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Debatte Syrische FlüchtlingeLauter kleine Clausewitze

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Was im ständigen Gerede über Militäreinsätze untergeht, ist die Diskussion der deutschen Flüchtlingspolitik. Auch im Hinblick auf Syrien.

„Flüchtlinge haben nichts mehr“, sagt Tandred Stöbe von Ärzte ohne Grenzen am Grenzübergang Peschkabour im Nordirak Bild: dpa

A ll diese Clausewitze auf einmal, wo kommen sie bloß her? Behände wenden sie ganz unabhängig von Alter, Geschlecht und Informationsstand Raketenwissen und Einsatzstrategien hin und her, und immer kommt heraus: Das bringt doch nichts in Syrien. Militärisch ist da einfach nichts zu holen. Einzugreifen wäre Wahnsinn. Das tut ihnen ja auch leid.

Diese auf Raketen, Truppen und aufs große geopolitische Ganze reduzierte Debatte läuft nun schon seit mehr als zwei Jahren. Gerade erst kochte sie angesichts der grausamen Bilder von den noch viel grausamer vergifteten Menschen erneut hoch.

Und diesmal schien den von diesen Opferbildern gebeutelten Diskutanten sogar ein wenig psychologische Entlastung vergönnt: Frankreich und die nun wieder eingeknickten Briten waren vorgeprescht, wollten Raketen fliegen lassen; keine Frage, Assad gehöre bestraft. Endlich schien ein Befreiungsschlag in Sicht. Nicht für die Leute im Land, aber die Skepsis der SyrerInnen kümmert im Ausland ohnehin niemanden. Entscheidend ist, dass die USA ihren Ruf als Ordnungsmacht Nummer eins nicht länger gefährden dürfen.

Inzwischen aber ist der als sicher geltende Militäreinsatz gar nicht mehr so sicher. Und in Deutschland zieht man sich in den Redaktionen, Büros oder Kneipen wieder auf die bekannte Ohnmachtsposition zurück, einfach nichts zu machen. Doch das genau ist grundfalsch. Es ist etwas zu machen, und es gibt noch wahnsinnig viel zu tun.

Syrien ist so anstrengend

Womit wir bei den Flüchtlingen wären. Diese Diskussion wird nicht so gerne geführt. Flüchtlinge – wie unsexy. Laut UN haben zwei Millionen SyrerInnen das Land verlassen, davon sind rund 740.000 Kinder unter elf Jahren. Etwa vier Millionen sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Etwa 7.000 Kinder seien während des seit zweieinhalb Jahren anhaltenden Aufstands gegen die Herrschaft von Präsident Assad getötet worden. In der Türkei und Jordanien wurden Flüchtlingslager eingerichtet, die mittlerweile völlig überfüllt sind. Im Libanon ist man dabei, die Grenzen dicht zu machen. Etwa 800.000 SyrerInnen sollen bereits in dem kleinen Land mit vier Millionen EinwohnerInnen sein.

Neuerdings fliehen täglich mehrere Tausend SyrerInnen in den Nordirak, 50.000 sind in den letzten zwei Wochen dort angekommen. Der Deutschlandchef von Ärzte ohne Grenzen, Tankred Stöbe, ist vor Ort und berichtet, die Leute, die in Dohuk ankommen, hätten häufig fünf oder sechs Umzüge innerhalb Syriens hinter sich, immer auf der Suche nach einem sicheren Ort. Sie wollten ihr Land nicht verlassen. Doch schließlich hatten sie keine Alternative mehr.

Und Deutschland? Deutschland hat im März bekundet, dass es 5.000 SyrerInnen aufnehmen wolle. Ja, genau: Von 20 Millionen SyrerInnen sind rund sechs Millionen auf der Flucht, zwei Millionen haben es bereits ins Ausland geschafft, und Deutschland gewährt 5.000 von ihnen Zuflucht, für zwei Jahre. Die Konzentration auf das Militärische hat einen hohen Preis – für die anderen. Für die Deutschen ist sie billig zu haben.

