Die osteuropäische Einheitsfront beginnt zu bröckeln

In einigen der neuen EU-Staaten wird 2006 gewählt. Daher wollen ihre Regierungen jetzt den Haushalt verabschieden. Und sind kompromissbereit

Die Slowakei ist zum Einlenken bereit, wenn es Geld für eine AKW-Schließung gibt

BERLIN/BUDAPEST taz ■ In Dorog, einem unspektakulären 13.000-Einwohner-Ort in Nordungarn ist die Stadtverwaltung der Europäischen Union überaus dankbar. Entsorgung von umweltschädlichen Altlasten auf dem Gelände einer ehemaligen Brikettfabrik, Abwasserkanalsanierung in einer Wohnsiedlung am Stadtrand, neue Grünflächen, ein Schwimmbad – all das und noch einiges mehr kann sich Dorog dank der Fördergelder aus den Strukturfonds der EU nun endlich leisten. Im Oktober letzten Jahres hatte die Stadtverwaltung ihren Projektvorschlag eingereicht, Ende November dieses Jahres kam der positive Bescheid: Im Rahmen eines Programms zur „Stadtrehabilitierung“ erhält Dorog aus Brüssel rund vier Millionen Euro, an Eigenmitteln für ihr Projekt muss die Verwaltung des Ortes nur 450.000 Euro selbst aufbringen. Ohne die Brüsseler Förderung wäre das undenkbar gewesen: Das Städtchen hätte über Jahre hinweg nur die dringendsten Sanierungen ausführen könne, ein Schwimmbad wäre ein Traum geblieben.

Auch das nur wenige Kilometer von Dorog entfernte, ungleich berühmtere Esztergom – der alte ungarische Königs- und Bischofssitz –, hatte sich für eine Stadtrehabilitierung beworben. Doch anders als in Dorog hatte die Stadtverwaltung in Esztergom getrödelt. Der Projektvorschlag war zu spät bei der ungarischen Regierung eingegangen, sämtliches Geld bereits vergeben gewesen.

Dorog und Esztergom sind zwei typische Beispiele. In Ungarn – ebenso wie in den meisten anderen der zehn neuen EU-Staaten – ist der Kampf um die Fördermittel aus Brüssel äußerst hart. Ob Stadtverwaltungen, kleine und mittelständische Industriebetriebe oder Landwirte – es gibt viele Bewerber und viel zu wenig Geld. Infrastruktur, Umweltschutz, Betriebsausstattung – in fast allen Bereichen hinken die Neumitglieder hinter EU-Standards hinterher. Der Investitionsbedarf ist riesig.

Kein Wunder also, dass die meisten osteuropäischen Regierungen den Blair-Entwurf für den EU-Haushalt 2007 bis 2013 ablehnen. „Unakzeptabel“ nannte der polnische Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz am Montag die vorgeschlagenen Kürzungen von 14 Milliarden Euro für die Neumitglieder und forderte mehr Solidarität von der Alt-EU.

Der ungarische Regierungschef Ferenc Gyurcsány kommentierte Blairs Vorschlag mit den Worten, dieser konserviere die Unterschiede zwischen Alt- und Neumitgliedern anstatt sie zu beseitigen. Ungarn werde keine Politik unterstützen, bei der die neuen EU-Länder die schlechten alten Kompromisse bezahlen würden, so Gyurcsány. Ähnlich reagierten die Regierungen der baltischen Staaten.

Bereits am 25. November hatten die Regierungschefs der Visegrád-Staaten – Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn – einen Protestbrief an Blair geschrieben, in dem sie ihre „Besorgnis“ über seine Pläne ausgedrückt hatten. Ein zweites Schreiben hatten letzte Woche – kurz vor Blairs Treffen mit den Regierungschefs der Visegrád-Länder in Budapest – auch die baltischen Staaten und Slowenien unterzeichnet.

Der Eindruck einer „osteuropäischen Einheitsfront“, die sämtliche EU-Haushaltsreformen kategorisch ablehnt, täuscht jedoch. Während Polens Minderheitenregierung im Parlament auf die Unterstützung von EU-Gegnern angewiesen ist und schon allein deshalb einen harten Verhandlungston anschlagen muss, geben sich die Regierungen Tschechiens, der Slowakei und Ungarns vorsichtig kompromissbereit. In allen drei Ländern finden nächstes Jahr Wahlen statt. Die eher EU-freundlichen Regierungsparteien treten dabei gegen „Euroskeptiker“ an und wollen am liebsten mit einem gut verkaufbaren Kompromiss in den Wahlkampf ziehen. Ein Scheitern der Verhandlungen, so das Kalkül, käme den EU-Gegnern zugute.

Als Ausgleich für die Kürzungen bietet Blair den Neumitgliedern an, die Prozedur zur Abrufung der Fördermittel zu vereinfachen. Geht der Vorschlag im Konkreten weit genug, könnten sich etwa der tschechische Ministerpräsident Jiří Paroubek ebenso wie Ungarns Regierungschef Gyurcsány ein Ja zum Haushalt vorstellen. Der Hintergedanke dabei: Die Sparmaßnahmen werden kompensiert, indem schneller mehr Geld abgerufen werden kann. Bisher hat die komplizierte Vergabeprozedur dazu geführt, dass bereitstehende Fördermittel so gut wie nie zu 100 Prozent verbraucht wurden. Ein solcher Kompromiss ließe sich auch den Wählern auf einfache Weise vorrechnen.

Ungarn verlangt außerdem, dass nicht genutzte Gelder erst nach drei statt wie bisher nach zwei Jahren nach Brüssel zurücküberwiesen werden müssen. Die Förderungsmöglichkeiten sollen so erweitert werden, dass beispielsweise Wohnungssanierungen gefördert werden können. Die slowakische Regierung wiederum macht ihre Kompromissbereitschaft davon abhängig, inwieweit die EU dem Land bei der Stilllegung des Atomkraftwerkes Bohunice finanziell hilft.

Kommt Blair den Osteuropäern jedoch nicht weit genug entgegen, schließen diese ein Scheitern der Verhandlungen nicht aus. Denn vor allem die Regierungen der Visegrád-Länder haben angesichts der bevorstehenden Wahlen keinen allzu großen Spielraum für Kompromisse. Regierungschef Gyurcsány beschrieb sein Dilemma so: „EU-Haushalt ja, aber nicht um jeden Preis.“ KENO VERSECK