Berliner Szenen: Wedding Days
Gibt es etwas Romantischeres als einen Mann, der seiner Frau die Haare aus dem Gesicht hält, wenn sie kotzen muss?
I n meiner Umgebung gibt es jetzt einen brandneuen Trend: Heiraten. Hochzeiten sind der heiße Scheiß. Man geht nicht einfach so tanzen, man tanzt jetzt mit Anlass. Und mit Romantik.
Meine Freundin Steffi zum Beispiel heiratet jetzt ihren ehemaligen Mitbewohner. Vor zwölf Jahren ist Steffi zu Dirk in die WG im Wedding gezogen. Wedding, verstehste, höhö! Die beiden mochten sich und kochten gern zusammen, guckten auch manchmal gemeinsam Tatort und berieten sich in Beziehungsproblemen; ins Bett gingen sie jedoch immer mit anderen Leuten.
Und dann, im Sommer vor sechs Jahren bekam Steffi die Magen-Darm-Grippe. Und weil sie beide gerade Single waren und sich sonst niemand um das kranke Kind kümmerte, trug Dirk den Brecheimer aus dem Zimmer, kochte Kamillentee und hielt ihr die Haare aus dem Gesicht, wenn ein neuer Schwall sich ankündigte. Logisch, dass die beiden sich verliebten. Ich meine, gibt es etwas Romantischeres als einen Mann, der seiner Frau die Haare aus dem Gesicht hält, wenn sie kotzen muss? Mittlerweile erwarten die beiden ihr zweites Kind, jetzt ist ihr morgens übel.
„Hat er dir einen richtigen Antrag gemacht?“, hab ich Steffi gefragt. Steffi lächelt: „Na ja“, sagt sie, „wir hatten schon darüber geredet, als Thema war, ob wir ein zweites Kind wollen. Und als ich dann wieder schwanger war, stand ich abends im Bad und hab Zähne geputzt“, erzählt sie, „da habe ich Marieke gehört.“ – Marieke ist ihre ältere Tochter, sie wird jetzt zwei. – „’Mama, Mama, guck mal‘, hat sie gerufen, und als ich die Tür aufgemacht hab und in den Flur gekommen bin, stand sie da mit so einer Kerze in jeder Hand – so Halogendinger, keine echten Kerzen – und Dirk hatte ihr einen Schlafanzug angezogen, auf dem stand drauf: ’Willst du meinen Papa heiraten?‘“ Okay, denke ich, das ist schon noch romantischer, als wenn dir jemand die Haare aus der Kotze hält.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!