Es ist ja klar, dass niemals deutsche Soldaten in Syrien kämpfen werden. Entsprechend die Diskussion von Kriegsszenarien maximal ungefährlich ist. Zudem hat es den Nebeneffekt, dass die öffentliche Meinung ganz vergisst, humanitäre Handlungsoptionen abzuwägen. Das Spendenaufkommen in Deutschland bleibt eklatant niedrig. Auch das zeigt an, wie gering die Empathie mit den bombardierten SyrerInnen ist. Die Mehrheit der Deutschen beschäftigt sich lieber mit Kriegsszenarien. Entsprechend ist keine PolitikerIn gezwungen, humanitäre Maßnahmen zu erwägen, die mehr als kosmetisch wären.

Wo bleiben die Flüchtlinge?

Und wie geht es den 5.000 Flüchtlingen hier? Das ist nicht zu sagen, denn sie sind noch gar nicht da. Das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen etwa bestätigte, dass von den auf sie entfallenden gut 1.000 Flüchtlingen bislang 15 (!) angekommen seien. Woran das liege? Da gelte es das Auswärtige Amt zu fragen. Dieses stelle die Visa aus, und sobald ein Syrer eines habe, dürfe er oder sie auch kommen.

Vorausgesetzt, in Deutschland lebende Verwandte haben sich verpflichtet, die „Kosten für den Lebensunterhalt“ zu übernehmen, „einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie die Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit“. Das finanzielle Risiko für den Staat ist denkbar gering. Dafür hat er gesorgt. Erinnert sich noch wer an die „Mehrkosten“ für den Euro Hawk in dreistelliger Millionenhöhe?

Innenminister Friedrich verlautbarte nun jüngst, dass er den Familienzuzug erweitern werde. Im Klartext: Deutschland will weiterhin nur handverlesene SyrerInnen aufnehmen. Die syrische Community hier umfasst etwa 30.000 Mitglieder.

Warum aber ist selbst von den verwandtschaftlich verbundenen Flüchtlingen noch kaum einer in Deutschland angekommen? Das Auswärtige Amt erklärt, man habe ein wenig gebraucht, um sich auf die schwierige Situation einzustellen. Die meisten Flüchtlinge hätten alles verloren, auch ihre Papiere. Zumindest verfügten viele nicht über alle normalerweise notwendigen Dokumente. Inzwischen aber stelle die deutsche Botschaft in Beirut – von dort kommen die meisten, die nach Deutschland dürfen – rund 40 Visa pro Tag aus. Man gehe davon aus, dass ab Mitte September die erste Chartermaschine starten könne.

40 pro Tag – grob gerechnet bedeutet das noch rund drei Monate, bis alle der 5.000 Visa ausgestellt sind. Erst dann könne, so heißt es, die Friedrich’sche Erweiterung angegangen werden. In Deutschland hat man Zeit.

Von wegen Pathos

Damit keine Missverständnisse entstehen: Dass ein Umdenken im Auswärtigen Amt und auch bei den zuständigen Behörden in den Ländern beginnt, ist gut. Sich der Flüchtlinge aus Syrien anzunehmen, bedeutet Leben zu retten. Das mag sich jetzt pathetisch anhören, doch mit Pathos hat diese Feststellung nichts zu tun, sondern nur mit der Wirklichkeit. Die zur Abwechslung nicht aus der Kampfflugzeugperspektive betrachtet wird.

Trotzdem bleibt die Zahl von 5.000 akzeptierten SyrerInnen lächerlich klein. Und was das aktuelle humanitäre Einlenken auch vor Augen führt: Natürlich hätte die Botschaft in Beirut schon längst die Visabestimmungen lockern können. Doch die Regierenden haben abgewartet – bis die Zahl von 100.000 Toten offiziell wurde. So ist das mit dem politischen Willen.

