: Zwei Angreifer
BEZIEHUNG Selbstherrlich und selbstgerecht: Heino Ferch und Matthias Brandt spielen in dem starken Film „Verratene Freunde“ (20.15 Uhr, Arte) Typen, die keiner mag
VON JENS MÜLLER
Selten fangen deutsche Fernsehfilme so lässig an. Ein Ehepaar besucht das andere im neuen Domizil – und findet zunächst den Eingang nicht, weil die hypermoderne Villenarchitektur so hermetisch ist. Dann finden die beiden auch die Klingel nicht, weil die das puristische Design stören würde und deshalb hinter einer Klappe versteckt sein muss. Der Hausherr bedient die gesamte Haustechnik – einschließlich der Haustür – per Touchscreen. Technisch hat er seine Villa im Griff, sie wird ihm trotzdem noch eine Menge Ärger einhandeln.
„Verratene Freunde“ hat das notorische Duo, bestehend aus Regisseur Stefan Krohmer und Drehbuchautor Daniel Nocke, auf die Beine gestellt. Zuletzt, im vergangenen Jahr, gaben sie ihr verblüffendes Debüt im Genre der Schwarzen Komödie. Sie sind also nicht festgelegt, aber wenn man einen motivischen Schwerpunkt in ihrem Filmschaffen ausmachen wollte, dann kreisen die Filme immer wieder um Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung. Es geht immer wieder um egomanische Beziehungskonstrukte („Sie haben Knut“, „Mitte 30“). Die verraten(d)en Freunde Peter und Andreas sind Egozentriker vor dem Herrn. Sie sind darüber hinaus Abziehbilder. Sie repräsentieren je einen spezifischen Typus männlicher Selbstherrlichkeit und Selbstgerechtigkeit, den jeder kennt und den keiner mag.
Peter (Heino Ferch) ist der Unternehmer, der Topmanager, der Leistungsträger, der virile Macher, der viel verdient, weil er es sich verdient hat. Der sich selbst nicht in Frage stellt und es nicht nötig hat, sich von anderen in Frage stellen zu lassen. Rolf-E. Breuer, Josef Ackermann, Wendelin Wiedeking, Utz Claassen, Joachim Hunold, Hartmut Mehdorn – die TV-Nachrichten sind voll von solchen Männern.
Andreas (Matthias Brandt) ist der Lehrer, der Oberlehrer, schlimmer noch, der Schulleiter. Moralisch immer überlegen. Seinen Freunden und seiner Frau genauso wie seinen Schülern.
Peter ist der stolze Hausherr der prätentiösen Villa, Andreas sein Gast mit anderen Wertmaßstäben. Andreas erfährt bei jenem Besuch von Peters kreativer Buchführung im Umgang mit Spendengeldern, die dieser für wohltätige Zwecke kassiert hat. Um damit besagte Villa zu finanzieren. Was nicht heißt, dass er kein Wohltäter ist. Eindeutige Zuschreibungen verbietet sich der Film.
„Ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehen soll“, sagt Andreas noch am selben Abend zu seiner Frau. Bald stellt er sich einem Zeitungsjournalisten als Belastungszeuge zur Verfügung. Peter kennt sich aus mit der Öffentlichkeit. Bald setzt er sich gegen Andreas zur Wehr: „Wir greifen selber an. Das hab’ ich immer so gemacht.“
Nebenbei werden beide Männer von ihren Frauen verlassen: Andreas’ Frau (Barbara Auer) bekennt sich zu ihrer Affäre mit Peter. Andreas’ Reaktion: „Peter hat Hallervorden-CDs. Das ist so, ich hab’s gesehen.“ Es wird für alle existenziell. Wer hat nun eigentlich wen verraten?
Dass die Typen Peter und Andreas so lebensecht wirken, liegt nicht zuletzt an den glänzend besetzten, souverän spielenden Heino Ferch und Matthias Brandt. Katja Riemann und Barbara Auer spielen die Frauen, nicht weniger souverän, natürlich. Der ganze Film ist so souverän. So wohl proportioniert. Realistisch, nicht unironisch. Distanziert, nicht kalt. Dramatisch, nicht melodramatisch.
Den meisten Filmleuten hätte es wohl gefallen, den Konflikt immer weiter eskalieren zu lassen, bis zum lauten Knall. Nicht so Krohmer und Nocke. Bloß kein billiges Pathos. Am Ende sitzen Peter und Andreas und die Frauen wieder zusammen in der Villa. Es klingelt an der Tür. Selten hören deutsche Fernsehfilme so lässig auf.
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