Jim Jarmusch über seinen neuen Film: „Tilda sieht aus wie eine Raubkatze“
Jim Jarmusch hat einen Vampirfilm gedreht: „Only Lovers Left Alive“. Warum Vampire? Warum in Detroit? Und was macht er, wenn der Film nein sagt?
sonntaz: Herr Jarmusch, was hat Ihr Interesse an Vampiren erregt?
Jim Jarmusch: Ich bin ein Filmfanatiker und ich mag die Qualitäten unterschiedlicher Genres. Das Vampirgenre ist ausgesprochen reich. Einige meiner Lieblingsfilme sind Vampirfilme, meistens solche, die sich abseits der Genreformeln bewegen. Zum Beispiel Tony Scotts „Hunger“ oder Abel Ferraras „The Addiction“, und Claire Denis hat einen Film gedreht, der heißt …
… „Trouble Every Day“ …
Genau. Oder das Remake, das Werner Herzog von „Nosferatu“ gemacht hat. Oder Carl Theodor Dreyers Film „Vampyr“.
US-amerikanischer Regisseur, Drehbuchautor, Filmproduzent, Musiker und Schauspieler. 1953 in Akron, Ohio, geboren. Seine Mutter war Filmkritikerin für das Akron Beacon Journal.
Studium in New York und Paris, wo er Stammgast der Cinématèque française war.
Filme (Auswahl): „Permanent Vacation“ (1980), „Down by Law“ (1986), „Dead Man“ (1995), „Broken Flowers“ (2005).
Der ist großartig, nicht wahr?
Ja, und überhaupt kein Monsterfilm.
Es gibt eine tolle Sequenz, in der der Protagonist im Sarg liegt; die Kamera schaut aus seiner Position in den Himmel, und gleichzeitig sitzt er auf einer Bank und schaut seiner eigenen Beerdigung zu.
Ja, und all die neblig-weißen Szenen, die waren einfach ein Kamerafehler beim Dreh. Dreyer sah es und sagte: „Wow, das gefällt mir, können wir mehr davon haben?“ „Vampyr“ ist wirklich ein sehr schönes Beispiel. Hinzu kam, dass ich einen Film drehen wollte, in dem die Figuren einen historischen Überblick haben. Sie leben schon sehr lange, so dass sie ein breites Wissen haben; sie sind kultiviert, und zugleich haben sie etwas Animalisches. Jahrhundertelang waren sie Raubtiere, und nun lassen sie das hinter sich, durch Kultiviertheit. Tilda [Swinton] sieht ja manchmal aus, als würde sie wie eine Raubkatze umherstreifen.
Ihr Film ist voller Anspielungen auf Vampir-Literatur, etwa auf einen Schreibwettbewerb, den die englischen Autoren Lord Byron, Mary Shelley und John Polidori 1816 austrugen.
Es gibt zwar deutsche Vampir-Geschichten, die den Romantikern vorausgingen. Aber für mich beginnt die Vampir-Literatur mit John Polidori und der englischen Romantik. Adam ist ja vom Wesen her Romantiker, Eve eher Klassizistin. Sie ist die Sonne, er der Mond, sie ist optimistisch, während er zur Dramatik neigt: „Ich werde mich umbringen … diese Menschen …“
Warum heißen sie Adam und Eve? Wegen der Bibel?
Nein, wegen Mark Twains wunderbarem Buch „The Diaries of Adam and Eve“. Das war eine wichtige Inspirationsquelle für meinen Film. Diese Tagebücher sind wunderschöne, witzige Analysen von Männern und Frauen und den Unterschieden in der jeweiligen Wahrnehmung. Das ist natürlich eine Verallgemeinerung. Aber jedes Klischee enthält eine Wahrheit.
