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Erzwungener Umzug„Tourist in der eigenen Stadt“

Andreas Sidiropoulos ist einer der Bewohner, die die einsturzgefährdeten Esso-Häuser verlassen mussten. Weihnachten verbringt er nun im Hotel.

Wird Weihnachten bei seiner Schwester verbringen und nicht in seinem kleinen Hotelzimmer: Andreas Sidiropoulos. Bild: Hannes von der Fecht

HAMBURG taz | Zehn Jahre hat Andreas Sidiropoulos in einer Einzimmerwohnung in den Esso Häusern gewohnt. Es waren seine 30 Quadratmeter. Als er einzog, verlegte er Teppich. Er ist fast jeden Tag mit seinem Roller zur Arbeit in ein Restaurant am Schulterblatt gefahren und wohnte gerne in den Esso-Häusern. Er hatte ein paar nette Nachbarn, aber auch einige weniger angenehme. Er zieht die Nase kraus, beugt sich ein wenig vor und senkt die Stimme, als er das sagt. Sidiropoulos hat dieses Jahr eine neue Herzklappe bekommen, war acht Monate Zuhause und hat erst im November wieder angefangen, fünf Stunden am Tag zu arbeiten. „Und jetzt das“, sagt er.

Er sitzt mit zwei seiner Nachbarn im Frühstücksraum eines kleinen Hotels in St. Georg. Sie unterhalten sich auf griechisch. Sechs Griechen haben in den Esso Häusern gewohnt, erzählt Sidiropoulus.

Das Hotel, in dem derzeit einige der ehemaligen Bewohner untergebracht sind, liegt in einer Seitenstraße mit Kopfsteinpflaster. Zur Langen Reihe sind es nur wenige Schritte. Ein Einzelzimmer kostet um die 100 Euro die Nacht.

Einfach und gepflegt ist das Hotel und die Kosten trägt die Bayerische Hausbau, die Eigentümerin der Esso Häuser. Bis zum 6. Januar wird Sidiropoulose bleiben können, dann wird er weitersehen. „Ich muss sagen, dass sich die Hausbau bisher korrekt verhalten hat“, sagt er.

Die Esso-Häuser

1997 kaufte der Betreiber der Kiez-Tankstelle, Jürgen Schütze, das Areal für fünf Millionen Euro von der Stadt. 2009 verkaufte er es für 19 Millionen Euro weiter an die Bayerische Hausbau.

Angezeigt hatte die Initiative Esso-Häuser den Investor, weil der die Häuser "massiv und vorsätzlich verfallen lassen und damit gegen § 4 (Instandsetzung) Hamburgisches Wohnraumschutzgesetz verstoßen" habe.

Untersagt hatte der Bezirk die Nutzung des Gebäudes zunächst nach dem 30. Juni 2014. Nachdem in der Nacht auf den 14. Dezember die Wände wackelten, wurde das Gebäude geräumt und seine weitere Nutzung mit sofortiger Wirkung untersagt.

Voraussichtlich vorverlegt wird nun der Abriss der Häuser auf das erste Quartal 2014.

Er war arbeiten, als die Esso Häuser in der Nacht auf den 14. Dezember geräumt wurden. Nachbarn erzählten ihm später von wackelnden Gläsern im Schrank. Als er nach Feierabend heim kam, durfte er nicht mehr in seine Wohnung und ging in die Notunterkunft in Altona. Doch sein Blutdruck war viel zu hoch und die Medikamente lagen in der Wohnung. Er wurde für eine Nacht ins Krankenhaus eingeliefert und anschließend drei Nächte in einem Hotel in St. Pauli untergebracht, ehe er hierher kam. „Ich glaube nicht, dass wir so überstürzt raus gemusst hätten“, sagt er. Im Sommer wäre eh Schluss gewesen. „Bis dahin hätten wir ruhig bleiben und in Ruhe eine andere Wohnung suchen können.“ Aber vielleicht sei es ja doch gefährlich. So richtig glauben mag er das nicht.

