Interview Organspende: „Ein furchtbarer Moment“
Sybille Neubert hat ihrer Tochter Lara eine Niere gespendet. Eine schwere Entscheidung, die die beiden aber noch enger zusammengebracht hat.
taz: Frau Neubert, vor zwei Monaten haben Sie Ihrer Tochter eine Niere gespendet. Fiel Ihnen die Entscheidung schwer?
Sybille Neubert: Nein, gar nicht. Ich bin sehr widerstandsfähig, falle immer wieder auf die Füße. Viel schwerer war es, mit ansehen zu müssen, wie sich Laras Gesundheitszustand verschlechtert. Vorbehalte gegen die Transplantation hatte eher meine Tochter selbst.
Wieso das?
Lara Neubert: Beim Gedanken, dass sich meine Mutter für mich auf den OP-Tisch legt, hatte ich ein sehr mulmiges Gefühl. Eine Dialyse-Therapie als Alternative erschien mir nicht so schlimm.
Sybille: Lara war sehr furchtlos und hat sich viel weniger Sorgen gemacht als ich.
Warum haben Sie sich trotzdem für die Transplantation entschieden?
46, lebt und arbeitet als Physiotherapeutin mit eigener Praxis in Preetz (Schleswig-Holstein). Die zweifache Mutter zögerte nicht, als die Ärzte im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ihr eine Nierenspende für die älteste Tochter Lara vorschlugen.
Lara: Ich gehe noch zur Schule, bald lerne ich fürs Abitur. Eine Dialyse nimmt aber viel Zeit in Anspruch, dreimal die Woche wäre ich fünf Stunden lang ans Gerät angeschlossen gewesen. Das Argument hat mich dann doch überzeugt.
18, besucht die 13. Klasse des städtischen Gymnasiums in Preetz und macht 2014 Abitur. Seit ihrer Geburt litt sie unter einer polyzystischen Nierenerkrankung, die langfristig zum Versagen des Organs führt. Seit zwei Monaten lebt sie mit der Niere ihrer Mutter.
Warum brauchte Lara ein neues Organ?
Sybille: Lara hat eine Zystenniere, das wussten wir seit ihrer Geburt. Dabei ist das Organ mit tausenden kleinen Bläschen belegt, das gesunde Gewebe wird verdrängt und die Niere verliert ihre Filterfunktion. Anfangs hieß es noch, Lara würde das erste Jahr nicht überleben.
Lara: Gespürt habe ich lange Zeit gar nichts – doch nach einer Harnwegsinfektion vor zwei Jahren wurden meine Werte immer schlechter, ich war nur noch müde und schlapp.
Wie würden Sie Ihr Mutter-Tochter-Verhältnis beschreiben?
Sybille: Wir standen uns schon immer sehr nah. Ich bin alleinerziehend, Lara ist meine älteste Tochter und wegen ihrer Krankheit war ich natürlich oft in Sorge um sie. Wir reden über alles, wie Freundinnen. Darum war es uns auch diesmal so wichtig, alles gemeinsam zu entscheiden und auch unsere Ängste und Sorgen offen miteinander zu teilen. Von Anfang an war klar: Das stehen wir nur gemeinsam durch.
Und jetzt? Hat sich Ihr Verhältnis verändert?
Sybille: Wir sind schon sehr zusammengewachsen. Und es fällt mir deutlich schwerer als anderen Eltern, mein Kind loszulassen. Auch nach einer Nierentransplantation ist viel zu bedenken – ich bin noch sehr unsicher, wie viel ich Lara abnehmen sollte, der beschützende Mutterinstinkt ist sehr stark. Doch meine Tochter ist jetzt 18 und wird sich bald von zu Hause lösen. Sie muss für sich selbst lernen, mit der Krankheit umzugehen.
Kamen nur Sie als Spenderin in Frage?
Sybille: Für eine postmortale Spende hätte Lara bereits Dialysepatientin sein müssen. Lebendspenden sind nur zwischen Verwandten ersten oder zweiten Grades oder sehr nahestehenden Personen erlaubt. Laras Großeltern waren für eine Transplantation zu alt, die Schwester zu jung – außerdem waren unsere Blutgruppen kompatibel, also habe ich gespendet.
Eine Organspende ist ein großer Schritt – wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Sybille: Ich wurde im Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) in Hamburg psychologisch betreut – denn oft kommt es vor, dass Organspender später in ein psychisches Loch fallen. Durch einen Selbsthilfeverband habe ich eine Frau kennengelernt, die ihrer Tochter auch eine Niere gespendet hat. So konnte ich mich informieren, was nach der OP auf uns zukommt, worauf wir achten müssen.
Lara: Ich habe an einem Austauschprogramm für chronisch nierenkranke Kinder und Jugendliche teilgenommen. Da haben mir Transplantierte in meinem Alter von ihren Operationen erzählt. Das hat mir allerdings zunächst eher Angst gemacht als mich zu beruhigen – man hört schon so einige Schauergeschichten.
Wie haben Sie den Tag der Operation empfunden?