Der Krieg in Syrien lässt sich nicht mit dem einen großen Militärschlag beenden. Diese an Raketen gekoppelte Entlastungsfantasie wird sich nicht bewahrheiten. Es bleibt nur der zähe Verhandlungsweg. Unterdessen auch die reichen Länder, auch Deutschland, ihre Grenzen öffnen und ungleich mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen.

Aber werden wir die je wieder los? Wer den Leuten zuhört, die mit Flüchtlingen reden und arbeiten, wie etwa Tankred Stöbe, kann sich von diesen (ohnehin schnöden) Überlegungen rasch trennen: Sobald es irgendwie geht, wollen die allermeisten wieder zurück. Wer sonst sollte ihr Land wiederaufbauen?

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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7 Kommentare

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  • M
    Mike

    "Die Konzentration auf das Militärische hat einen hohen Preis – für die anderen. Für die Deutschen ist sie billig zu haben." Und jetzt sind gerade mal 15 da, wahrscheinlich betet der Innenminister, dass es nicht mehr werden, offiziell helfen wir - natürlich ... Zynismus. Nix anderes ist das.

  • L
    Lillifee

    Vielleicht richtet die taz ein Spendenkonto ein, dann können sie selbst für Wirtschaftsflüchtlinge aufkommen.

     

    Mein Opa hat hier 50 Jahre gearbeitet und kriegt eine lächerliche Rente. DAS ist viel schlimmer!!!

  • Die deutsche Gesellschaft hat die schlimmste Erfahrung mit Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Libanon gemacht und sich mit asozialen Clans, die sich grundsätzlich gegen ein gesellschaftliche Miteinander mit der hiesigen Bevölkerung stellen, ein gewaltbehaftetes Dauerproblem eingehandelt, das sich ganz sicher nicht von selbst auswächst. Seit dieser Zeit sind der Bevölkerung die Risiken einer ungesteuerten Einwanderung über die Regelungen der Asylgesetzgebung vor Augen geführt. Die bedauerliche Logik, die ein derartiges Desaster nach sich zieht, ist das Verhalten der über das Asylrecht Eingewanderten als Bürgerkriegsmentalität zu werten. Dann aber würden die Flüchtlinge genau den Bürgerkrieg und die Anomie ihrer Gesellschaft, der sie vermeintlich entfliehen wollten, ins Asylland selber mit sich bringen. Man holt sich also ein Stück Syrien ins Land und zwar genau deswegen, weil es da so schlecht zugeht. Danach wäre das Ergebnis einer gut gemeinten Humanität die Selbstbeschädigung. Diese Perspektive ist absolut fatal.

    • S
      Sintbad
      @Demokratie-Troll:

      Diese Aspekte verlangen sie zu berücksichtigen? Die Asyl-Debatte gehört zum Portfolio linker Politik und wird quasi nicht sachlich sondern emotional geführt, ein ideologisches Minenfeld in dem es keine Rolle spielt welche Gefahren für die Stabilität einer Aufnahmegesellschaft lauern. Lesen Sie doch mal die asylpolitischen Forderung im grünen Wahlprogramm; zwar stehen die Grünen angeblich für fiskalpolitische Verantwortung, wollen aber die Leistungen für Asylsuchende ausbauen und gleichzeitig die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen steigern. Wie es finanziert werden soll steht in den Sternen. Wäre aber auch zuviel verlangt mal bei der Asyldiskussion zu erwähnen wieviel Türken z.B. unter der Kategorie "Libanesen" gefallen sind, als Deutschland Asylsuchende vor dem libanesischen Bürgerkrieg schützen wollte.

  • 7G
    738 (Profil gelöscht)

    Keiner unterstellt dem Autor umfassende Recherche. Aber was hat Clausewitz verbrochen um hier bemüht zu werden? War er die spontane Google-Suche oder einfach die Schlagwörtersuche bei Yahoo?