„Ich kenne mich hier gar nicht aus“, sagt der 51-jährige Kellner und deutet vage Richtung Lange Reihe. Er ist viel in der Stadt unterwegs, ist manchmal auf dem Steindamm. Aber das St. Georg zwischen Langer Reihe und Alster entdeckt er nun ganz neu. Sidiropoulos läuft viel herum und versucht, nur zum Schlafen in sein Hotelzimmer zu gehen. „Es ist schon sehr eng mit nur zehn Quadratmetern“, sagt er. „Und, naja, es ist eben nicht meine Wohnung.“

Im Hotel übernachtet er sonst nur, wenn er Ferien in Griechenland macht. Vor 32 Jahren ist er aus Thessaloniki nach Hamburg gekommen. Sein Bruder lebte schon hier und es gab Arbeit. Sidiropoulus wollte eigentlich nur ein paar Jahre bleiben. Heute ist klar, dass er nicht zurückgehen wird.

Nun ist seine Stadt Hamburg und Sidiropoulus sagt im Frühstücksraum seines Hotels: „Ich fühle mich gerade wie ein Tourist in der eigenen Stadt.“ Das gefällt ihm.

Sidiropoulus ist froh, dass er Weihnachten nicht im Hotel verbringen muss. Seine Schwester, die auch in Hamburg wohnt, hat ihn eingeladen. Es gibt einen Baum, leckeres Essen und Geschenke. „Die Griechen feiern genauso Weihnachten wie die Deutschen, nur die Geschenke gibt es erst Silvester“, erzählt Sidiropoulos. „Wir zwei beschenken uns aber schon an Heiligabend.“ An Silvester müsse er sowieso arbeiten. Die Feiertage bekommt er ohne eigene Wohnung herum.

Die Bayerische Hausbau hat Sidiropoulus ein Angebot gemacht. „Ich habe einen unbefristeten Mietvertrag, zahle 382 Euro warm für meine 30 Quadratmeter und mir wurde zugesichert, dass ich zu ähnlichen Konditionen zurückkommen kann“, sagt er. Er will gern zurückkommen. Als er im April 2003 in die Esso Häuser zog, hat er seine alten Möbel in einen LKW gepackt und wegschmissen. Er kann sich gut von Dingen trennen. Am Montag durfte er nochmal kurz in seine Wohnung, um zu markieren, was der Eigentümer wegwerfen darf. In die neue Wohnung dürfen nur das Bett, die gerade gekaufte Matratze, der neue Schrank und der Tisch mit den zwei Stühlen mit. Alles andere von der Garderobe mit dem abgebrochenen Haken bis zum Fernseher samt Komode kann weg.

Ungefähr 20 Wohnungen hat ihm die Saga bisher angeboten. Die meisten auf St. Pauli oder in der Sternschanze. Zehn Wohnungen hat er in die engere Auswahl genommen und am Montag hat Sidiropoulos sich seinen Favoriten angesehen: eine Einzimmerwohnung in den Grindelhochhäusern. „Da wollte ich immer mal wohnen“, sagt er. Im Moment fehle ihm eigentlich nur das sichere Gefühl, das einem eine eigene Wohnung bietet. Aber „es ist alles nicht so dramatisch“.

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2 Kommentare

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  • S
    Sabine

    Klar, dass das für alle BewohnerInnen schlimm ist, ihr Zuhause verlassen zu müssen. Ich würde auch Rotz und Wasser heuelen, wenn ich aus meiner Wohnung ausziehen müsste.

    Aber es ist ja nicht zu ändern, und die Bewohner sollten in die Zukunft blicken und sich nicht mit jeder x-beliebigen Wohnung abspeisen lassen, sondern Forderungen stellen, auch fianzielle! Und alles per Vertrag Festhalten, damit man sie nicht aufs Kreuz legt.

    Ich wünsche allen BewohnerInnen der Esso-Häuser alles Gute für das Jahr 2014!

  • X
    xx

    Ich wünsche dem Mann alles Gute und Dank an die Taz dafür das sie auch über die Seite der Geschichte berichtet. Erstaunt bin ich allerdings über die Anzahl der Wohnungen, gerade in diesen 2 Stadtteilen, die dem Mann angeboten worden sind, denn das klingt ein bisschen wie ein Märchen oder die Wohnungsnot und die mangelnden Wohnungen im günstigen Bereich sind eins.