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Technic and the CityIn den Adern der Stadt

Eine Gruppe ehemaliger Stadtwerker und anderer Leitungs-Enthusiasten baut im Hastedter Umspannwerk ein Museum auf. Noch lagern viele Schätze im Keller.

1943: Energieversorgung als Instrument der Autarkie-Propaganda. Bild: Netzmuseum

BREMEN taz | Das alte Umspannwerk am Hastedter Wehrdamm ist ein abgelegener Ort, zufällig kommt man hier nicht vorbei. Früher war das anders. In den oberen, lichtdurchfluteten Geschossen waren Wohnungen für die Vorstände der Stadtwerke untergebracht. Hier, unmittelbar am alten Wasserwerk, waren die Chefs noch mitten in der Energieproduktion angesiedelt. Heute herrscht auf dem zugewachsenen Areal Dornröschen-Stimmung. „Die Witwe eines alten Umspannmeisters wohnt noch oben“, sagt Rolf Hannet. Der Rentner war selbst mal SWB-Geschäftsführer, zuständig für den Bereich Netze. Jetzt baut er ein Museum auf.

So wie sich im Findorffer Pumpwerk die Abwasser-Veteranen zusammentaten und ihre prächtigen, aber außer Dienst gestellten Anlagen munter weiter warten, haben sich nun auch die Strom-, Gas- und Frischwasservertreter organisiert. „Adern der Stadt“, heißt Hannets Verein – eine Poesie, die in der naturgemäß eher nüchternen Ausstellung nicht immer zu spüren ist.

Beeindruckend ist in jedem Fall, was die 50 Ehrenamtlichen hier alles zusammengetragen und sachgemäß geordnet haben. Prunkstück ist ein Jahrhunderte altes, eichenes Wasserrohr, in der Faulenstraße geborgen, das einen Eindruck von den Anfängen urbaner Facilities vermittelt.

Kostenlose Einblicke

Das Netzmuseum wurde 2012 auf Initiative ehemaliger SWB-MitarbeiterInnen gegründet und befindet sich seither in stetigem Aufbau. Die SWB trägt die Raum- und Ausstattungskosten, die Ehrenamtlichen stemmen das Übrige. Bislang beschränken sich die Öffnungszeiten auf den Mittwochnachmittag zwischen 15 und 17 Uhr. Vor Kurzem übernahm das Netzmuseum die Bestände des aufgelösten Bremerhavener Stadtwerke-Museumsvereins.

Das Haus am Hastedter Osterdeich 239, das ehemalige Umspannwerk, wird für Schulklassen und andere Gruppen auch an Extra-Terminen geöffnet. Kontakt: www.adern-der-stadt.de. Der Eintritt ist frei.

Ansonsten ist die Netzgeschichte vergleichsweise jung: Sie beginnt mit der Eröffnung des Bremer Hauptbahnhofs am 12. Dezember 1847, zu dessen Ehren abends die ersten Gaslaternen in zwei Bremer Straßen sowie am Bahnhof selbst entzündet wurden. Dass das riesige Wasserrad an der Weserbrücke als städtische Trinkwasserquelle durch die „Umgedrehte Kommode“ abgelöst wurde, ist auch erst 140 Jahre her. Des Weiteren wären 2013 120 Jahre Strom in Bremen zu feiern. „Damals gab es einen richtigen Glaubenskrieg“, sagt Hannet – zwischen den Verfechtern von Gleich- und Wechselstrom.

Mittlerweile ist allein das unterirdische Wassernetz der Stadt 2.400 Kilometer lang. „Das alles ist mehr als eine technische Vorrichtung, das ist ein Kulturgut des Bundeslandes Bremen“, betont Hannet. Zu diesem Kulturgut, so kann man in der Ausstellung lernen, gehören wichtige Fachtermini wie „Pinkel-Peak“. Das ist die Halbzeitpause bei Fußball-Übertragungen, wenn alle auf die Toilette gehen und der Frischwasserverbrauch auf ein Mehrfaches anschwillt.