    Carl von Clausewitz war weder ein preußischer Kriegstreiber noch ein Hobbystratege. Vielmehr ein Pragmatiker und ein Verfechter des Verteidigungskrieges. Was hat das mit Syrien zu tun?

  • A
    Anmerkungen

    Sowohl die EU als auch Deutschland verfolgen nicht primär das Ziel, Flüchtlinge aus Syrien hier aufzunehmen. Vielmehr geht es primär darum, die stark belasteten Nachbarstaaten finanziell und durch technische Hilfe zu unterstützen. Sowohl die EU als auch Deutschland haben dafür bereits die zitierten dreistelligen Millionensummen aufgewendet. Regionale Schutzprogramme in der Herkunftsregion (oder sogar im Herkunftsstaat, was für Syrien allerdings nicht in Betracht kommt), gehören zum Standardrepertoire des internationalen Flüchtlingsschutzes.

    Deutschland nimmt aktuell 5.000 Syrer auf, das ist "vorübergender Schutz". Die Kosten dafür trägt der Staat (Bund und Länder), eine Verpflichtungserklärung von eventuell hier lebenden Verwandten wird nicht gefordert. Diese Kosten können im Einzelfall sehr hoch ausfallen, da Menschen prioritär aufgenommen werden, die dringend auf eine medizinische Behandlung angewiesen sind.

    Davon zu unterscheiden ist der Familiennachzug zu in Deutschland lebenden Familienangehörigen. Die dazu beschlossenen Erleichterungen betreffen also andere als die 5.000 Menschen, die hier aufgenommen werden.

    Ein dritter legaler Zuwanderungskanal ist Resettlement (dauerhafte Neuansiedlung) von Flüchtlingen. Da Deutschland in diesem Jahr nur insgesamt 300 Personen dauerhaft aufnimmt, darunter wiederum nur ein Teil Syrer, hat das hier keine große quantitative Bedeutung. Andere EU-Staaten (z.B. Schweden) haben jedoch größere Resettlement-Kontingente, davon profitieren dann auch syrische Staatsangehörige.

    Schließlich sind in Deutschland allein in den ersten sieben Monaten 2013 mehr als 5.000 Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen gestellt worden, die Schutzquote (Flüchtlingsschutz oder Feststellung eines Abschiebungsverbots) liegt bei fast 100 %.

    Deutschland, die EU und andere EU-Staaten tun also viel mehr, als in dem Artikel geschildert.

  • AU
    Andreas Urstadt

    Voellig naiv.

     

    Niemand weiss, wie das ausgeht und wie die Lage danach ist. Gibt es Racheangriffe usw. In Buergerkriege darf niemand zurueck geschickt werden. Eine kuenstliche Linie. Es ist nicht mehr dasselbe Land, wenn sich Machtverhaeltnisse verschieben. Assad steht fuer Berechenbarkeit, alles andere ist Chaos. Diejenigen, die vor zweieinhalb Jahren demonstrierten dachten nicht an moegliche islamistische Tendenzen und niemand von denen will die. Kann von denen jemand zurueck, wenn auf einmal Scharia der Grundsatz ist. Das staendige Zitieren Deutscher vor Ort geht mir auf den Keks. Das staendige fuer Syrer reden. Das dauernde ich hab was Authentisches.

     

    Von Clausewitzen war in den Leserkommentaren hier wenig zu sehen, das waren eher die tazstrategen. Unter den Lesern lag man eher auf dem richtigen Weg. Wer die Kommentare gar nicht liest, kann das nicht wissen.

     

    Deutschland haette laengst Millionen Syrer aufnehmen koennen, wenn die wollen. Die Erfahrungsperspektive kann nicht schaden.

     

    Wie waer s mal mit Assad telefonieren anstatt pikiert zu isolieren. Dahin muss viel telefoniert werden. Wie waers zur Abwechslung mal mit Empathie.