Der Film: Zwei Vampire sind seit Jahrhunderten auf der Welt. Sie heißen Adam und Eve, er lebt in Detroit, sie in Tanger, er ist der Unsterblichkeit überdrüssig, sie guten Mutes, auch wenn das Blut der Menschen – Adam (Tom Hiddleston) und Eve (Tilda Swinton) sprechen abfällig von Zombies – ihnen nicht mehr schmeckt. Sie sind ein Paar und versuchen herauszufinden, wie das geht – für immer. Und wie man mit einer kleinen Schwester umgeht, die ihre Triebe nicht zügelt. Adam und Eve dagegen sublimieren durch Lektüre, die Liebe zu seltenen Gitarren-Modellen, Weltwissen und Soul.
Das Genre: Der Film ist ein somnambul-melancholischer Zugriff aufs Vampirgenre, voller Musik und kulturgeschichtlicher Spielereien wie der, dass die Nebenfigur Christopher Marlowe (John Hurt) der wahre Shakespeare ist.
„Only Lovers Left Alive“: Regie Jim Jarmusch. Mit Tilda Swinton, Tom Hiddleston u. a., GB u. a. 2013, 122 Min., ab 25. 12. im Kino
Ihr Film ist voller Anspielungen auf Literatur, Kino, Musik …
… auf Wissenschaft, hoffe ich …
Wie kommen die Anspielungen in den Film? Ist das eine bewusste Auswahl?
Eher eine zufällige und intuitive. Ich schreibe jede Menge ins Drehbuch hinein. Dann sortiere ich wieder aus. Beim Drehen sind es dann aber immer noch viel zu viele. Beim Schneiden schmeiße ich sie raus. Obwohl ich sie liebte, musste ich eine Menge coole Referenzen rausschneiden. Sie wirkten fehl am Platz, so als wollte der Film damit protzen. Filmen bedeutet für mich, zu viele Dinge anzusammeln. Und im Schneideraum wähle ich aus, was der Film will.
Woher wissen Sie, was das ist?
Das habe ich über die Jahre gelernt: Der Film sagt mir schon, wenn er etwas nicht will. Das ist manchmal schwierig, weil ich daran hänge, und dann will ich, dass der Film es will. Aber der Film sagt: nein. Bei diesem Film gibt es 30 Minuten Outtakes, die ich später mal auf DVD rausbringen werde. Ich liebe jedes einzelne. Aber der Film will sie nicht, und er will auch nicht so lang werden; je länger er wird, umso ernster nimmt er sich, und er ist ohnehin schon ein wenig zu lang.
Was fehlt denn zum Beispiel?
Eine Szene in Detroit, Eve ist gerade angekommen und unterwegs zu Adams Haus. Ich sagte: „Das dauert zu lange, was können wir nur herausnehmen?“ Der Schnittmeister sagte: „Diese Szene, aber wir lieben sie beide.“ Ich: „Ja, die möchte ich nicht herausnehmen.“ Er: „Wir nehmen sie versuchsweise heraus, dann können wir sie ja wieder einfügen.“ Also nahmen wir sie raus, und der Film war glücklich, dass sie fort war.
Aber man sieht doch, wie Eve im Taxi durch die Detroit fährt.
Ja. Aber in Detroit leben mehr Menschen, die Arabisch sprechen, als in jeder anderen Stadt Nordamerikas. Sie sagt auf Arabisch etwas zum Taxifahrer. Er fragt auf Arabisch: „Sprechen Sie Arabisch?“ Sie antwortet „Ja“, auf Arabisch. Er fragt: „Könnte ich einen Zwischenstopp einlegen? Ich muss meinem Schwiegerbruder etwas geben.“ Sie: „Kein Problem.“ Und er geht in dieses kleine Café hinein, es ist voller arabischer Amerikaner, er gibt einem Mann einen Umschlag, kommt wieder raus, und sie fahren weiter. Der Film sagte: Ich will das nicht, es ist unwichtig.
Zugleich sind im Film viele Referenzen enthalten, wie in einer Wunderkammer. Ich habe eine ganze Menge nachgeschlagen: Was heißt „fly agaric“ auf Deutsch? Was hat es mit Polidori und Byron auf sich? Wünschen Sie sich ein Publikum, das sich zu einer Entdeckungsreise inspirieren lässt?
