Aus dem wirklichen Leben: Von der Liebe in Braunschweig
Die Schauspieler des Braunschweiger Stadt-Theaters ließen sich von den Bürgern der Stadt Geschichten über Partnerschaften und Ehen erzählen. Entstanden ist daraus das Stück „BS-PAAR-0815“, das jetzt Premiere hat.
BRAUNSCHWEIG taz | Die Gesetze der Biologie gelten nicht nur für die anderen Tiere. Da haben die Possenreißer der Comedy-Branche leider Recht. Auch wir menschelnden Schöpfungskronen werden von dem Urinstinkt der Fortpflanzung getrieben.
Frauen suchen Männer suchen Frauen, die so aussehen, als könnten sie ihre Nachkommen ernähren und beschützen. Dann verschmilzt das Ich mit dem Du verliebtheitskurz zum Wir, das anschließend ehelang als große Koalition gelebt wird. Während in der Liebe das freiwillige, nie gegeneinander aufgerechnete Geben gelebt wurde, folgt nun das Modell Teamarbeit dem Anspruch symmetrischer Leistungen. Wie das aussehen kann, ist in dem Stück „BS-PAAR-0815“ zu sehen, das am heutigen Samstag am Staatstheater Braunschweig uraufgeführt wird.
Nun sind Stücke, die sich mit Ehen beschäftigen, eindeutig überrepräsentiert in den Spielplänen der Theater. Welcher Aspekt mag einer jungen Regisseurin unter den Nägeln brennen, wenn sie dem Beziehungstheater ein neues Kapitel hinzufügen möchte? Wir fragten Lisa Kempter, Jahrgang 1984, die Regisseurin von „BS-PAAR-0815“.
„Auf der Bühne sehen wir sonst ja nur verarbeitete Materialien in guter Stückform, meist aus einer anderen Zeit“, grenzt sie sich ab, „unser Rechercheteam wollte aktuell und konkret nachfragen: Wie leben Braunschweiger heute liebend zusammen, welche Paarformen werden praktiziert?“
Der Titel des Abends klingt etwas abschätzig. Realisieren die Löwenstädter nur 08/15-schäbige Rollenklischees? „Das dachte ich“, gesteht Kempter, „dass man hier wirklich nur ein sehr eintöniges Bild von Partnerschaften gewinnt: das typisch deutsche Paar, das das nachlebt, was ihm die Eltern vorgegeben haben.“
Zugleich steigt die Scheidungs-, fällt die Heirats-, Familiengründungs-, Geburtenrate. Verändern sich nicht gerade Strukturen der Paarbeziehung und machen die Familie zum Auslaufmodell? „Ich habe in Braunschweig viele junge Leute getroffen, die wollen erst mal Geld verdienen, dann heiraten, dann Kinder kriegen. Ganz klassisch also.“
Läuft in einer modernen Gesellschaft mit maximaler Aufklärung das Miteinander nach den traditionellen Mustern ab? „Nicht nur. Es gibt hier beispielsweise einen polyamoren Stammtisch, dort haben wir Menschen getroffen, die zu dritt oder viert in einer Beziehung leben, andere lieben gleichzeitig mehrere Männer oder Frauen, die auch alle voneinander wissen und miteinander offen reden.“
Nach solch unkonventionellen Paarformaten wurde geforscht: in der Fußgängerzone, in Kneipen, im Bekanntenkreis, auch in Einrichtungen wie Mütterzentren, Frauenhaus und Nähstube. Im „Haus der Kulturen“ wurde eine Gesprächsrunde mit Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung eingerichtet. Kempter war „sehr erstaunt, wie viele arrangierte Ehen es in Braunschweig gibt und wie selbstverständlich darüber gesprochen wird“.
Und das nicht nur von Frauen. In einem Männercafé erzählte ein Vater ausführlich über seine Angst, seine Tochter falsch zu verheiraten. Über diejenigen, die unter solchen Zwangsehen leiden, werden Theaterbesucher allerdings nichts erfahren. „Um die Frauen zu schützen“, wie Kempter sagt.
Sehr wohl auf der Bühne vorgestellt wird eine „Romantikerin“, ein junges Mädchen mit türkischem Hintergrund, das einer arrangierten Ehe ausgewichen ist, indem es den Mann ihrer Träume nach zweiwöchiger Kennlernphase sofort geheiratet hat. Auch fokussiert werden „halbe Zweckehen“, die auch zwecks Aufenthaltsgenehmigung geschlossen wurden.
Ist es nicht generell so, dass Beziehungen heutzutage in erster Linie auf ökonomischer Grundlage eingegangen werden, um sie dann mit der Idee der Liebe schamvoll zu ummanteln? „Das war meine These, mit der ich in die Vorproben gegangen bin“, sagt Kempter. Es sei doch egal, ob die Ehe von den Eltern oder einer Partnerbörse gestiftet werde – um Liebe gehe es nicht. Aber das ließ sich nicht halten: „Selbst Frauen in arrangierten Ehen reden glaubhaft von Liebe, die sich beim Zusammenleben entwickelt. Und immer wieder hörte ich: ’Ich wusste sofort, dass er mein Mann ist, das kann ich nicht begründen, das ist Liebe.‘“
Kempter hat allerdings auch Eheleute kennengelernt, die seit drei Jahren nicht mehr miteinander sprechen, nur noch per Zettel kommunizieren. Wiederum andere haben sich im virtuellen Raum des Computerspiels „World Of Warcraft“ getroffen und verehelicht. Insgesamt kommen elf Paarbildungsvarianten auf die Bühne.
Dargestellt werden die Paare nicht von den interviewten Personen selbst, sondern von den Laienschauspielern des Stadt-Theaters, welches seit drei Jahren die Bürgerbühne des Staatstheaters ist. „Wir wollten mit den Bürgern der Stadt in die Stadt gehen und Geschichten aus der Stadt ins Theater holen“, beschreibt Kempter das Konzept der „schwarmintelligenten Horde“ der Stadt-Theaterer.
Für „BS-PAAR-0815“ haben die Stadt-Theater-Akteure noch einen zweiten Teil vorbereitet. Kempter: „Wir starten ein Experiment und würfeln nach dem Zufallsprinzip unsere Figuren zu neuen Paarkonstellationen zusammen. Was dann passieren könnte, haben wir in langen improvisatorischen Probearbeiten erfunden, die Dialoge vertextlicht und inszeniert.“
Ein Partner-wechsel-dich-Spiel? „Nein, die Möglichkeit für Gespräche, Konflikte – beispielsweise sind wir der Frage nachgegangen: Können der polyamore Mann und die bei Parship.de suchende Frau eine Gemeinsamkeit finden?“ Und können sie? „Das will ich nicht verraten, aber zwei Begegnungen haben wir aus Überzeugung so konstruiert, dass daraus etwas Partnerschaftliches werden könnte.“
Fantasieren, andenken, ausloten, aufzeigen von Kennlernobjekten mit Paarbildungsmöglichkeiten, so könnte das Theater ein ganz neues Geschäftsmodell erschließen.
■ Premiere: Samstag, 7. Dezember, weitere Termine: 11., 14. und 20. 12., jeweils 19.30 Uhr, Braunschweig, Haus Drei
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