Das Museum ist fein, aber noch klein: Pro Gewerk steht eine Wand zur Verfügung. Auf der für Fernwärme – die gibt es in Bremen seit 1927 – veranschaulichen thermische Luftbilder die Leitungswege, sie wurden von der Polizei beigesteuert. Von der Polizei? „Die machen so was regelmäßig, um Hanfplantagen aufzuspüren“, erklärt Hannet.

Hannet kennt sich aus in seinen Netzen, als Elektriker hat er sich durch sie hindurch- und hochgearbeitet. Jetzt steckt er einen großen Teil seiner Freizeit ins Museum. Die, die sich mit ihm engagieren, sind beileibe nicht nur ehemalige Stadtwerker. Zwei Künstler seien dabei, sagt Hannet, der harte Kern der Aktiven verteilt sich auf verschiedene AGs: Da gibt es die Gaswasserwärmegruppe oder den Archivierungskreis, der sich unter anderem um Hunderte von Glasnegativen kümmert.

Die Einblicke, die man so ins Bremer Leitungswesen bekommt, sind einigermaßen intim. Auf dem Stromnetz-Schema von 1966 ist beispielsweise nachvollziehbar, nach welchem System die einzelnen Bezirksingenieure ihre Kabel benannten: „Manche haben ihre gesamte Familie dabei verewigt“, sagt Hannet. Die 110-Kilowatt-Trasse, die in der Innenstadt zu C & A führt, heißt hingegen „Jacke & Hose“.

Das Netzmuseum macht keinerlei Werbung für sich, lieber investieren die Ehrenamtlichen Zeit und Geld in den akribischen Aufbau der Dauerausstellung. Zahlreiche Hörstationen sind bereits entstanden, langsam kommen die ersten Schulklassen und Erwachsenen-Gruppen – aber viele Schätz lagern bislang ungehoben im Keller.

Während das öffentlich zugängliche Obergeschoss mit 230 Quadratmetern überschaubar ist, ist im Untergeschoss reichlich Platz für die noch nicht aufgearbeiteten Ausstellungsstücke. Auch die Hinterlassenschaft des aufgelösten Bremerhavener Stadtwerke-Museumsvereins lagert hier. „Bei denen gab es irgendwann niemanden mehr, der das weiterführen wollte,“, bedauert Hannet. Gleich im Gang steht ein hölzerner Kühlschrank, in dessen oberstes Fach dicke Eisbrocken gelegt wurden – eine komplett stromfreie Kühlanlage, die allerdings eine eher niedrige Umgebungstemperatur bedingt ... Ein echter Hit ist die in einer Ecke lagernde Schaukel-Badewanne von 1894, die sich prima zum Wassersparen eignet: Schon mit wenigen Litern lässt sich durch leichten Wellenschlag der ganze Körper netzen. Heftigeres Schaukeln erzeugt sogar „Sturmwellen“, wie in der Gebrauchsanweisung zu lesen ist – die sich dann „brausend über den Körper ergießen“. Eigentlich ein Fall für Manufactum, so etwas wieder auf den Markt zu bringen.

In den Tiefen dieses reich bestückten Magazinkellers ist schließlich doch noch die Poesie zu entdecken: In Gestalt von blauen Rohren, auf denen weiße Blockbuchstaben prangen. Der koreanische Künstler Kyungwoo Chun hat bislang 100 von ihnen im Boden versenken lassen, „um die Versorgungsleitungen neu ins Bewusstsein zu bringen“. Schließlich würde ihr „komplexes Netzwerk, das alle Haushalte miteinander verbindet“, nur bei einer Versorgungsunterbrechung – und dann zumeist negativ – wahrgenommen. Der Koreaner sammelte also Worte und Sprüche bei den 2.700 SWB-MitarbeiterInnen, nach und nach verbreiten sie sich als „unsichtbare Worte“ im Stadtgebiet. Bis sie eventuell wieder freigelegt und neu betrachtet werden, umfängt auch sie ein langer Dornröschen-Schlaf.

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1 Kommentar

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  • G
    GAST

    Niemand braucht solche "Museen"!