauen nur auf diese Großstädte, Hamburg, Stuttgart und Berlin sowieso!“ Meier läuft rot an: „Von wegen Provinz! Was die können, das können wir schon lange!“
Er reckt einen schmalen Papierstapel in die Luft. „Der Neubau des St.-Michael-Kindergartens ist die größte Investition, die die Stadt Schwabmünchen in diesem Jahr tätigt. Aber wer glaubt, wir begnügen uns mit dem, was im Haushalt vorgesehen ist, der hat sich verrechnet. Hier!“ Meier deutet auf eine Zahlenkolonne: „650.000!“
Durch den Saal geht ein Raunen. Meier strahlt in die Kamera des regionalen Fernsehsenders: „650.000 Euro mehr als geplant!“ Tosender Applaus brandet auf. Meier lächelt schelmisch. „Zum Glück kamen auf den letzten Drücker noch die Handwerkerkosten rein. Sonst wäre das natürlich in der Höhe nicht drin gewesen.“
Es geht ein Preisruck durch die deutsche Provinz, nicht nur in Schwabmünchen. Von überall her tönt frohe Kunde: „Der Gammertinger Gemeinderat hat beschlossen, die Kneippanlage auf dem Freizeitgelände zwischen Gammertingen und Bronnen von Grund auf zu erneuern. 133.000 Euro Gesamtkosten hatte der Architekt berechnet. Jetzt werden es wohl 172.000 Euro.“ – „Der Umbau der Burgbergschule in Richen, Landkreis Heilbronn, wird 17.000 Euro teurer als ursprünglich geplant.“ – „Die energetische Sanierung der Wildsteiger Gemeindehalle kommt deutlich teurer als anfangs geschätzt. Im Gemeinderat lag jetzt die Endabrechung vor: 863.000 Euro sind fällig.“ Und ebenfalls „die neue Buswendeschleife am Salzacker im Greizer Ortsteil Obergrochlitz ist teurer geworden als vorgesehen“.
Laut einer aktuellen Blitzbefragung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat sich das Stimmungsbild in vielen Kommunen deutlich verbessert. Die Haushaltslage werde nicht mehr als „Bedrohung“ wahrgenommen, sondern vielmehr als „Herausforderung, um den nötigen Strukturwandel erfolgreich zu meistern“, erklärt die KfW. „Berliner Flughafen, Stuttgart 21, Elbphilharmonie, das können Sie doch vergessen“, brüllt Bürgermeister Meier bei der dritten Maß Bier dem Reporter einer überregionalen Tageszeitung ins Ohr. „Wir zeigen: Deutschland kann mehr!“
Nicht „moralisieren“
„Natürlich können wir uns nicht mit Stuttgart vergleichen“, sagt ein Gemeindevertreter aus dem badischen Bad Säckingen, „Mehrkosten von 2,8 Milliarden Euro, wie soll eine kleine Gemeinde so was stemmen? Aber wir agieren im Rahmen unserer Möglichkeiten.“ Immerhin könne er mit einer Kostensteigerung von 176.000 Euro beim Neubau des Kindergartens St. Elisabeth aufwarten.
Sein Ministerpräsident lobt die „Initiativen“ aus den deutschen Regionen: „Die Menschen in unserem Land sind eben klug – nicht nur die Bürgermeister, auch die Bürger“, sagt Winfried Kretschmann. „Das hat auch der Volksentscheid zu Stuttgart 21 gesagt: Ihr baut jetzt bitte!“ Da dürfe man nicht „moralisieren“. „Es gab eben keine Mehrheit für einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung. Und jeder gute Demokrat hat sich natürlich daran zu halten, das gilt für Buswendeschleifen wie für Tiefbahnhöfe.“
Laut Klaus Wowereit beweist das „lokale Engagement aus West und Ost“, dass vor allem die Hauptstadt ihrer „einenden Vorbildfunktion“ gerecht werde. So könnten nicht nur die großen Städte wie Berlin eine rasante Wirtschaftsentwicklung erfahren, erklärt der Regierende Bürgermeister: „Auch das deutsche Dorf hat das Potenzial, das volkswirtschaftliche Wachstum voranzubringen.“
„Produktionsneutrales Wachstum, das ist die Zukunft“
Die Bundesregierung zeigt sich ebenso begeistert: „Produktionsneutrales Wachstum, das ist die Zukunft“, sagt Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Es steigere nicht nur das Bruttosozialprodukt, „es gibt auch nichts Ökologischeres, als mehr Geld in die Wirtschaft zu stecken, ohne auch nur einen Stein zusätzlich zu verbauen“.
Der Neubau des St.-Michael-Kindergartens in Schwabmünchen soll sogar als „Musterbeispiel“ in das Planungsvereinfachungsgesetz sowie in das „Handbuch für mehr Bürgerbeteiligung“ aufgenommen werden. „Der kleine Mann kann sich 650.000 Euro ja viel besser vorstellen, so viel kostet gerade eine 40-Quadratmeter-Wohnung in München“, sagt der zuständige Verkehrsminister Peter Ramsauer. „So erhöhen wir die Zustimmung zu Projekten, indem wir die Bürger mitnehmen.“
Auf diese Weise wolle er die „positive Energie“ der „Dafür-Mentalität“ stärken. Zudem werde der Kindergarten seine Kosten „selbst erwirtschaften“ – durch Bürgerbeteiligung: Man habe bereits einen Waffelstand eingerichtet, der von Müttern betrieben werde. Ramsauer erklärt stolz: „Das sind die Ideen, die Deutschland braucht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos