Eltern fordern geruhsames Lernen

SCHULE Die Gruppe „G9 jetzt“ kämpft in Schleswig-Holstein und Hamburg gegen das „Turboabitur“. Erst wollte sie es ganz verbieten. Jetzt fordert sie: Das Abitur nach neun Jahren soll wieder Normalfall werden

Vielerorts ist es so: Abi an Gymnasien in acht Jahren, an Gesamtschulen in neun

Sie wollte ein großes politisches Signal setzen: Per Volksentscheid solle das sogenannte Turboabitur in Schleswig-Holstein verboten werden, kündigte Astrid Schulz-Evers, Vorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Elternvereins und Sprecherin der Initiative „G9 jetzt“ in Kiel an. Wäre der Plan erfolgreich gewesen, hätten zahlreiche Gymnasien ihre Lehrpläne und Arbeitsweisen ändern müssen. Kurz darauf ruderte Schulz-Evers zurück: Nun sammelt ihre Gruppe Unterschriften dafür, dass G9 – also das Abitur nach neun Jahren Oberstufe – zum Normalfall wird, dass G8 aber bleiben darf, wenn Schulen es möchten.

Eingeführt wurde das Abitur nach acht Jahren, weil Jugendliche in Deutschland länger zur Schule gehen als Altersgenossen in anderen Ländern. Das sollte sich ändern. Doch die Klagen von Eltern, Schülern, Lehrkräften und deren Verbänden wie die Gewerkschaft GEW an dieser Schulzeitverkürzung reißen nicht ab. Auch Promis reihen sich ein: Am Montag verkündete der Hamburger Ablegers der Initiative „G9 jetzt“, dass auch Ex-Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) ihre Anliegen unterstützt.

„Kinder haben weniger Zeit für Aktivitäten neben der Schule, die Qualität leidet, es gibt Einbußen gerade in den musischen Fächern“, sagt Mareile Kirsch, die Hamburger Sprecherin. Kirsch ist eine der drei Teilnehmer des heutigen taz Salon in Hamburg zum Thema G8/G9.

Bisher ist es vielerorts so, dass Gymnasien die Schulausbildung in acht Jahren durchziehen, während Gesamt oder Gemeinschaftsschulen neun Jahre Zeit bis zum Abitur geben. Warum also schicken die G9-Aktivisten ihre Kinder nicht einfach auf Gemeinschaftsschulen? „Gemeinschaftsschulen sind ein ganz anderes System“, sagt etwa Schulz-Evers. An Gymnasien gebe es ganz andere Angebote, zum Beispiel Latein.

Inzwischen erlauben viele Bundesländer wieder G9 an Gymnasien, auch in Hamburg wird das diskutiert. In Niedersachsen scheiterte 2012 ein Volksbegehren, G8 an Gymnasien abzuschaffen. Die neue Landesregierung will die Frage aber „im Dialog“ angehen.

Angesicht der Forderungen nach einheitlichen Ausbildungszeiten, stellt die GEW in Hamburg die Schulsystem-Frage: „Wenn es keine zwei Geschwindigkeiten an den Schularten gibt, was spricht dann noch gegen eine Schule für alle?“

Im Ursprungsland der G9-Initiative, in Schleswig-Holstein, überließ der ehemalige FDP-Bildungsminister Ekkehard Klug den Gymnasien die Entscheidung, einige erlauben jetzt sogar in Parallelklassen beide Wege. Dagegen schreckte eine Aussage von Ministerin Waltraud Wende die Befürworter von G9 auf, die erklärte, Gymnasien sollten nur noch den Turbo-Abschluss anbieten. „Was wird aus dem Bestandsschutz für die Schulen, die es zurzeit anders halten?“, fragte Helmut Siegmon, Vorsitzender des Philologenverbands Schleswig-Holstein. Sein Verband, sonst oft Partner des Elternvereins, war ein Grund, warum die G9-Initiative zurückruderte. Ihm ging die Forderung zu weit. ESTHER GEISSLINGER