piwik no script img

Benefiz für entführten Dirigenten„Wir halten seinen Namen präsent“

Zwei Jahre nach der Entführung des Kapellmeisters Rodolfo Cázares in Mexiko hat der Bremerhavener Cellist Mircea Ionescu die Künstler der Stadt zusammengetrommelt: Mit einer großen Show wollen sie ein Zeichen der Solidarität setzen.

Bild: Archiv
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Herr Ionescu, wieso machen Sie jetzt ein Benefiz-Konzert für Rodolfo Cázares …?

Mircea Ionescu: Das ist beides so nicht ganz richtig. Es ist zum Einen nicht nur ein Konzert. Es treten ja auch Gruppen auf wie das Theaterensemble Instant-Impro, und die Kabarettisten „Die Müllfischer“, die ein Bremerhaven-Lied singen werden. Moderieren wird die Veranstaltung Entertainer Hans Neblung: Der hat am Abend vorher noch in der Schweiz einen Auftritt und nimmt am Morgen extra den Flieger. Zweitens ist es keine Veranstaltung nur für Rodolfo.

Rodolfo Cázares

37, hat Klavier sowie Chor- und Ensembleleitung an der Universidad Autónoma de Nuevo León (Mexiko) studiert und am Konservatorium Wien Dirigieren. Er absolvierte zahlreiche Auftritte als Klaviersolist. Als Dirigent erhielt er 1997 den Eduardo Mata-Preis, 2010 das Bayreuth-Stipendium des Bremer Richard Wagner-Vereins. Die mit der Spielzeit 2008/ 2009 angetretene Stelle als Kapellmeister und Solorepetitor am Stadttheater Bremerhaven war sein erstes festes Engagement. Am 9. Juli 2011 wurde er im Urlaub aus seinem Elternhaus im Nordosten Mexikos gekidnappt. Seine Frau Ludivine Barbier-Cázares, die 14 Tage nach der Entführung zusammen mit 13 Angehörigen von den Gangstern freigelassen wurde, ist ohne Lebenszeichen von ihm.

Sondern?

Wir machen das für seine ganze Familie und für seine Frau, Ludivine Barbier-Cázares. Er ist ja damals nicht alleine entführt worden, vor zwei Jahren in Mexiko. Auch Rodolfos Brüder sind bis heute verschwunden.

Aber was soll eine Bühnenshow dagegen ausrichten?

Wir sind doch nicht naiv! Da in Mexiko bewirkt das natürlich überhaupt nichts. Das kann aber auch gar nicht unser Anspruch sein. Wir wollen mit der Veranstaltung Rodolfos Namen hier in der Öffentlichkeit präsent halten – und möglichst viel Geld für seine Familie sammeln. Das zu zählen und aufs Spendenkonto zu überweisen, das ganze Management hat zum Glück die Stadthalle übernommen: Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich dafür bin.

Im Interview: Mircea Ionescu

Mircea Ionescu

59, hat in Bukarest Musik und in Hamburg, Köln und Münster Tanz- und Musiktherapie studiert. Seit 1980 ist er Cellist des Städtischen Orchesters Bremerhaven und des Visurgis-Quartetts.

Warum ist Geld in diesem Fall wichtig?

Die Konten der Familie und von Ludivine sind leer geräumt. Durch Lösegeldzahlungen und auf der Suche haben die im Grund alles verloren, was sie hatten: Ludivine hatte ja auch ständig große Wege zu machen, nach und in Mexiko, nach Bremerhaven, nach Frankreich …

und am Sonntag wieder nach Bremerhaven?

Wir wissen nicht, ob sie kommt. Sie freut sich sehr, aber sie hat eben auch gerade eine neue Stelle. Die will sie natürlich nicht gleich wieder aufs Spiel setzen. Wir halten auf jeden Fall einen Stuhl für sie frei. Mit dem Geld jedenfalls wollen wir ihr und Rodolfos Familie das Leben etwas erleichtern. Und außerdem setzen wir ein Zeichen der Solidarität: Wir zeigen, dass man eben nicht alleine ist, wenn einem so etwas zustößt …

aber trotzdem hilflos?

Das trifft doch auf sehr vieles zu, von dem, was wir tun.

Aber hier doch besonders! Als taz-Journalist Christian Jakob versucht hat, in Mexiko zu dem Fall zu recherchieren, stieß er dort auf eine Mauer aus Angst und Schweigen …

Ja, wie gesagt: In dieser Richtung irgend etwas zu unternehmen, übersteigt unsere Möglichkeiten. Da können wir nicht aktiv werden, da können wir nicht mal im Ansatz verstehen, was überhaupt los ist. Wir schauen stattdessen, was können wir unternehmen, hier wo wir sind. Was entspricht unseren Kräften – und das verwirklichen wir.

Und warum erst jetzt – also zwei Jahre nach der Entführung?

Das lässt sich allgemein wohl so nicht beantworten. Ich kann da nur für mich sprechen: Ganz am Anfang, im August 2011, als ich gerade erfahren hatte, was mit Rodolfo los war, war ich wie gelähmt. Da war ich nicht mal im Stande, zwei oder drei zusammenhängende Wörter dazu zu sagen. Es ist ja immer noch so: Manchmal kommen mir einfach die Tränen hoch, wenn ich an Rodolfo denke.

So hätten Sie aber keine Veranstaltung organisieren können.

Nein, wirklich nicht. Aber irgendwann habe ich gemerkt, ich muss aktiv werden – es hätte mich sonst kaputt gemacht.

Und dann?

Dann habe ich auch erst mal wieder mit allen möglichen Leuten darüber gesprochen – bis mir endlich einer gesagt hat: Mensch Mircea, nicht reden! Tu was …! Das war der Auslöser. Das war etwa vor einem halben Jahr. Und dann ging es fast wie von allein – vielleicht gerade weil so viel zu tun war: Plakate entwerfen, Terminabsprachen, Programm ausdenken – und so unendlich viele sofort mitgemacht haben.

Sie sind eng befreundet mit Rodolfo Cázares.

Wir haben gemeinsam Musik gemacht, im Duo, und auch Konzerte gegeben: zum Beispiel argentinische Tanzmusik in Bearbeitung für Klavier und Cello. Dabei ist auch das Foto von uns beiden entstanden …

sieht aus, als wäre es direkt an der Küste aufgenommen …

Ja, das ist hier in Bremerhaven. Ludivine hat es gemacht: Wir stehen nebeneinander auf dem Deich. Fürs Plakat haben wir jetzt Rodolfo da rausgeschnitten: Er schaut da so ein bisschen versonnen nach oben, vielleicht in den Himmel oder wer weiß wohin. Das hat uns gefallen. Ich werde am Sonntag auch ein Stück spielen, das ich mit ihm damals zusammen aufgeführt habe.

Welches?

Es heißt Milontan – eine Komposition von José Bragato, der in Astor Piazzolas Ensemble Cellist war: Es mischt Tango und Milonga.

Das klingt nicht nach einem melancholischen Programm.

Nein, es ist ein ziemlich buntes Programm – so bunt wie das wahre Leben, mit vielen Höhepunkten. Habe ich schon gesagt, dass die Müllfischer auftreten und Hans Neblung moderiert …?

Ich glaube schon.

Jörg Seidel, unser größter Jazzman hier tritt auch auf: Der spielt sonst mit Bill Ramsey und Ron Williams …

Das sind ja auch über die Stadt und Region hinaus bekannte Künstler, die oft auf Tournee sind und auch sonst ziemlich beschäftigt. War das schwierig, die zusammenzubekommen?

Nein, überhaupt nicht. Das war das Einfachste. Es haben eigentlich alle spontan zugesagt, und auch verbindlich – abgesehen von ein paar Leuten, die damals schon feste Tournee-Verpflichtungen hatten. Einer von denen meinte sogar: Mensch schade, da bin ich in Übersee, mach’s doch eine Woche später, dann wäre ich wieder im Lande.

Vor einem halben Jahr hatten wir miteinander gesprochen – da hatten Sie mir gesagt: Und ins große Finale platzt dann Rodolfo rein und wundert sich …?

Ja, das ist doch ein schöner Traum. Und ich denke, bei jedem Traum, wenn man will, dass er in Erfüllung geht, dann muss man etwas dafür tun. Auch wenn wir nicht wissen, was hier zu tun ist.

Bremerhaven für Rodolfo – Benefizveranstaltung für Rodolfo Cázares: So 25. 8., 19.30 Uhr, Stadthalle Bremerhaven. Tickets ab 25 Euro. Kartentelefon: ☎ 0471 / 59 17 59

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!