Oh, ich liebe es, dass Sie von Wunderkammer sprechen! Wenn ein Film von mir eine Anspielung enthält, die ein Zuschauer nicht sofort nachvollziehen kann und dieser Zuschauer ihr dann nachgeht, dann … oh Mann, dann haben wir etwas erreicht!
Zugleich wird so etwas leicht missverstanden – als elitär. Wie gehen Sie damit um?
Dessen bin ich mir bewusst. Viele Leute mögen den Film prätentiös finden. Irgendwo habe ich gelesen, dass ich nichts anderes tue, als mit Geheimwissen anzugeben. Das hat mich traurig gemacht, weil ich den Eindruck gewann, ich sollte dümmere Filme machen. Das war entmutigend. Sie benutzen das Wort „elitär“, und in Wirklichkeit sind Adam und Eve ja auch elitär. Ava [Eves Schwester] sagt: „Ihr seid Snobs“, als sie von ihnen vor die Tür gesetzt wird …
… „herablassende Arschlöcher“, schimpft sie …
Ja, und das sind sie. Sie werfen sie raus, nur weil sie sich wie ein Vampir verhalten hat. Sie sind Snobs. Aber ist das etwas Schlechtes? Wenn Sie und ich seit fünfhundert, tausend Jahren am Leben wären, stellen Sie sich vor, was wir alles wüssten! Die Sterblichen würden uns vorwerfen, dass wir so viel mehr wissen als sie. Und natürlich ist das so, ich lebe seit verdammten eintausend Jahren! Was glaubt ihr, was ich so mache? Ich habe Interessen, ich lerne!
Eine Figur, die Sie detailreich anlegen, ist Christopher Marlowe. Eine Theorie besagt, dass Marlowe der wahre Autor von Shakespeares Stücken und Gedichten ist. Ihr Film schließt sich dieser These an. Warum?
Oh, darüber könnte ich Ihnen viel zu viel erzählen. Es gibt viele Leute, die glauben, Shakespeare habe keine Zeile geschrieben, zum Beispiel Sigmund Freud, Orson Welles oder Henry James. Ich bin einer von ihnen. Die Akademiker nennen uns Anti-Stratfordianer. Es gibt kein einziges Manuskript in Shakespeares Handschrift. Wenn er so viel geschrieben hat, wie kann es sein, dass es überhaupt nichts gibt? Shakespeare war ein Analphabet und ein zweitklassiger Schauspieler. Viele glauben, der wahre Autor sei stattdessen Edward de Vere, der 17. Graf von Oxford. Das kann sein, es könnte auch eine Kombination sein. Marlowes Tod ist in jedem Fall eine Verschwörung.
Warum wollten Sie in Detroit drehen?
Weil es ein Juwel in der Geschichte der USA ist. Als Industriegebiet, aber auch auf dem Feld der Musik, speziell der populären Musik, hat die Stadt eine unendlich reiche Geschichte. Das amerikanische Imperium ist im Niedergang begriffen und hat eins seiner Juwelen aufgegeben. Es ist tragisch. Und ich liebe Detroit! In weniger als einem Jahrhundert, in sechs Jahrzehnten, ist es aufgeblüht … und dann … Es gab diese schöne Szene, die wir aus dem Film herausgenommen haben. Adam sagt: „Es ist wie auf einem Zeitrafferbild, auf dem man eine Blume knospen, wachsen und blühen sieht – und dann verwelken, sterben und verschwinden.“
Aber es gibt auch die Szene, in der Eve sagt, in ein paar Jahrzehnten werde die Stadt wieder erblühen – dann, wenn in den Städten des Südens das Wasser zur Neige geht und die Menschen nach Norden ziehen.
Ja, aber das liegt daran, dass Eve nicht auf die sozioökonomische Perspektive beschränkt ist, die wir Menschen haben. Sie denkt im postapokalyptischen Maßstab, sie steht gewissermaßen über dem Lauf der Zeit. Wir mögen Zeit in Generationen messen, sie in Jahrhunderten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Neuwahlen
Beunruhigende Aussichten
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“