Krieg dem schlechtem Geschmack

VERLORENHEIT In Henning Kobers Debütroman „Unter diesem Einfluss“ muss man sich erst einmal durch die Popattitüde kämpfen – dann wird es, vielleicht, fast ein Generationenbuch

Was als Imitation von Kracht verstanden werden kann, hätte Kober gar nicht nötig

VON LAURA EWERT

Die beste Stelle des Buches war schon im vergangenen Sommer in der Zeitschrift Liebling abgedruckt worden. Die Betrachtung eines Dialogs am Krankenbett zwischen Mann und Frau, in dem alles und nichts gesagt wird. Ein paar hundert Zeilen, die – wie bisher die meisten Texte von Henning Kober – eine angespannt melancholische Hoffnung hinterließen. Der ehemalige taz-Autor und freie Journalist, 1981 geboren, arbeitete zuletzt für die Vanity Vair. Seine Texte schienen oft romantisch und kritisch zugleich, ohne intellektuelle Arroganz, dafür mit einem gar nicht blöden Popinstinkt. Seine Sprache ist auffällig. Stilvoll und schön, aber dabei auch einfach. Jemand also, von dem man mal ein ganzes Buch lesen wollte. Dann kam sein Roman „Unter diesem Einfluss“, und man war schnell enttäuscht.

Einige wunderbare Sätze

Fast hätte man es nicht geschafft, zu Ende zu lesen, wie Janus, die Hauptfigur, durch die Welt reist, irgendwas sucht, irgendwen trifft und viel Geld für Flüge, Champagner und Klamotten zu haben scheint. Die meiste Zeit wirkt der Autor gefesselt, von seinem eigenen Anspruch. Aber wenn man die Zwischenräume liest, dann bleiben immerhin einige wunderbare Sätze. „Ich soll nicht alle Fragen als Vorwurf denken“ ist so einer oder „Das Schreckliche ist nicht das Ende, es ist der Tag danach.“ Bitte, dieses Buch kann doch so schlecht nicht sein! Da muss doch noch mehr sein zwischem all dem Wust an Nichtdialogen und Landschaftsandeutungen!

Erst mal muss man sich durch die Popattitüde kämpfen. Die dauernden Markennennungen – der Turnschuhe, der bevorzugten Handy-Hersteller – nerven irgendwann, weil sie wie eine angestrengte Überspitzung eines seit den Popliteraten doch eigentlich längst abgehandelten Stilmittels daherkommen. Kober übertreibt. Es ist die alte Geste des Um-sich-Schlagens in einem Kampf, in dem niemand verletzt werden soll. Das ist schade, denn was schnell als bloße Imitation von Kracht und Co. verstanden werden kann, hat er gar nicht nötig. Die verwässerten Codes, das ständige Reisen, die verschiedenen Personen mit Musikgeschmack und verrückten Namen, aber ohne Gesicht strengen irgendwann einfach an.

Und die Einschätzung, dieses Buch sei ein Drogenroman, wie in einer Besprechung zu lesen war, ist zu kurz gegriffen. Der ständige Konsum von was auch immer erklärt hier weder den Rausch noch hat er eine provozierende oder identitätsstiftende Wirkung; Drogen sind bei jungen Leuten doch eh längst alltägliche Realität.

Tun wir doch aber mal so, als ob Kober sich selbst und seine vollkommen unsympathische, aber womöglich unwirkliche Lebenswelt nicht so wichtig nimmt, wie es scheint. Tun wir so, als würde es uns nicht stören, dass wir nicht wissen, wohin es geht in diesem Text. Eine irgendwie kranke und unerreichbare Liebe, ein verschwundener Bruder, ein kranker Vater – tut man aber so, als sei der herumirrende Protagonist und der verlorene große Bruder Bobby, der entweder in Briefen oder Blogeinträgen andeutet, mit Terrorabsichten die Welt verbessern zu wollen, in Wirklichkeit ein und dieselbe Person, könnte man das Buch schon eher als eine verbitterte Abrechnung mit den Umständen verstehen. Man könnte auch eine amüsante Abrechnung mit der Vanity Vair herauslesen. Kober lässt Bobby bei einem „Magazin für das Neue Deutschland“ arbeiten, dessen Chefredakteur nicht gut wegkommt und für das zu schreiben Bobby als „blöde“ bezeichnet.

Das wäre eine Lesart, in der der erste Eindruck, das Buch sei vor allem Gelaber über Marken, Drogen und Partys, dann doch nicht stimmt. Man kann dann eine Zerrissenheit erkennen, die Suche nach Wahrhaftigkeit, nach Sinn, nach Inhalt. Typische Junge-Leute-Themen eben – in einer vollkommen erwachsenen Welt. Man kann eine Bodenlosigkeit, Heimatlosigkeit herauslesen, und vielleicht geht es dann auch darum, dass man sowieso nichts mehr ernst nehmen kann heute.

Vielleicht ist Kobers Buch sogar ein Generationenroman. Kober streift Themen vom „Krieg gegen den Terror“ bis zum nationalen Selbstverständnis der Deutschen und erzählt damit von der Generation 9/11, die von den starken USA als Popabziehbildchen stets fasziniert war und sie dann zerstört als graue Staubwolke sehen musste. Eine Generation, die sich um die Identität als Deutsche mehr als je zuvor Gedanken machen muss. „Krieg der Lüge, der Gedankenlosigkeit, und dem schlechten Geschmack! Krieg dem Neuen Deutschland!“, heißt es an einer Stelle, an einer anderen: „Inzwischen fahren die Lautsprecher des Neuen Spießbürgertums ihren Wimpelstolz auch ohne die Lüge des Fußballs durch die Stadt.“ Denn diese Generation ist vor allem geprägt von der Auflösung, seien es ganzer Länder oder eben der inneren Sicherheit. Eine Generation, für die die Bilder eines Terrorangriffes auch etwas merkwürdig Heimatliches und Wohliges haben, wie sie damals in viele elterliche Wohnzimmer kamen – auch bei Henning Kober werden ähnliche Bilder wiederholt.

Hier spricht der globalisierte junge Mensch ohne Identität. „Ich möchte keine Hülle sein, die mein Gegenüber mit seinen Wünschen ausmalen kann“, lässt Kober seinen Janus einmal sagen. Nur leider hat er es alles in allem nicht geschafft, begreifbar zu machen, warum er selbst die Hülle seines Protagonisten weitgehend leer lässt.

Henning Kober: „Unter diesem Einfluss“. Fischer, Frankfurt am Main 2009, 285 Seiten, 18,95 Euro