Sybille: Als ich mich von meiner Tochter vor der Transplantation ein letztes Mal verabschieden musste, war das ein furchtbarer Moment. Ich habe sehr geweint – weniger aus Angst um mich, sondern um meine Tochter und wegen der Unwissenheit, wie das Leben nach der OP für uns verlaufen würde.
Lara: Am Abend vor der Transplantation war ich sehr ruhig. Ich lag getrennt von meiner Mutter in der Kinderklinik, dort kenne ich die Ärzte und habe mich aufgehoben gefühlt. Die Wartezeit während der Organentnahme war jedoch schlimm, ich hatte Angst um meine Mutter und wollte die OP nur noch hinter mich bringen.
Wie haben Sie sich unmittelbar danach gefühlt?
Sybille: Glücklich, denn kurz nach dem Aufwachen habe ich erfahren, dass meine Niere für die Transplantation geeignet ist. Das kann man erst während der Operation mit Bestimmtheit sagen. Später wollte ich dann nur noch meine Tochter sehen, meine eigene Verfassung war erst einmal zweitrangig. Besonders schlecht ging es mir jedoch nicht, nach einer Woche konnte ich die Klinik wieder verlassen.
Lara: Überall verkabelt zu sein, war ein seltsames Gefühl. Direkt nach der OP war ich sehr schwach, von den hohen Dosen an Schmerzmitteln war mir übel und ich konnte während der ersten Tage nichts essen. Ich lag drei Wochen in der Klinik, konnte anfangs kaum ohne Schmerzen laufen. Aber ich habe mich gut erholt. Heute fühle ich mich schon viel besser und nehme wieder am Schulunterricht teil.
Wie haben Sie Ihre Gefühle in dieser Zeit verarbeitet?
Sybille: Wir haben Tagebuch geführt, jede für sich. Jetzt lesen wir einander manchmal aus den Büchern vor, um unsere persönliche Eindrücke zu teilen.
Was haben Sie notiert?
Lara: „Alles schmeckt scharf“ war mein erster Eintrag nach der OP – weil ich in den ersten Tagen nichts essen konnte, hatte sich mein Geschmack verändert. In der ersten Woche konnte ich nur traurige Smileys zeichnen – als Symbol für meinen Zustand, weil ich mich so elend und schwach gefühlt habe.
Sybille: Am Tag der OP habe ich alles minutiös festgehalten: „10 Uhr 30: Abholung zur OP“ steht da, und später dann „16 Uhr 40: Lara wacht auf – kein schönes Bild“. Sie war überall verkabelt.
Worauf müssen Sie jetzt nach der Organspende achten?
Lara: Ich werde mein Leben lang Medikamente nehmen müssen, die eine Abstoßung der Niere verhindern sollen. Jeden Tag daran zu denken, fällt mir sehr schwer – besonders weil sich die Dosierung ständig ändert und die Medikamente immer zur exakt gleichen Uhrzeit eingenommen werden müssen. In den ersten Monaten nach der Transplantation ist mein Immunsystem auch noch sehr geschwächt. In der Schule desinfiziere ich täglich meinen Tisch, wenn jemand in meiner Nähe erkältet ist, trage ich Mundschutz. Und jetzt kehrt bald der Alltag zurück, Schule, Hausaufgaben – ich fühle mich oft überfordert, ohne meine Mutter würde ich das alles gar nicht schaffen.
Lara, Sie machen im nächsten Jahr Ihr Abitur – wie geht es dann weiter?
Lara: Mein großer Traum ist, erst einmal ein halbes Jahr durch Italien zu reisen und „Work and Travel“ zu machen. Und dann will ich studieren, am liebsten etwas zum Thema Ernährung und Gesundheit. Durch meine Krankheit habe ich Interesse für diese Themen entwickelt. Und ich will wegziehen, in eine größere Stadt, vielleicht gehe ich nach Süddeutschland. Ich mag die Berge.
Dann haben Sie also keine Angst vor der Unabhängigkeit?
Lara: Ich muss natürlich aufpassen – dass ich regelmäßig meine Werte überprüfen lasse und meine Medikamente nehme, dass immer ein Nierenzentrum in der Nähe meines Wohnortes ist. Aber Angst vor der Zukunft habe ich nicht, im Gegenteil.
Sybille: Wir leben nach dem Motto „Alles ist möglich, nur müssen wir mehr bedenken als andere Menschen“. Meine Tochter soll ihr Leben weiter in vollen Zügen genießen – darum habe ihr meine Niere gespendet.
Ihre Erfahrung mit der Transplantation ist bisher sehr positiv verlaufen. Können Sie Organspende-Gegner verstehen?
Sybille: Da sollte jeder frei entscheiden – wenn jemand keine Organe spenden möchte, ist das völlig in Ordnung. Doch Aufklärung ist wichtig. Viele ältere Menschen wissen oft nicht, dass man ihre Organe noch post mortem verwenden kann.
Lara: In meinem Alter wird das Thema oft verdrängt – viele junge Leute machen sich keine Gedanken darüber, das Thema erscheint so weit weg, wenn man nicht selbst betroffen ist.
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