Kolumne: Immer bereit!: Nordische Höflichkeit
Geborgenheit ist etwas für die Ohren und die Nase.
Geborgenheit ist eine komische Sache. Manchmal reicht ein Geräusch, ein Duft, und man möchte sofort in Tränen der Rührung ausbrechen. Das hat mit dem Unbewussten zu tun. Mit Erinnerungen. Die sind stärker von Gerüchen beeinflussbar als von allen anderen Sinneseindrücken. Hab ich mal gelesen irgendwo.
Nach der Schule war ich ein Jahr in Hamburg für ein freiwilliges soziales Jahr. Um wenigstens ein Taschengeld zu verdienen und um einmal im Leben woanders gewohnt zu haben. Ich hatte schreckliches Heimweh. Die Leute waren so höflich! Das war ich nicht gewohnt. Ich dachte die ganze Zeit, die wollten mich verarschen. Ständig haben sie gefragt, ob ich noch einen Wunsch hätte. Und dann wiederum dieses „Nich dafür!“, wenn man sich bei jemandem bedankte. Anfangs war ich echt beleidigt. „Dann eben nich. Penner!“, hätte ich fast gesagt, war aber zum Glück zu schüchtern und bekam auch bald erklärt, dass der gemeine Hamburger derartige Zurückweisungen dafür einsetzt, „Gern geschehen“ zu sagen oder „Nichts zu danken“. Das ist nordische Höflichkeit!
Eines Tages jedenfalls, ich fuhr mit dem Fahrrad die Eppendorfer Landstraße entlang und fühlte mich so einsam wie ein Pinguin am Nordpol, da hörte ich von Ferne dieses liebliche Geräusch. Einen Zweitaktmotor. Ein fernes Tuckern erst, einem Babyfurz nicht unähnlich, schwoll es knatternd an, bis es den vollen Umfang jenes ohrenbetäubenden Lärms hatte, der eines der wichtigsten Geräusche meiner Kindheit gewesen war. Vor allem in den Ferien. Und bereits auf halbem Weg konnte ich auch den Duft riechen, dieses säuerlich Muffige, das gar nicht so recht an diesen Ort hier passen wollte. Wie ich selber.
Damals durchaus modern
Vor 50 Jahren erblickte der Trabant 601 das Licht der Welt. „1963 war der Wagen durchaus als modern zu bezeichnen“, heißt es bei Wikipedia. Ich hab überhaupt keine Ahnung von Autos. Ich weiß nur, dass ich vor der Wende noch alle Automarken am Geräusch unterscheiden konnte. Waren ja auch nicht allzu viele.
Ich habe mich in Trabis immer sehr geborgen gefühlt. Man hatte irgendwie Bodenhaftung, konnte die Straße fühlen, Kopfstein um Kopfstein.
Meine beste Freundin Martha hat immer erzählt, ihr sei auf Autofahrten stets schlecht geworden, außer im Trabi ihrer Eltern: „Ich war so beschäftigt damit, mich irgendwo festzuhalten, da hab ich die Übelkeit glatt vergessen.“ Die besondere Herausforderung bestand laut Martha darin, beim Festhalten nichts am Auto kaputtzumachen. „Der ganze Wagen wurde am Schluss nur noch von Leukoplast und Angelschnur zusammengehalten“, sagt sie. Im Grunde wurde die ganze DDR am Schluss nur noch von Leukoplast und Angelschnur zusammengehalten. Erst die Wende brachte den Fortschritt. In Form von Bauschaum und Gaffer-Tape.
Wir selber hatten nie ein Auto. Ich besitze bis heute keinen Führerschein. Meine Mutter hat ihren zwar gemacht, ist aber nie gefahren. Und mein Freund mag nicht in Berlin hinters Steuer. Er ist Norddeutscher.
Mittlerweile mag ich Hamburg sehr gern. Ich fühle mich schon fast geborgen, wenn ich dort am Hauptbahnhof zu Klassikgedudel angerempelt werde.
Letztes Wochenende sind wir dort umgestiegen auf dem Weg nach Flensburg zur Familie. Da haben wir einen Mann gesehen, der rannte die Stufen runter zum Bahnsteig. Der Zug stand noch da, hatte aber schon zur Abfahrt gepfiffen. Der Mann rannte genau auf die Tür zu, in der der Schaffner stand. Und was macht der? In dem Moment, wo der Mann den Zug erreicht, tritt der Schaffner einen Schritt zurück und wirft dem Hinzueilenden ohne Scheiß volle Kanne die Tür vor der Nase zu. Wirklich vor der Nase. Rums! Ich war selber völlig verdattert. „Danke, du Arsch!“, schrie der Mann dem anfahrenden Zug hinterher, und wir können uns richtig gut vorstellen, wie der Schaffner kicherte: „Nich dafür!“
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