: Das schmeckt nach mehr
RESERVE Viele Gerichte munden und gelingen einfach besser, wenn sie später noch einmal aufgewärmt werden
■ Besser: Es gibt viele Gerichte, die aufgewärmt besser schmecken. Kohlgerichte zählen dazu, ebenso Eintöpfe oder Schmorgerichte. Außerdem gedünstetes Gemüse, warmer Kartoffelsalat und Tomatensoße. Polenta, Klöße oder Knödel kann man in Scheiben schneiden und aufbraten.
■ Schlechter: Mit Käse Überbackenes, Nudeln, Reis besser anbraten. Gebratenes Gemüse wird oft trocken, also mit etwas Flüssigkeit, Brühe oder Wein aufwärmen.
■ Geht: Entgegen hartnäckigen Gerüchten können Pilze durchaus wieder aufgewärmt werden. Auch Aufläufe, Maultaschen, Grieß-, Fleisch- und Fischklößchen, Buletten und Tofu.
■ Geht gar nicht: Eierspeisen, also Rührei oder Omelette. Gebratener/gedünsteter Fisch, insbesondere Heilbutt – der zerfällt. Sauce Hollandaise, kurz und rosa gebratenes Fleisch wie Roastbeef und Steak, Bratwurst, Kartoffelpüree.
VON TILL EHRLICH
Der größte Feind des Kochs ist jener Moment, in dem die Hektik ausbricht. Weil das Fleisch zäh bleibt und dreimal länger braucht, als im Rezept steht; dann ist das Gemüse zerkocht, und in fünf Minuten kommen die Gäste. In solchen Situation gerät der Koch außer sich, wird fahrig. Und dann passiert es: die Suppe brennt an, in der Pfanne züngeln Stichflammen, und der Gockel verkokelt unterm Grill. Am Ende kippt der Koch hasserfüllt die Pasta in den Durchschlag, das heiße Nudelwasser schwappt bumerangartig zurück … große Küchenpleite.
Die beste Vorsorge trifft, wer früher anfängt mit dem Kochen. Nicht eine Stunde, sondern einen ganzen Tag vorher. Noch besser sind zwei Tage. Das bedeutet nun nicht, dass man tagelang kocht, man kann das nebenbei geschehen lassen. Wenn genug Flüssigkeit im Topf ist, köchelt die Speise bei kleiner Flamme ganz allein vor sich hin. Sanft und lange gegartes Fleisch schmeckt außergewöhnlich zart, der Geschmack ist komplexer.
Kochen ist Chemie
Das kann man auch ganz allgemein vom Aufwärmen sagen: es schmeckt mit jedem Mal besser. Dies steht auf den ersten Blick im Widerspruch zum Dogma der Frischeküche, das besagt, dass nur frisch und so kurz und spät wie möglich Zubereitetes bekömmlich, schmackhaft und gesund sei. Doch nicht nur Suppen, Eintöpfe oder Schmorgerichte, auch Rot- oder Grünkohl schmecken und gelingen bekanntlich besser, wenn man sie nicht frisch kocht, sondern aufwärmt. Garen bedeutet, etwas weich zu machen und den Geschmack zum Vorschein zu bringen. Je langsamer das abläuft, desto größer ist die Bandbreite der daran beteiligten biochemischen Prozesse. Und je größer die Bandbreite, desto feiner und komplexer der Geschmack.
Kochen ist ein chemischer Verfallsprozess, bei dem die Zutaten genießbar und schmackhaft gemacht werden. Besonders wichtig ist das beim Fleisch, das erst weich und zart wird, wenn die Kollagene denaturiert sind. Kollagene sind die Strukturproteine des tierischen Bindegewebes, also Sehnen, Knorpel, Bänder, die eine enorme Festigkeit haben. Das Fleisch braucht seine Zeit, ehe sich das Kollagen denaturiert, deformiert und auflöst. Dabei werden Aromastoffe herausgelöst, und das Fett tritt aus. Denaturierte Kollagene werden gelatineartig, man erkennt es am sülzigen Glibber, der sich bildet, wenn man eine Brühe über Nacht kalt stellt.
Auch Enzyme sind beteiligt. Es sind Moleküle, die sich in allen lebenden Zellen befinden. Bestimmte Enzyme, besonders die von Ananas und Papaya, bauen Proteine ab und machen das Kollagen weich. Wenn man einen Schweinebraten vor dem Garen direkt mit Ananassaft impft, wird er zarter, schmeckt allerdings nach Ananas, was man mögen muss. Die Weichmacherei ist auch der Sinn vom Marinieren und Beizen. Öl, Essig, Wein und Fruchtsäuren wie Zitronen- oder Orangensaft greifen das Bindegewebe von Fleisch und Fisch an, zersetzen es und machen es weicher und aromatischer. Beim Schinken wird der natürliche Verfallsprozess durch Rauch, Salz und das Trocknen extrem verzögert. So bildet sich eine Fülle von Geschmacksstoffen.
Vergleichbares geschieht, wenn man etwas sehr langsam bei niedrigen Temperaturen kocht. Das hat sich besonders die jüdische Küche zu eigen gemacht, eine der schmackhaftesten und vielfältigsten Küchen. Dort geht man durch das langsame Kochen an die Grenze des Erlaubten, ohne religiöse Gebote zu brechen. Die Schabbat-Gesetze verbieten das Arbeiten und Feuermachen, deshalb gibt es in der jüdischen Küche eine Fülle von Eintopfgerichten, die am Freitag vorbereitet werden und über Nacht bis Samstagmittag auf dem Herd stehen und ganz langsam garen. Solch ein Gericht ist Tscholent, das in vielen Varianten etwa aus koscherem Fleisch, Gemüse oder Bohnen bereitet wird. Auch eine köstliche Hühnersuppe, die „Golden Joich“, wie sie im Jiddischen heißt, gehört dazu.
Glücklich ohne Aufwand
Ein Geschenk des Langsamkochens ist auch Pot-au-feu, ein ursprünglich bäuerlicher Eintopf aus Nordfrankreich. Er zählt zu den Grundlagen der französischen Küche. Neben der Eigenschaft, dass er aufgewärmt am besten schmeckt, kann man damit viele Gäste mit relativ wenig Aufwand glücklich machen. Besonders gut wird Pot-au-feu mit Rippenknochen, Rindsschulter, Kalbshaxe, Ochsenschwanz, Huhn, Pute, Fasan oder Lammkeule. Auch Kohl und Blumenkohl eignen sich. Eigentlich ist sogar der Wiener Tafelspitz ein Pot-au-feu, man sollte das bloß nie in Gegenwart eines Österreichers erwähnen.
Allen Pot-au-feus ist gemeinsam, dass Fleisch mit Gemüse, oder auch nur Gemüse, langsam gekocht wird. Dabei entsteht eine gute Brühe, die sich abzweigen lässt für Soßen und Suppen. Eine Reserve, die man gut einfrieren kann und die immer besser und billiger ist als industriell hergestellter Fond. Allerdings muss man die Brühe vor dem Einfrieren durch ein Sieb passieren und rasch abkühlen lassen, da sie sonst durch das Gemüse, vor allem die Möhrenstückchen, schnell zu gären beginnt.
Das heute modische Niedrigtemperaturgaren, das von Sterneköchen als Erneuerung gepriesen wird, ist also nichts Neues und wird in vielen Küchen seit eh und je praktiziert. Dass eine Speise durch sehr langsames Garen und späteres Aufwärmen besser schmecken kann, ist in diesem Sinne etwas Altbekanntes, Gutes und sogar Selbstverständliches, das man nicht zum Besonderen erheben muss.
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