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Hamburg und die Haasenburg„Wie Tiere in einer Manege“

Jan Ehlers entwickelte das Konzept „Menschen statt Mauern“ und schaffte als Sozialsenator 1980 geschlossene Heime ab.

"Haus Babenberg" der Haasenburg. Bild: dpa
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Herr Ehlers, braucht Hamburg geschlossene Heime?

Jan Ehlers: Nein. Denn überall dort, wo Menschen Gewalt über Menschen ausüben, lauert der Missbrauch.

Warum haben Sie als SPD-Sozialsenator 1980 die Heime abgeschafft?

Ich habe die geschlossenen Heime besichtigt. Ich hatte noch erlebt, wie im Jugendamtsheim Osdorf ein umzäunter Außenbereich für die Kinder und Jugendlichen zum Frische-Luft-Schnappen hergerichtet war, den diese vom Haus aus durch einen Drahttunnel erreichten, wie Tiere in einer Zirkusmanege. Und ich habe die mit Blech beschlagenen Zellentüren im „Heim für gefallene Mädchen“ in der Feuerbergstraße gesehen, mit Beulen, die davon herrührten, dass die eingesperrten jungen Frauen den Kopf gegen die Zellentür schlugen. Ich weiß, welche Gewalt bei Einschluss auf allen Seiten entsteht und eskaliert. So auch offenbar in der Einrichtung in Brandenburg.

Aber diese Eindrücke scheinen vergessen. In ihrer Partei ist es Linie zu sagen, ohne geschlossene Heime geht es nicht?

Es scheint so. Aber zum Glück gibt es mit Frau Münch als verantwortliche Ministerin in Brandenburg und mit Wolfgang Rose, einem Bürgerschaftsabgeordneten in Hamburg, zwei Politiker, die wider den Stachel löcken. Ich wünsche beiden guten Mut und viel Erfolg.

Im Interview:  Jan Ehlers

74, SPD-Politiker, war 1978 bis 1988 Sozialsensator. 1974 bis 1978 und 1988 bis 2004 war er Abgeordneter der Bürgerschaft.

Sie gaben seinerzeit die Devise „Menschen statt Mauern“ aus. Was ist daraus geworden?

Das von uns als Alternative entwickelte Konzept „Menschen statt Mauern“ war in seinem Vertrauen auf menschliche Beziehungen statt Einschluss fragil. Wir hätten es nach zehn Jahren überprüfen müssen und wollen.

Und das ist nicht geschehen?

Das Thema blieb weitgehend unbeachtet, bis 1998 ein junger Mann aus einer betreuten Jugendwohnung einen Einzelhändler in Tonndorf überfiel, ihn ausraubte und ihm das Leben nahm. Das Verhalten der Pädagogen, deren Aufgabe es gewesen wäre, den Schutzbefohlenen von diesem Geschehen abzuhalten, war nicht zu beschönigen. Denn sie waren nicht da. Seitdem wird in Hamburg wieder weggesperrt, denn Politik erfordert in der Demokratie nicht rationale Konsequenzen, sondern vor allem öffentlich akzeptierte Konsequenzen.

Die Haasenburg

In den Heimen der Haasenburg GmbH in Brandenburg sind Kinder und Jugendliche geschlossen untergebracht, bei denen eine akute Fremd- oder Eigengefährdung bestehen soll.

Kritik: Seit Jahren gibt kritische Berichte über die Firma. Mehrere Jugendliche nannten ihre Erlebnisse dort die schlimmste Erfahrung ihres Lebens.

Ermittlung: Die Staatsanwaltschaft Cottbus hat acht Ermittlungsverfahren eingeleitet wegen des Anfangsverdacht der Misshandlung von Schutzbefohlenen und der Körperverletzung.

Aufsicht: Die Sozialbehörde hat eine fünfköpfige Kommission eingesetzt, die jährlich mindestens einmal, in der Regel unangemeldet Einrichtungen wie die Haasenburg besuchen soll.

Also rational ist das Wegsperren nicht?

Nein. Wenn Jugendliche kriminell werden, ist dies Aufgabe der Justiz. Dann müssen sie eben nach Hahnöfersand. Aber dies ist keine Aufgabe der Jugendhilfe. Nur ist das in der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln. Ich war schon nicht mehr im Amt, als in Hamburg wieder weggesperrt wurde – und ich habe das und die nachfolgenden Entwicklungen auch nie akzeptieren können.

Wussten Sie, dass Hamburg so viele Kinder in die Haasenburg schickt?

Nein. Aber alle dann praktizierten Konzepte haben sich nicht nur als zu teuer, sondern auch als im Wesentlichen nutzlos erwiesen. Da lag es wohl nahe, dieses schmuddelige Thema nach Brandenburg zu exportieren, als sich dort eine mit staatlichen Geldern finanzierte, privatwirtschaftliche und gewinnorientierte Einrichtung etablierte, die sich mit fast mafiotischer Absicherung jeder öffentlichen Kritik entzog.

Ein Rat an Ihren Nachfolger?

