Die Knigge-Frage: Unterhaltung muss sein
Darf man als Beifahrer schlafen? Juristisch kein Problem. Doch ein Auto ist kein Gerichtssaal und der Fahrer muss wach gehalten werden.
F rüher, als ich noch mit meinen Eltern in den Urlaub fuhr, herrschten im Auto strenge Regeln. Schweigen war unerwünscht, Singen hingegen willkommen; und war man nach einigen Stunden dessen müde, so überließ man es den Menschen, die dafür bezahlt wurden. Der Klassiksender. Ich hasste ihn noch Jahre später.
Nachts allerdings, wenn sich meine Mutter auf der Hinterbank ausstreckte und ich endlich vorne sitzen durfte, wenn sich mein Vater nach sieben Stunden Fahrt jede halbe Stunde an der Autobahnraststätte einen Espresso holte, öffnete sich ein kleines Zeitfenster der Zügellosigkeit. Dann nämlich durfte ich endlich die Musik hören, die mein Herz höher schlagen ließ: die besten Hits der 80er, 90er und von heute. Die fettesten Beats im ganzen Land. Oder, wie mein Vater kopfschüttelnd sagte: „Schundradio“.
Egal, das Radio war an, ich war glückselig, und mein Vater rettete Leben. Weil ihn das singende, hüpfende Mädchen auf dem Beifahrersitz amüsierte. Und ihm in den Werbepausen jedes Mal einen Schwank aus ihrem noch relativ kurzen Leben erzählte. Außerdem pumpten ihm die lauten Bässe mehr Adrenalin durchs Blut als ein Brief vom Finanzamt. Kurz: Das verbale Koffein half ihm dabei, wachzubleiben. Ein empfehlenswerter Zustand, wenn man am Steuer sitzt.
Wer sind wir - und wenn ja wozu? Bange Fragen bei den Grünen nach der Bundestagswahl. Wie es dort jetzt weitergeht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 28./29. September 2013 . Außerdem: Überall auf der Welt gehen die Menschen vor Wut auf die Straßen. Nur in Deutschland nicht. Warum? Und: Woodstock-Feeling: Das Womad-Festival im Kaukasus. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Aber wie steht es nun um den Beifahrer? Rechtlich gesehen darf er – ab dem Zeitpunkt, da er sich angeschnallt hat – schlafen so lange er will, zumindest urteilte der österreichische Oberste Gerichtshof in einem Versicherungsstreit zugunsten der Klägerin. Diese war als Beifahrerin in einem von ihrem Vater gelenkten Wagen bei einem Unfall schwer verletzt worden, doch die Versicherung verweigerte die volle Leistung.
Die Tochter habe es schließlich unterlassen, das Fahrverhalten ihres Vaters zu überwachen, folglich treffe sie eine Mitschuld an dem Unfall. Falsch, erwiderte das Gericht: Es gebe keine Vorschrift, die es einem Beifahrer verbiete, während der Fahrt zu schlafen.
Aber ein Auto ist eben kein Gerichtssaal, und auch wenn sie rein rechtlich nichts zu befürchten haben, sind die meisten Beifahrer am Ende vermutlich froh, wenn ihnen ein Unfall erspart bleibt. Sie sitzen im Zweifel schließlich mit in der Scheiße, und vier Augen sehen nun mal mehr als zwei – zum Beispiel ein von rechts nahendes Reh.
Es geht also um Verantwortung. Und um Dankbarkeit. Schon Adolph Freiherr von Knigge mahnte einst: „Von allen Dingen aber vergesse nie, daß die Leute unterhalten sein wollen.“ Wer sich also gemütlich herumkutschieren lässt, kann als Gegenleistung wenigstens dem Chauffeur Gesellschaft leisten, denn „nichts ist langweiliger und verdrießlicher, als mit einem Manne zu reisen und in einem Kasten eingesperrt zu sitzen, der stumm und mürrischer Laune ist“. Oder schnarcht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS