Betrug auch am Zuschauer

Uraufführung: Das Stadttheater Bremerhaven bringt den „Betrug“ von Axel von Ernst auf die Bühne. Und damit Langeweile ohne größeren Erkenntnisgewinn. Denn auch der Regie gelingt es nicht, Interesse für die klischeehaften Figuren des Stücks zu erwecken. Was bleibt, ist familiäre Ödnis und eine Sammlung Platitüden

Dürfen Theater-Erlebnisse quälen? Natürlich dürfen sie! Dürfen sie auch quälend langweilen? Möglicherweise auch das, wenn Langeweile zum Thema gemacht wird und das Publikum sie spüren soll. Axel von Ernst heißt der junge Autor, dessen Stück „Betrug“ jetzt am Stadttheater Bremerhaven uraufgeführt wurde.

Auf der von Sonja M. Welp gestalteten Bühne des Kleinen Hauses ist die Fensterfront einer Plattenbau-Wohnung zu sehen, davor ein schmaler Gitter-Balkon. Hinter den Fenstern erscheinen Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Namen tragen sie nicht, ihre Familienfunktion steht groß auf ihren grauen Kapuzenpullis, dazu tragen sie graue Trainingshosen – und nach wenigen Minuten ist klar, worauf das ganze Elend hinausläuft: Die Plattenbauhochhauskleinfamilie besteht aus vier Gestalten, die nichts von sich wissen. Die nichts mit sich anfangen können, die sich mit immergleichen Worten und Gestengegenseitig nerven, die ihr materielles und intellektuelles Elend in sprachlosen (und leider auch witzlosen) Kürzelsätzen vorstellen.

Da fehlt nur noch einer, der ihnen auf die Sprünge hilft. Dieser eine heißt schlicht „Mann“ (Roberto Widmer), er ist wie ein Landpfarrer gekleidet und verkauft jedem Familienmitglied in Einzelgesprächen die ihm gemäßen Glücksdrogen: Der Vater schließt nach langem Zögern eine Lebensversicherung ab, der Sohn lässt sich eine gängige antikapitalistische Utopie aufdrängen, die er als Student für Demonstrationszwecke verwerten kann, die Mutter entdeckt mit seiner Hilfe den Bauchtanz als Heilmittel gegen ihren öden Alltag, der Tochter verkauft er lieber gar nichts.

Warum? Er erklärt ihr – ohne dass sie irgendein Wort verstünde – sie sei der Prototyp des dummen, manipulierbaren Konsumenten, der sich auf keinen Fall ändern dürfe. Dass am Ende der lebensversicherte Vater vom Balkon fällt, kommt ebenso erwartet wie die Schlusspointe, dass es in diesem Spiel nur einen Gewinner gibt: den Prediger der Glücksversprechen des alles beherrschenden Kapitals.

Mag sein, dass der Autor in bester Absicht eine Parabel schreiben wollte, eine Art „Biedermann und Brandstifter“ für die Gegenwart. Aber die dünne Konstruktion des Plots, die permanenten Kürzelsätze, das hölzerne Gerede des Versicherungsagenten machen aus dem Ganzen eben kein zündendes Gleichnis. Und auch der Regie von Daniel Ris gelingt es nicht, die extrem klischeehaften Figuren zum Leben zu erwecken.

Im Gegenteil: Ris lässt sie überzeichnen, Markus Schneider mit Hängeschultern und Looser-Habitus muss den unsportlichen Studenten markieren, Kathrin Diele den hysterisch überdrehten und offenbar auch kokssüchtigen Teenie, Hella-Birgit Mascus die verhärmte Hausfrau. Guido Fuchs – im Unterschied zu allen anderen angenehm cool – steht mit Bierflasche und Zigarette am Balkon und telefoniert gelegentlich mit der Sexhotline und Roberto Widmer als fremder Mann grimassiert unkontrollierbar. Die Mitspieler dieses Zeigefinger-Theaters sind allesamt Puppen in den Händen eines unbekannten Strippenziehers, die Slumfamilie ebenso wie der zynische Prediger.

Aber was will Axel von Ernst damit zeigen, wenn es mehr sein soll als ein hämischer Gruselblick in die Elendsbezirke der hoffnungslos verblödeten Unterschicht? Sollte der Grundgedanke des Autors ebenso banal sein wie die Platitüden seiner Figuren? Nämlich, dass Geld die Welt regiere und überhaupt alles, was „wir“ tun vorbestimmt sei? Soviel Konstrukt tötet alles Leben auf dem Theater, und führt nach kürzester Zeit zu einer Langeweile, die ohne jeden ästhetischen Reiz oder Erkenntnisgewinn bleibt. Nach 80 Minuten ist der „Betrug“ des 34-jährigen Düsseldorfer Autors vorbei.

Hans Happel

Nächste Aufführungen am Stadttheater Bremerhaven: 15. und 21. 12 um jeweils 19.30 Uhr