Rechte in Schneewittchens Café

Wie im malerischen Lohr am Main ein Café zum rechtsextremen Treffpunkt wird. Die BürgerInnen der bayerischen Stadt wehren sich. Das Problem aber wird bloß unsichtbar

Mitten in der Stadt Lohr, einer bayerischen Kleinstadt am Rande des Spessart, liegt das Schloss. Direkt nebenan ein Café mit Garten. „Vorübergehend geschlossen wegen Umbau“, steht an der gläsernen Eingangstür. Niemand kann derzeit Kaffee trinken. „Wurde auch Zeit“, ist ein älterer Passant zufrieden. „Das wäre ja noch schöner, wenn die ganze braune Brut hier wieder machen könnte, was sie wollte.“ Sein Dackel markiert das Revier. Dann setzen sie ihren Herbstspaziergang fort.

Der unscheinbare Ort am Schloss war Ausgangspunkt einer ebenso seltsamen wie erschreckenden Geschichte.

Im Frühjahr noch sah die Lohrer Welt ganz anders aus. Das Bayerische Fernsehen sah sich genötigt zu einem Beitrag mit dem Titel: „Eine Stadt in Angst – Lohr am Main in der Hand der Rechten“. Ausgerechnet das kleine Lohr in Unterfranken. Eine Stadt mit der lächerlichen Arbeitslosenquote von 5,3 Prozent, eine Stadt, in der die Märchenfigur Schneewittchen gelebt haben soll. Wie konnte die rechte Szene dort Anhänger finden?

Im Lohrer Schlosscafé hatte sich neue Kundschaft breit gemacht. Eine Hand voll überzeugter Rechtsextremisten, zum Teil vorbestraft, aber keine Parteifunktionäre, traf sich regelmäßig. Sie sprachen Besucher an, meist Jugendliche, die ihre Abende im Café nur verbrachten, um nicht allein zu sein. Die freundeten sich erst mit den Rechtsextremisten, schließlich mit deren Weltsicht an. Sei es, weil man die gleichen Feindbilder hatte. Oder weil man einfach mit dem eigenen Leben nicht zufrieden war.

Emissäre im Café

Die lose Gruppierung beschränkte ihre Aktivitäten bald nicht mehr auf Bier und Stammtisch. Sie pöbelten gegenüber LohrerInnen mit Migrationshintergrund, sie wurden handgreiflich. Die Wirtin des Schlosscafés machte sich mit ihrer rechtsextremen Kundschaft gemein. Bevölkerten andere Gäste ihr Café hieß es schnell: Es ist besser, wenn ihr jetzt geht. Die Stammkunden kommen.

Die anderen Lohrerinnen und Lohrer gaben sich lange mit Gerüchten zufrieden. „Da treffen sich die Rechten“, hieß es. Nichts Genaues wusste keiner. Und weil es Gerüchte waren, nahm sie kaum jemand ernst. Zu grotesk die Vorstellung, dass sich mitten im hübschen Lohr ein Treff rechter Gesinnung etabliert haben könnte. Einzelne Bürger fühlten sich dennoch gewarnt. Aus der Lohrer Normalgesellschaft machten sich Emissäre auf, um das Café zu erkunden. Sie versuchten die Lage zu überblicken, bereit notfalls Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Volkshochschule war dabei und der örtliche Verein für Fremdenfreundlichkeit. Aus dem unweiten Gemünden bat man den Klub Rassismus ablehnender Schülerschaft (Krass) des Friedrich-Liszt-Gymnasiums um Hilfe. Auch Parteien und die Kirche suchten das Gespräch mit den Jugendlichen.

Die Aufgabe aber war schwieriger als erwartet. Im Café hatte sich die rechte Gesinnung inzwischen zu einer Kameradschaft verdichtet. Die besorgten Bürger hingegen sahen sich uneins darin, was zu tun sei. Innerhalb kürzester Zeit war an den LohrerInnen eine rasante Entwicklung vorbei gerauscht.

Ungebetene Gäste

Im Frühjahr 2005 eskalierte die rechte Gewalt. Die Rechten gingen zum offenen Angriff über, sie umstellten das Lohrer Jugendzentrum. Erst flogen Besuchern eines Punkkonzerts Beschimpfungen entgegen, später Flaschen. Abgesehen von zwei Einlieferungen ins Krankenhaus blieben schwerere Verletzungen zwar aus. Aber der Vorfall wirkte wie ein Signal. Der schlechte Ruf Lohrs lockte weitere ungebetene Gäste aus der bayerischen Neonaziszene an. Das Internetgästebuch der Stadt wurde zum Schlachtfeld Rechtsextremer. Irritiert blieben internationale Stammgäste zuhause, verbrachten ihren Urlaub nicht wie gewohnt am Main. Wer in dieser Zeit irgendwo in der Fremde erzählte, er käme aus Lohr, bekam schnell die Erwiderung zu hören: „Ach, das ist doch da, wo die ganzen Nazis sind?!“ Das Problem hatte die Grenzen Lohrs überschritten, es war bayernweit publik.

Aber der Angriff auf das Jugendzentrum brachte ein Fass zum Überlaufen. Der bürgerliche Widerstand tat sich jetzt zusammen, bereit ein deutliches Zeichen zu setzen. Ein Zeichen, gerichtet an die Rechtsgesinnten selbst, aber auch an die Öffentlichkeit. Man entschloss sich zu einem Schweigemarsch. Im April lockte er 1.000 Menschen „Für ein buntes Lohr“ auf die Straßen – bei insgesamt 16.000 Lohrern eine Art Massenveranstaltung.

Um die Lohrer rechte Szene ist es seitdem merkwürdig still geworden. Die Organisationen arbeiten wieder jeder für sich an Aufklärungsprojekten. Die Lohrerinnen und Lohrer machen sich gegenseitig Hoffnung, dass sie weder in Angst noch in der Hand der Rechten leben müssen. Das Problem aber ist nicht aus der Welt, momentan ist es nur nicht mehr sichtbar. Das Café der Rechtsextremen ist von der Wirtin aufgegeben worden. An seiner Stelle soll in absehbarer Zukunft ein seriöses Speiselokal entstehen. GW