Ich äußere mich nur als Bürger. Ich lebe in Hamburg. Hier sind ganz selbstverständlich Kommerz und kaufmännisches Denken zu Hause. Mit der „Freiheit“ ist das oftmals schon so eine Sache. Aber ich bin stolz darauf, dass meine Stadt den Titel „Freie und Hansestadt“ trägt und möchte mich nicht schämen müssen, weil der Begriff „Freiheit“ im Namen in der Wirklichkeit nichts gilt.

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3 Kommentare

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  • A
    Arne

    Im Kommentar vom Gast "Jonny" werden wieder ohne die geringste Fachkenntnis Vorurteile wiedergegeben, denen auch die Gewerkschafzt der Polizei widerspricht.

     

    Die Rückfallquote bei Jugendlichen, die in Einzelmaßnahmen waren, ist geringer wie bei Jugendlichen, die in Haftstrafen waren. (Und bei weitem preiswerter.)

     

    Manche Leute sollten auch gebeten werden, zu erläutern, woher sie ihre Erfahrungen haben. Richtig ist aber, dass es tatsächlich einen Personenkreis gibt, bei dem Haftstrafen sinnvoll sein können. Von seinem eigenen Sozialverhalten auf eine allgemein gültige Regel zu schließen, ist aber unwissenschaftlich.

  • M
    Markus

    Leider ist das im Beitrag nicht so genau rausgekommen, aber als die Pädagogen in Hamburg tatsächlich ihrer Aufsichtspflicht nachkamen, da hat es mit den problematischen Jugendlichen auch geklappt. Das Konzept wäre erfolgreicher, wäre da nicht diese Sache passiert.

     

     

     

    Und Wegsperren ist meiner Meinung nach der falsche Weg, weil gerade solche Bestrafungen bei solchen Jugendlichen eine Art Bestätigung auslösen: Die fühlen sich doch mit ihren verrückten Aktionen dann legitimiert.

     

     

     

    Klar, diese Problemgruppe fällt oft zurück und viele landen dann auch am Ende im (Jugend)Knast, aber es gibt eben auch Ausnahmen.

     

     

     

    Das Problem ist doch, dass diese Debatte eben nicht rational und fachkundlich geführt werden kann. Wilde gewaltbereite Jugendliche? Da ruft die Öffentlichkeit nach Strafe und Härte, die will Hamburg, will auch der rechte Flügel der SPD eben gerne bieten.

     

     

     

    Die Details interessieren niemanden, außer eben, wenn diese Nummer selber aus dem Ruder läuft und danach sieht es aus.

     

     

     

    @Johnny

     

    Ehlers war der Interviewpartner, nicht die taz, und er hat nicht gesagt, dass die Jugendlichen in den Knast sollen. Er hat für ein pädagogisches Konzept plädiert. Und er hat auch darauf hingewiesen, dass die hamburger Politiker ihre Problemjugendlichen eben gerne exportieren, sprich die sind nicht da - darum geht es doch im Kern.

     

     

     

    Außerdem ist es tatsächlich so, dass aus dieser Problemgruppe Jugendliche wieder rausfallen, es geht übrigens nicht nur um männliche Problemjugendliche, sondern auch um Mädchen und junge Frauen. Da sind die Probleme meist nicht Gewalt, sondern psychischer Art oder Drogenmissbrauch.

  • J
    Johnny

    Na, das ist ja die Alternative für linksgesonnene Taz-Ideologen: statt geschlossenen Heimen eben gleich in den Knast zu den Erwachsenen.

     

     

     

    Nicht, dass ich da widerspreche: wer mit 17 raubmordet, der wird mit 21 nicht plötzlich erwachsen und sagt "oha, das war falsch".

     

    Jugendstrafrecht macht nur für bestimmte Dinge Sinn und auch nur bis zu einem bestimmten Alter. 21 ist bei weitem zu hoch, wer wählen darf muss auch wirklich strafmündig sein.

     

     

     

    Ja, wenn ein 15jähriger ne Wand beschmiert dann sollte man ihm einen Warnschuß zugestehen. Aber wenn ein 15jähriger jemanden mit gezücktem Messer überfällt, womöglich noch verletzt oder tötet, ist jede Hilfe zu spät - da hilft kein Warnschuß.

     

     

     

    Klar: da kann man ein paar hunderttausend Euro investieren um ihm ein paar Monate Karibiksegeln zu bezahlen und ihn anschließend in einer wohlmeinend betreuten Wohnung unterzubringen, wo ihn ein Sozialpädagoge lobt wenn er sich allein den Hintern abgewischt und es anschließend noch geschafft hat, den Spülungsknopf zu drücken. Das ändert aber nichts, wenn er gerade mal nicht in Begleitung der Sozialpädagogen ist und Lust auf ein paar hundert Euro verspürt, geht's wieder von vorne los. Und natürlich werden dann bestimmte Gruppen (GAL / Linke / linker Flügel der SPD) wieder weinen, dass er das ja nur täte weil der böse Kapitalismus ihn dazu zwänge.